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Meinung: Afghanistan: Wo Weltmächte machtlos sind

Wo ist Gerd Poppe? Den Menschenrechten wollte der erste grüne Außenminister mehr Gewicht geben und ernannte Poppe beim Amtsantritt zu seinem Beauftragten.

Wo ist Gerd Poppe? Den Menschenrechten wollte der erste grüne Außenminister mehr Gewicht geben und ernannte Poppe beim Amtsantritt zu seinem Beauftragten. Wenig später beteiligte sich Rot-Grün sogar an einem Krieg im Namen der Menschenrechte: im Kosovo. Doch jetzt, wo alle Welt fassungslos ist über monströse Verbrechen in Afghanistan - Fehlanzeige. Von Gerd Poppe hat man lange nichts mehr gehört. Über eine Intervention am Hindukusch mag niemand debattieren.

So könnte Poppes Bericht, kurzgefasst, aussehen: Gewissensfreiheit, Religionsfreiheit gibt es nicht; das belegt die Festnahme westlicher Helfer unter dem Vorwurf - oder Vorwand -, sie wollten Afghanen zum Christentum bekehren. Die Unverletzlichkeit der Person ist nicht gewährleistet, Hunderttausende sind auf der Flucht. Die Taliban üben eine Willkürherrschaft aus und rechtfertigen jeden Übergriff mit ihrem Islam-Verständnis. Frauen sind aller Grundrechte beraubt. Und da war noch die Zerstörung der Buddha-Statuen von Bamian: Weltkulturerbe.

Doch was nützte so ein Bericht? Er würde nichts ändern, allenfalls den Vorwurf relativieren, dass die Welt nicht hinschaut; dass sie sich über die Zerstörung von Stein-Denkmälern mehr aufregt als über die tägliche Vergewaltigung eines Volkes; und dass sie jetzt nur Notiz nimmt, weil unter den 24 verhafteten Mitarbeitern von "Shelter now" zwei US-Bürger, zwei Australier und vier Deutsche sind. Aber gegen wen richtet sich das? Die Zeitungen haben regelmäßig berichtet, der Tagesspiegel allein in diesem Jahr vierzig Mal. Mag sein, viele Bürger nehmen das Drama erst jetzt wahr, weil vier Deutsche von der Todesstrafe bedroht sind.

Der Westen tue nichts - das klingt eingängig. Ebenso der Vorwurf, das Ausland trage Mitschuld an der Herrschaft der Taliban: der sowjetische Einmarsch 1979, die Aufrüstung des Mujahedin-Widerstands durch den Westen, die das Waffenarsenal für weitere Jahre Bürgerkrieg nach Moskaus Rückzug lieferte; schließlich die von Pakistan unterstützte Eroberung fast des gesamten Landes durch die Taliban - hatte Pakistan nicht die Rückendeckung der USA? Dahinter stand die Überlegung, womöglich sei es das geringere Übel, wenn eine Gruppierung das Land beherrsche und nicht eine Vielzahl konkurrierender und unkontrollierbarer Clans. Dann könne man Einfluss nehmen. Vielleicht.

Die Anklagen sind vor allem Ausdruck der Ohnmacht - und zugleich eines fast naiven Glaubens an die Allmacht des Westens: Als stehe es in seiner Macht, dem Frieden, den Menschenrechten, der Bürgergesellschaft zum Sieg zu verhelfen. Und das in einem Land, das nie Demokratie kannte und von feudalen Traditionen geprägt ist, das weder politisch noch geografisch einen natürlichen Zusammenhalt hat, weil mehrere Stämme und Völker rivalisieren und der Hindukusch den Norden vom Süden abtrennt.

Was soll denn das Ausland, was kann der Westen tun? Weder Zuckerbrot noch Peitsche zeigen hier Wirkung: Die Vereinten Nationen haben das Taliban-Regime längst mit Sanktionen belegt. Es ist vom Welthandel ausgeschlossen, darf keine Botschaften im Ausland unterhalten - dieses Privileg hat die "Nord-Allianz" der Taliban-Gegner. Die Taliban sitzen nicht in internationalen Gremien. Wo soll man Einfluss auf sie nehmen? Sie legen wenig Wert darauf, von der Außenwelt anerkannt zu werden. Insofern sind die Verhafteten schlimmer dran als die Entführten in Kolumbien oder die UN-Blauhelme in Bosnien, die als lebende Schutzschilde missbraucht wurden. Der letzte Hoffnungsschimmer ist, dass Pakistan, Saudi-Arabien und Iran das Embargo unterlaufen. Über diese Kanäle können Washington und Berlin sich um die Freilassung bemühen.

Einen Krieg im Namen der Menschenrechte gegen die Taliban wird niemand führen. Regierungen setzen ihre Soldaten der Todesgefahr nur aus, wenn ein nationales Interesse das rechtfertigt. Und eine Perspektive, dass es hinterher besser wird. Wer soll, wer kann Afghanistan nach den Taliban regieren? Und Russland genügt es, die Südgrenze der GUS gegen den Islamisten-Bazillus zu sichern, es hat sich bereits eine blutige Nase geholt.

Die Lage ist eine Folge von gut 20 Jahren Krieg, ist auch Folge westlichen Handelns und Unterlassens. Doch Abhilfe kann nur aus Afghanistan kommen. Das wird Jahre dauern. Man muss sich wohl mit der Einsicht bescheiden, dass es Konflikte gibt, bei denen selbst Weltmächte ohnmächtig zuschauen.

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