zum Hauptinhalt
Bei der Welt-Aids-Konferenz in Washington herrscht Optimismus.

© afp

Aids-Forschung: Der Traum von der Heilung

Statt das Aids-Virus nur zu kontrollieren, wollen einige Forscher wieder nach einer Heilung suchen. Das ist keine Utopie, meint Jana Schlütter - sondern eine reale Chance.

Endlich gute Nachrichten. Von der Welt-Aids-Konferenz hört man erstaunlich oft das Wort „Optimismus“. Man atmet auf und fragt sich, was passiert ist. Kein Durchbruch, so viel vorweg. Eher wirkt es, als spreche man sich gegenseitig Mut zu. Denn Forscher wie Françoise Barré-Sinoussi, Präsidentin der Internationalen Aidsgesellschaft und Virologin am Institut Pasteur in Paris, haben etwas vor, das nach all den Rückschlägen der Vergangenheit verwegen anmutet: Statt das Virus nur zu kontrollieren, wollen sie wieder nach einer Heilung suchen.

Bislang besteht die Antwort auf eine HIV-Infektion aus drei Buchstaben – ART. Das steht kurz für einen großartigen Erfolg der Medizin, die „antiretrovirale Therapie“. ART ist ein Wirkstoff-Cocktail aus mindestens drei von 20 Medikamenten, die gemeinsam das sich ständig verändernde HI-Virus so gut in Schach halten, dass ein positives Testergebnis kein Todesurteil mehr bedeuten muss. Theoretisch können die 34 Millionen Infizierten weltweit heute mit HIV leben wie mit anderen chronischen Erkrankungen auch. Die Nebenwirkungen der Therapie sind nicht mehr so gravierend wie am Anfang, die Dosierung ist weniger kompliziert und auch die Behandlungskosten sanken in den letzten zehn Jahren enorm, besonders in den Entwicklungsländern. Bei 72 Prozent der so Behandelten können Ärzte das Virus nicht einmal im Blut nachweisen.

Allein im Jahr 2010 hat die ART etwa 700 000 Menschenleben gerettet. Der Ruf der Medikamente ist mittlerweile so gut, dass manch einer gefährlich nachlässig wird, wenn es um Kondome geht, oder meint, ART sei mit Aspirin vergleichbar. Ein Trugschluss. ART muss man lebenslang schlucken, selbst wenn man dadurch mit Knochen- und Nierenproblemen, Übelkeit oder Herzkrankheiten kämpft. Wirkung ohne Nebenwirkung bleibt Illusion. Die Alternative ist der Tod.

Auf die Dauer ist das Virus schlauer als wir

Trotzdem: Ist es gerechtfertigt, jetzt schon Geld in den wissenschaftlichen Traum der Heilung zu investieren? Müsste man nicht zuerst alles daran setzen, den acht Millionen Menschen Zugang zu einer Behandlung zu verschaffen, die bisher keine Medikamente bekommen? Die Zahl der Toten überstieg auch 2010 die der Geretteten, 1,8 Millionen Patienten mussten zu Grabe getragen werden. Ohne Reihentests kommt das Testergebnis oft viel zu spät. Wer schon lange infiziert ist oder gar Krankheitssymptome hat, ist schwerer zu behandeln als diejenigen, die kurz nach der Infektion mit der Therapie beginnen.

Stigma und sozialer Absturz nach einer Diagnose sorgen in vielen Ländern noch immer dafür, dass viele vor einem Test zurückschrecken. Und für arme Menschen – egal ob sie nun in den Großstädten Nordamerikas leben oder in ländlichen Gebieten Ugandas – kostet die Therapie eine Menge Geld. Andere nehmen die Tabletten nur ab und an, oder bekommen nicht den kompletten Cocktail, so dass HIV resistent werden kann. In Ostafrika zum Beispiel steigt die Zahl derer, denen die Tabletten nicht mehr helfen, um jährlich 29 Prozent – eine alarmierende Zahl, die alle Erfolge zunichte machen kann.

Auf Dauer ist das Virus schlauer als wir. Deshalb fahnden Forscher wie Barré-Sinoussi schon jetzt nach Auswegen. Statt die Suche nach einer Heilung bei einer Handvoll Forscher vor sich hindümpeln zu lassen, wollen sie die Pfründe für die Grundlagenforschung neu verteilen – Geld und Nachwuchswissenschaftler gleichermaßen.

Es geht ihnen nicht um die Rechnung „ART für alle oder Heilung“. Ohnehin unterfinanzierte Präventions- und Therapieprogramme dürfen nicht bluten, sonst sind alle Fortschritte der vergangenen zehn Jahre schnell dahin. Doch sie machen uns klar, dass wir eine Richtungsentscheidung treffen müssen. Sie fragen uns: Sollen wir weiter vor allem nach einem Impfstoff suchen, obwohl die Suche bisher mehr als verzwickt war? Sollen wir dafür ein Ziel wie „Heilung“ als Utopie abschreiben, obwohl es einige hoffnungsvolle Ansätze gibt? Mit einem hat Barré-Sinoussi sicher recht: Wenn man jetzt aufgibt, obwohl die Chance auf Heilung real ist, werden wir es bereuen.

Zur Startseite