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Meinung: Alarm im Kinderzimmer

Die Schwächsten der Gesellschaft müssen stärker vor Misshandlungen geschützt werden.

Von Caroline Fetscher

Alles läuft gut, im Kinderschutz, wir tun, was wir können. Wo es mal nicht ganz so gut läuft, werden wir genauer hinschauen. So lautet der Tenor der Jugendämter, der kommunalen Behörden und Ministerien, wann immer Experten oder Journalisten Missstände anprangern.

Aufgestört aus einem Alltag, der von „Falldruck“ und Aktenstapeln auf den Tischen geprägt ist, wehren sich die Jugendämter, wenn man ihnen das tote Kind auf der Bahre vorhält, dessen Familie vom Amt „begleitet“ worden war. Auf die Ämter wirkt eine Streitschrift, wie sie jetzt von zwei Rechtsmedizinern der Charité vorliegt (Michael Tsokos und Saskia Etzold: „Deutschland misshandelt seine Kinder“), wie eine verbale Flakattacke. Wir machen doch die Arbeit vor Ort für wenig Gehalt und mit viel Engagement!

Tatsächlich haben beide Seiten recht. Die Kritiker haben recht mit ihrem Alarm. Drei zu Tode misshandelte Kinder pro Woche sind eine Schande für eine reiche Demokratie. Die Ämter haben recht mit ihrer Abwehr. Ihre Strukturen lassen wenig Raum zum Nachdenken, Mitempfinden, beherzten Handeln. Zorn und Verzweiflung beider Seiten lassen sich nur lösen, wenn Hand an die Strukturen des Systems gelegt wird. Dazu gehört der politische Wille. Und bisher fehlt er.

Im Augenblick sind tausende schlecht entlohnter, oft unerfahrener, aber idealistischer Sozialarbeiter als „Familienhelfer“ am Werk. „Freie Träger“ schicken sie im Auftrag der Jugendämter in die Familien. Dort sollen sie „kultursensibel“ mit haarsträubenden Verhältnissen umgehen – Gewaltanwendung, verdreckte Räume, Suchterkrankungen –, und sie sollen bei „überforderten“ Eltern beliebt bleiben, damit diese „kooperieren“.

Nicht selten sind solche Eltern traumatisiert, persönlichkeitsgestört, aggressiv, sadistisch, drogenabhängig, und zwar Väter wie Mütter. „Hinschauen“ und freundliche Worte reichen da nirgends hin, die gängige Rede von den „überforderten Eltern“ dient vor allem der Selbstberuhigung der Entscheider. Viele dieser Eltern sind schlicht kriminell: Was sie ihren Kindern antun, dürften sie sich mit Erwachsenen niemals leisten.

Überfordert sind mithin die gequälten, vernachlässigten Kinder. Herausgefordert aber ist der Staat. Selbst wenn er 7,5 Milliarden Euro im Jahr für den Kinder- und Jugendschutz ausgibt, wie derzeit der Fall, kann sich wenig ändern, solange die Strukturen nicht radikal reformiert werden.

Das heißt: Für Ämter, Kinderärzte, Familienrichter muss es professionelle rechtsmedizinische und psychologische Fortbildung geben, bei Ämtern und „Freien Trägern“ eine kompetente Fachaufsicht. Gebraucht wird ein Auswahlsystem für Personal, das nur die besten Absolventen einstellt, erforderlich sind angemessene Gehälter und mehr Mittel für intensive, früh einsetzende Prävention.

Niemand will die Täter schützen, de facto werden sie aber durch die Strukturen gedeckt. Nun ist Familienministerin Manuela Schwesig am Zug. Die in diesem Kontext fast zynisch klingende Formel von der „Kultur des Hinschauens“ sollte sie eintauschen gegen eine Kultur des Handelns: Strukturreform zum robusten Schutz der Kinder.

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