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Meinung: Alleinunterhalter

Ein BGH-Urteil im Trend: Die Rollenverteilung von Mann und Frau existiert nicht mehr

Artikel 6 des Grundgesetzes nennt Ehe und Familie in einem Atemzug, doch in der Wirklichkeit gibt es immer öfter das eine ohne das andere. Der Bundesgerichtshof musste dieser Realität gestern wieder einmal ins Auge sehen. Das Ergebnis ist ein Sowohl-als-auch-Urteil – und das ist ganz vernünftig.

Stehen einer nichtverheirateten Mutter die gleichen Unterhaltsrechte zu wie einer geschiedenen? Darüber war zu entscheiden. Auf den ersten Blick keine Frage: Es setzt sich die Auffassung durch, dass der Schutzbegriff des Grundgesetzes im Kern den Kindern gilt. Ausdrücklich auch den nichtehelichen. Folglich müsste es, im Interesse der Kinder, Gleichbehandlung für die nichteheliche und die geschiedene Mutter geben.

Der Bundesgerichtshof hat sich aber nicht für volle Gleichbehandlung entschieden, sondern nur für ein bisschen mehr davon. Das Verfassungsgericht wird, wahrscheinlich noch in diesem Jahr, darüber urteilen, ob das rechtlich in Ordnung ist. Entscheidungen über die Nahkampfzone menschlicher Beziehungen können aber auch höchste Gerichte nie nach reiner Lehre vollziehen; sie verlangen von den Richtern Lebensnähe und Alltagsvernunft. Die Ex-Ehefrau bleibt besser gestellt als die ehemalige Lebensgefährtin: Auf den zweiten Blick ein Paradox, auf den dritten lebensklug.

Denn verändert haben sich nicht die Verhältnisse, in die Kinder geboren werden, sondern auch die Beziehungen unter den Erwachsenen, die Eltern sind. „Familie“, ob ehelich oder nicht, ist immer seltener die Einheit der traditionellen Arbeitsteilung: Vater zuständig für den materiellen Unterhalt, Mutter für die häusliche Betreuung des Nachwuchses. Auch in der Ehe waltet drinnen nicht mehr die züchtige Hausfrau. Das Familienrecht, das lange darauf gerichtet war, die Mütter im Haus zu halten, macht gerade einen erheblichen Modernisierungsprozess durch. Der Übergang von Erziehungs- zu Elterngeld ist davon nur der deutlichste Ausdruck. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf rückt ins Zentrum staatlicher Familienpolitik.

Das verändert aber auch die Unterhaltsansprüche der Erwachsenen untereinander. Wenn Frauen und Männer, Mütter und Väter, auf eigenen Füßen stehen, dann wird auf die Dauer das tradierte Unterhaltsrecht der Mütter seine Berechtigung verlieren. Es liegt deshalb wenig Perspektive darin, die nichtheheliche Mutter mit einem Zustand gleichzubehandeln, aus dem die Gesellschaft gerade herauswächst. Die Familie befindet sich mitten in einer stillen Revolution. Die Rechtsprechung holpert hinterher, so gut es geht.

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