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Meinung: Alles auf Anfang

Die neuen Regierungen in Berlin und Warschau müssen einen anderen Umgangston finden

Neue Regierung trifft auf neue Regierung. Bedeutet das auch einen neuen Anfang zwischen Deutschen und Polen? Selbst nach dem Antrittsbesuch der Bundeskanzlerin ist das beiderseitige Verhältnis noch ein Feld für Spekulationen. Allen freundlichen Beteuerungen zum Trotz, die Angela Merkel in der vergangenen Woche zu hören bekam, ist nicht klar, was von der nationalkonservativen Regierung in Polen zu erwarten ist. Immerhin wird deren Machtübernahme auch von einheimischen Beobachtern als politischer Umbruch empfunden. Und dann gibt es noch die Altlasten der jüngsten Vergangenheit: den Streit um das Zentrum gegen Vertreibungen oder die an Polen vorbeigeplante Gaspipeline durch die Ostsee, deren Bau gestern begann.

Aber es gibt im deutsch-polnischen Verhältnis auch anderes: Deutschland ist Polens größter Handelspartner, Polen der größte deutsche Partner im Osten, es gibt 400 Städtepartnerschaften und 1,3 Millionen Begegnungen im Jugendaustausch seit 1993. Den eindrucksvollen Ist-Katalog dieser Verflechtung über Oder und Neiße hinweg blätterte der neue Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler, zu Beginn des deutsch-polnischen Forums auf, das eine Woche nach Merkels Besuch in Warschau zusammentrat.

Dass es trotz solcher Verflechtung zu einer so tiefen Vertrauenskrise wie im vergangenen Jahr kommen konnte, ist das eigentliche Problem. Keiner der Teilnehmer des von den beiden Außenministerien eingerichteten, ansonsten aber von zwei unabhängigen Persönlichkeiten organisierten Forums konnte diese Erfahrung verdrängen. Dennoch blieben die Gespräche, obwohl engagiert geführt, frei von jeder Schärfe. Und sie förderten den Befund zu Tage, dass auch solche Erschütterungen das deutsch-polnische Verhältnis nicht mehr wirklich gefährden können. Das zeigte sich gerade an dem Konflikt um das Vertriebenen-Zentrum. Angesichts der Formulierung des deutschen Koalitionsvertrags – ein „sichtbares Zeichen“ soll an Flucht und Vertreibung erinnern – zog die polnische Forums-Beauftragte, Irena Lipowicz, den Schluss, dass man diese Auseinandersetzung hinter sich habe.

Ein Ritt durch die Bruchzonen von Geschichte und geopolitischer Lage bleibt das Gespräch zwischen Deutschen und Polen gleichwohl. Doch auch die gewachsenen Empfindlichkeiten haben sich verändert: Ergebnis der Versöhnungsarbeit vieler Jahre, der EU-Erweiterung, des Hereindrängens neuer Generationen. Vermutlich spiegeln die unübersehbaren Fortschritte im Alltag von Deutschen – Wirtschaft, Bildung, Tourismus – den Stand dieses Verhältnisses heute zutreffender als die Kontroversen, für die es noch immer gut ist.

Den problematischsten Part in diesem Verhältnis, so wurde in Warschau deutlich, spielt heute – Russland. Dabei wissen die Polen, dass der große Nachbar keine unmittelbare Bedrohung mehr ist. Aber über den Weg trauen sie ihm dennoch nicht. Russland, so der Verdacht, teste mit seiner Politik vor allem, ob die EU wirklich solidarisch ist mit den Neumitgliedern, die dem Ostblock entkommen sind. Da macht dann Schröders Umgang mit Moskau den Eindruck eines politischen Paradigmenwechsels, der an die Stelle der neuen, seit 1990 praktizierten Partnerschaften wieder das alte Spiel um Einflusssphären setze. Das ist der tiefere Grund der Erregung über die Ostseepipeline.

Am Ende blieb Europa, die EU, die bestimmende Perspektive der Debatte. In der Erkenntnis, dass diese Orientierung einen „Mehrwert“ auch für das deutsch-polnische Verhältnis erbringe, sah Gesine Schwan, die deutsche Beauftragte, einen „ermutigenden“ Ertrag des Forums. Eine andere Ermutigung zog dieser regennasse Dezembertag daraus, das sich an ihm der Kniefall jährte, mit dem Willy Brandt in Warschau, unweit des Veranstaltungsortes, dem neuen deutschen Verhältnis zu Polen einen Grundstein setzte. Das liegt 35 Jahre zurück. Nimmt man hinzu, was sich in den vergangenen 15 Jahren zwischen Deutschen und Polen getan hat, nun in der Freiheit selbstgestalteter Politik, so erkennt man die Kontur einer großen Epoche für beide Völker.

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