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Meinung: Alles ist möglich, Europa! Bei der EU-Verfassung kann und muss ein Kompromiss erreicht werden

Von Hans-Gert Pöttering

Kann Europa es sich erlauben, diese neue Verfassung scheitern zu lassen, die demokratisch im Konvent erarbeitet wurde und die die Grundrechte, die gemeinsamen Werte und Politiken sowie die Funktionsprinzipien für die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union für die Zukunft definiert?

Natürlich lautet die Antwort im Sinne der politischen Vernunft: Nein. Dieses Projekt ist am Vorabend der Erweiterung der Union auf 25 Mitgliedstaaten mit 450 Millionen Bürgerinnen und Bürgern viel zu wichtig, um es an nationalen Interessen scheitern zu lassen. Deswegen bin ich auch nach den zwar begrenzten, aber doch auch beachtlichen Fortschritten der Außenminister der Europäischen Union in Neapel immer noch optimistisch, dass bis zum EUGipfel in Brüssel am 12./13. Dezember eine Einigung über die Verfassung erreicht werden kann. Diese Chance besteht bis zur letzten Minute der Verhandlungen der Staats- und Regierungschefs und das Momentum der letzten Minute hat schon oft bei schwierigen Verhandlungen in der EU schließlich zum Ergebnis geführt.

Allerdings sind für das Gelingen starker politischer Wille und öffentlicher Druck notwendig, damit das Pendel der Entscheidung zuletzt in die richtige Richtung schwingt. Alle politisch Verantwortlichen in den Regierungen und in der Öffentlichkeit werden daher in den nächsten zwei Wochen noch sehr viel und intensive Arbeit leisten müssen, damit die europäische Verfassung noch in diesem Jahr das Licht der politischen Wirklichkeit erblicken kann. Jede Verzögerung in das nächste Jahr würde die Verhandlungen nicht vereinfachen, sondern erschweren und vielleicht einen Abschluss ganz gefährden.

Vergessen wir aber auch nicht, was in Neapel schon erreicht werden konnte: eine weitgehende Einigung über die zukünftige Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Ergänzung zur atlantischen Allianz sowie über einen europäischen Außenminister. Auch über die Größe der Kommission zeichnet sich eine Einigung – im Interesse der kleineren Mitgliedstaaten – ab. Kernpunkt der weiteren Verhandlungen ist die Frage der Mehrheitsabstimmung im Ministerrat und das Interesse der „kleinen großen" Mitgliedstaaten Spanien und Polen, die fürchten, ihr Einfluss werde geringer werden als dies mit der bestehenden Regelung der Fall ist.

Vermutlich wird es notwendig sein, einen Kompromiss zu finden, der der Rolle dieser Länder im Entscheidungsgefüge der EU Rechnung trägt. Diese kleine Tür zum Kompromiss zu finden, ist die große und schwierige Aufgabe der italienischen Ratspräsidentschaft und der EU-Außenminister. Die Größe des Projekts, das auf dem Spiel steht, wird hoffentlich alle Beteiligten anspornen, die Zielgerade noch rechtzeitig zu erreichen.

Die Europäische Union hat beim Irakkrieg die leidvolle Erfahrung gemacht, wohin politische Uneinigkeit führt: Achsenbildung zwischen einigen großen Mitgliedstaaten, Gegenbewegung anderer Mitgliedstaaten, daraus folgend Zerstrittenheit, bilaterale Verhandlungsführung mit den USA anstelle einer gemeinsamen starken Position. Letztlich haben hierbei alle verloren und zwar vor allem an internationalem Einfluss als starker Partner der USA. Wer so viel Schwäche zeigt, verspielt eine Chance, die Zukunft der Welt mitzugestalten.

Die wichtigste Lehre hieraus muss deswegen sein, dass nur alle Staaten gemeinsam in der Europäischen Union gewinnen können. Wenn diese Lektion verstanden wurde, dann bin ich optimistisch, dass der politische Wille da ist, um bis zum Gipfeltreffen der europäischen Staats- und Regierungschefs in Brüssel eine Lösung für die Annahme der Verfassung zu finden.

Der Autor ist Vorsitzender der EVP-ED-Fraktion im Europäischen Parlament und Mitglied im CDU-Vorstand. Foto: Becker & Bredel

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