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Meinung: Am besten mit Meinungsstreit

„Die Enteignung des Bundestages“ vom 9. August Es muss erstaunen, wenn sogar die Opposition in den aktuellen Währungs- und Finanzturbulenzen keinen Anlass sieht, den Bundestag zu einer Diskussion der Lösungsstrategien aus den Ferien zusammenzurufen.

„Die Enteignung des Bundestages“

vom 9. August

Es muss erstaunen, wenn sogar die Opposition in den aktuellen Währungs- und Finanzturbulenzen keinen Anlass sieht, den Bundestag zu einer Diskussion der Lösungsstrategien aus den Ferien zusammenzurufen. Sie kann sich nicht wie die Regierungsparteien darauf berufen, ihre Bundesministerien würden den richtigen Verschuldungskurs jetzt und im September steuern. Nun befindet sich der Bundestag in seinem Umgang mit den europäischen Angelegenheiten seit langem in einem strukturellen Dilemma. Einerseits verlor er wichtige legislative Zuständigkeiten an die

europäischen Institutionen, besonders stark in der Handels-, Wettbewerbs-, Währungs- und Landwirtschaftspolitik. Andererseits blieb ihm dennoch generell und auch in den Politikfeldern mit marginalisierter Kompetenz die Aufgabe, die exekutiv bestimmte Europapolitik durch Votum der Volksvertreter zu legitimieren. Faktisch scheint das Parlament diese Aufgabe eher schlecht als recht auszuführen und also EU-Regelungen zustimmend zur Kenntnis zu nehmen, wenn alles schon entschieden ist und sie bereits in Geltung sind und mithin keinen Anlass bieten, noch einen Meinungsstreit im Plenum anzufachen. Die geringe Leidenschaft des Parlaments für europäische Angelegenheiten ist angesichts seiner Lage zwischen Demos und EU verständlich, aber inakzeptabel. Die Rechtfertigung der europäischen Integration in aller Öffentlichkeit kann nur über die Parlamente der Mitgliedsstaaten laufen. Diese Grundfunktion hat ihnen auch die inzwischen herangereifte Konkurrenz des Europäischen Parlaments nicht abgenommen. Das von den europäischen Eliten getragene Integrationsprojekt kennt extrem wenige Orte, an denen seine Themen in breiter Öffentlichkeit erörtert werden. Das Europäische Parlament ist so ein Ort, der Bundestag sollte es sein. Wenn die EU sich doch als Demokratie und nicht als Verwaltungstechnokratie versteht, obliegt den Parlamenten der Staaten die hohe Funktion, politische und gesellschaftliche Interessenlagen, politische Strategien, Krisen und Konflikte zu erörtern. Dies müsste für den Bundestag heißen, europäische

Themen in den Ausschüssen nicht mehr nichtöffentlich zu behandeln, sondern in die Öffentlichkeit zu übertragen. Hat die demokratische Öffentlichkeit kein Recht darauf zu erfahren, wie und was die 37 Bundestagsabgeordneten im Fachausschuss für Finanzen oder die 41 Parlamentarier im Haushaltsausschuss zu Deutschlands Situation und Rolle in der Schuldenkrise diskutieren?

Univ.-Prof. a.D. Dr. Ralf Rytlewski,

Berlin-Schmargendorf

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