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Meinung: Am kalten Ofen

Kaum Protest gegen die Rentenpläne: Die SPD probt die Einsicht ins Notwendige

Irgendetwas ist passiert. Wahrscheinlich werden SPD-Chef Schröder und Generalsekretär Scholz noch heute ihren Ohrenarzt konsultieren, weil sie noch immer keinen Aufschrei aus der eigenen Partei gegen ihr jüngstes Rentenkürzungsprogramm vernommen haben. Nur der Arbeitnehmerflügel der CDU heult mit den Grauen Panthern – hofft auf Gleichgesinnte in der SPD und fordert sie auf, die geplanten Einschnitte für Rentner im Bundestag abzulehnen. Noch vor wenigen Wochen hätte die vereinte Linke zum Großprotest gegen Sozialabbau und alles Ungerechte in der Welt geblasen. Doch der Widerstand bleibt diesmal aus. Selbst Ottmar Schreiner übt sich statt im Abweicheln im Abnicken. Was ist los in der SPD?

Vielleicht sind die Genossen einfach nur erschöpft, aufgezehrt vom nunmehr sieben Monate währenden Kampf gegen den vermeintlichen Sozialabbau unter roter Flagge. Es ist die Ruhe nach dem Sturm. Seit Schröders Agenda-2010-Rede vom 14. März diesen Jahres haben sie mit fast allen Mitteln des politischen Kampfes versucht, den Sprung in ein neues Zeitalter zu verhindern: mit Mitgliederbegehren, Interview-Offensiven und der Verweigerungsdrohung vor der Abstimmung im Bundestag. Doch der sozialdemokratische Vormärz lässt sich einfach nicht zurückholen. Zu schnell ist Schröder den Linken davongeeilt. Und spätestens seit die CDU der Angela Merkel eine noch größere Freude an sozialpolitischer Radikalität entwickelt, merken sie, dass die Reformdynamik sich nicht mehr verlangsamen lässt.

Gut möglich, dass gerade der Zustand der Erschöpfung und Resignation, in dem sich die Gewerkschafts-Linke der SPD nun befindet, die ideale Voraussetzung für eine Neuorientierung ist. Wer müde die Augen schließt, wird sie auch wieder öffnen. Und dann Dinge sehen, die er vorher einfach nicht erkennen wollte. Die Realität zum Beispiel: die Krise der Weltkonjunktur, den drohenden Untergang der Sozialsysteme, die demografische Entwicklung und so weiter. Insofern könnte die Nullrunde für die Rentner die Stunde null der SPD-Linken werden. Wer angesichts einer maroden Rentenkasse wegen vielleicht 20 Euro Renteneinbuße auf die Barrikaden gehen wollte, muss sich selbst ein wenig albern vorkommen.

Stattdessen probt die SPD dieser Tage die Einsicht ins Notwendige. Über Jahrzehnte hinweg hat sich der deutsche Sozialdemokrat am Kachelofen der sozialen Rundumversicherung gewärmt. Jetzt scheint er in der Gegenwart anzukommen. Und die ist kühl.

„Mit Herz und Verstand“ nennt sich die neue Kampagne, mit der die SPD-Führung für ihre Reformpolitik wirbt. Vielleicht ist es zu viel verlangt von den Genossen, die aktuelle Kürzungspolitik auch noch im Herzen gutzuheißen. Der Verstand aber lässt ihnen keine andere Wahl. Denn nur, wer heute den Mut zu Zumutungen aufbringt, kann erreichen, dass auch künftige Generationen noch etwas vom schmucken deutschen Sozialstaat haben. Und das wiederum müsste allen eine Herzensangelegenheit sein.

Doch die größte Bewährungsprobe für ihren neuen Realismus steht den Sozialdemokraten noch bevor. Zum Verständnis der Welt gehört es nicht nur, Wachstumsschwäche, Finanzlöcher und Überalterung zur Kenntnis zu nehmen. Hinzu kommen muss eine realistische Sicht auf die Machtverhältnisse im Lande. Wer in Zeiten regieren will, da die Opposition eine stattliche Gegenmacht im Bundesrat bildet, muss Kompromisse mögen lernen.

Ein paar Wochen haben die Genossen noch, um auch diese Lektion modernen Regierens zu verinnerlichen. Dann werden zahlreiche Agenda-Gesetze um einige christdemokratische Kröten bereichert aus dem Vermittlungsausschuss zurückkehren und auch der SPD erneut zur Abstimmung vorliegen. Erst dann wird Gerhard Schröder sehen, ob seine Partei die Wende zum Realismus wirklich vollzogen hat.

Markus Feldenkirchen

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