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Glücklich, wer darüber lachen kann - Wladimir Putin auf dem Rosemontagszug in Düsseldorf.

© epd

Amerika, Europa, Russland und die Ukraine: Die Lehre aus Minsk II

Putins oberstes Ziel ist es, den Westen zu spalten. Daher muss es das oberste Ziel des Westens bleiben, sich nicht spalten zu lassen. Für Europa heißt das: Es darf sich in der Ukrainekrise nicht von Amerika emanzipieren wollen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Er könne Kiew in zwei Wochen einnehmen, hat Wladimir Putin gesagt. Das stimmt. Wenn es Amerika und die Nato nicht gäbe, könnte er in kürzester Zeit auch das Baltikum, Polen und Deutschland besetzen. Allein das zeigt, wie unverzichtbar der Zusammenhalt des Westens für das Überleben des Westens ist. Allerdings gibt es in dieser Formel eine Asymmetrie. Europa ist militärisch nicht in der Lage, seine Souveränität ohne Amerika zu sichern. Amerika dagegen ohne Europa? Das geht durchaus.
Ein solches factum brutum muss vorausgeschickt werden, damit die geopolitischen Koordinaten des russischen Krieges in der Ukraine nicht verschwimmen. An das Abkommen in Minsk – unter diplomatischer Federführung von Angela Merkel und François Hollande – war ja nicht nur die Hoffnung auf Frieden geknüpft worden, sondern mitunter auch die auf Europas Emanzipation von den angeblich waffenlieferungsvernarrten USA. In dieser Lesart haben sich die Europäer nun als Herren im eigenen Haus bewiesen, die direkt mit Putin verhandelten und die Eskalationsdynamik hin zu einem großen Krieg durchbrachen. Minsk II wurde zu einer Meisterprüfung Europas als neue Ordnungsmacht.

Europa in Äquidistanz zu Russland und Amerika: Darin spiegelt sich ein alter Traum Moskaus

Wie wacklig diese Annahme ist, belegt nicht erst das Wiederaufflammen der Kämpfe. Sie konnte schon vorher nur durch die gewagte These funktionieren, Europa habe in Minsk vor der doppelten Herausforderung gestanden, Putin und Obama gleichermaßen zu bändigen. Europa in Äquidistanz zu Russland und Amerika: Darin spiegelt sich jener alte Traum Moskaus von der sukzessiven Spaltung des Westens, der bis heute ein zentrales Ziel russischer Politik ist. Schon das Narrativ – hier die weichen, auf die Wirkung der Sanktionen vertrauenden, dem Zeitalter der Kriege entsagenden Europäer, dort die hegemonialen, ungeduldigen, den Krieg als Mittel akzeptierenden Amerikaner – spielte den Russen in die Hände. Ist der Keim der Zwietracht erst gesät, muss er bloß noch begossen werden.
Europa muss sich nicht verstecken. Es darf stolz sein auf seinen Multilateralismus, die Achtung des Völkerrechts, den Vorrang ziviler Konfliktlösungen. Minsk II war ein notwendiger Versuch, den russischen Expansionsdrang einzuhegen. Auch wenn dieser Versuch scheitern sollte, gibt es sehr gute Gründe, gegen Waffenlieferungen an die Ukraine zu sein. Doch sie werden in den USA vor allem dann Gehör finden, wenn die Gesamtstrategie glaubhaft ist.
Dazu gehört, die Einreise- und Wirtschaftssanktionen zu vertiefen und zu verbreitern, sehr viel mehr russische Verantwortliche müssen deren Folgen sehr viel unmittelbarer spüren. Dazu gehört, die Nato-Präsenz in Polen und dem Baltikum massiv zu verstärken. Dazu gehört, Schweden und Finnland stärker in die Nato einzubinden. Dazu gehört, die Verteidigungsausgaben zu erhöhen. Dazu gehört, sich von russischen Gasimporten unabhängig zu machen.
Weil es Putins oberstes Ziel ist, den Westen zu spalten – und dadurch zu schwächen –, muss es das oberste Ziel des Westens bleiben, sich nicht spalten zu lassen. Wer transatlantische Dissonanzen zu unüberbrückbaren Wesensunterschieden aufbläht, befördert einen letztlich zerstörerischen Entfremdungsmechanismus, an dessen Ende es nur einen Verlierer geben kann – Europa.

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