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Meinung: Amerikanisches Idyll – mit Folgen

Von Carsten Brönstrup Wie schnell sich das Bild wandelt. Noch vor zwei Jahren war Amerika das gelobte Land des Kapitalismus.

Von Carsten Brönstrup

Wie schnell sich das Bild wandelt. Noch vor zwei Jahren war Amerika das gelobte Land des Kapitalismus. Amerika – dort herrschte der Markt ohne Fesseln, dort fand jeder Mensch eine Arbeit, und dort trieben die Börsen mit nie gekannten Kursexplosionen das Wirtschaftswachstum in immer höhere Regionen und machte Tausende zu Millionären. Seht nach Amerika, riefen Europas Verfechter der reinen marktwirtschaftlichen Lehre, das ist das Modell der Zukunft, das dem halbherzigen Kapitalismus auf dem alten Kontinent weit überlegen ist.

Um die Verfechter dieser Schule ist es ziemlich still geworden. Enron, Worldcom, Xerox, Disney – der amerikanische Kapitalismus steht am Pranger wie nie zuvor. Hoch bezahlte Top-Manager haben mit kriminellen Bilanzmanipulationen in Milliardenhöhe Aktionäre und Aufsichtsbehörden getäuscht. Damit haben sie das ganze System in eine Existenzkrise gestürzt. Die Anleger sind geschockt und fliehen in Scharen. Ihr Vertrauen ist dahin. Sie fürchten, dass es nicht bei Einzelfällen bleibt. Dass auch die Vorstände anderer namhafter Konzerne der Vesuchung nicht widerstehen konnten, ihr Zahlenwerk zu frisieren.

Für die Anleger ist dies bereits der zweite Schock. Der erste war das Ende der zehn Jahre andauernden Wachstumsphase mit anschließendem Crash der Börsen seit dem März 2000. Die Märkte mussten sich von der Illusion immer währender Prosperität verabschieden. Viele Geschäftsmodelle der Zukunft entpuppten sich als Ideen von vorgestern. Der zweite geht tiefer: Seit diesem Frühjahr sind es nicht nur die Kräfte des Marktes, die die Kurse machen. Es sind die unerkannten und gut verborgenen Bilanzrisiken, die aus dem Crash eine Vertrauenskrise haben wuchern lassen.

Schock Nummer Eins gehört zur Marktwirtschaft dazu. Ähnliche Phasen von Euphorie und Ernüchterung hat es immer wieder gegeben. Und dass es sie gibt, ist eines der Merkmale des Kapitalismus – das System zeigt, dass es sich selbst korrigieren kann.

Schock Nummer Zwei ist anders. Er ist keine Folge von enttäuschten Erwartungen, sondern von Betrug. Betrug kann niemand vorhersehen und in Aktienkurse einpreisen. Denn an den Finanzmärkten wird Zukunft gehandelt, und Hoffnung. Deshalb rüttelt dieser Betrug so sehr an den Grundfesten des Marktes. Weil er das Vertrauen der Aktionäre, dass seine Spielregeln beachtet werden, beschädigt.

Jetzt nur die Opfer zu suchen, wäre falsch. Der amerikanischen Kapitalismus ist selbst dafür verantwortlich, dass es so weit kommen konnte. Jetzt zeigt sich die Schattenseite der kurzfristigen und hastigen Orientierung am Shareholder Value, der alleinigen Fixierung der Unternehmensstrategie auf die schnelle Steigerung des Aktienkurses: Die Konzernlenker versprachen ein stetes Plus von Umsatz und Gewinn, immer rosige Aussichten, egal wie das Branchenumfeld aussieht. Blieb einer hinter diesen Erwartungen zurück, wurde die Aktie abgestraft, verstießen Fonds und Kleinanleger gleichermaßen die Chefs und die Unternehmen gleich mit. Selbst in den Monaten der Börsenschwäche haben die Amerikanier dieses Prinzip weiter getrieben – ein Grund für die Nervosität der Märkte in den vergangenen Monaten. Dieser Druck und der Mangel an Zeit für eine erfolgreiche Arbeit, für nachhaltige Entwicklung, isind letztlich verantwortlich für die sich häufenden Bilanzskandale.

Der Kapitalismus aber schreibt nicht vor, wer in welcher Frist welches Ziel zu erreichen hat. Diskreditiert ist vorerst nur das amerikanische Verständnis vom Markt. Europa, lange gescholten als langsam und ineffizient, scheint nur da massiv betroffen zu sein, wo es genau so kurzatmig geworden ist. Zum Beispiel bei Vivendi.

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