zum Hauptinhalt
Sechs von 51 Millionen: Flüchtlinge an der chinesisch-birmanischen Grenze. Nach UN-Angaben sind derzeit so viele Menschen wie nie seit dem Zweiten Weltkrieg auf der Flucht.

© Soe Zeya Tun/Reuters

An Europas Grenzen: Die Abwehr von Flüchtlingen ist ein Riesengeschäft

Die EU-Außengrenzen werden angesichts stetig steigender Flüchtlingsströme weiter hochgerüstet. Obwohl die Abschottung technisch wie politisch nutzlos ist, wird weitergebaut - denn es geht um viel Geld. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Andrea Dernbach

Es war nicht Mare Nostrum. Genau eine Woche nach der neuen Flüchtlingskatastrophe mit 300 Toten hat Italiens Außenminister dem Parlament in Rom Bericht über die Lage in Libyen erstattet. Neben den Warnungen vor Terrorangriffen ging er auch aufs Thema Migration ein. Die Zahlen derer, die aus Libyen nach Norden wollen, steigt wieder. Oder derer, die es müssen – die letzten Schiffe sollen zur Fahrt gezwungen worden sein. Mehr als 2000 Menschen rettete die Küstenwache am Sonntag vor Lampedusa. Das alles ein Vierteljahr nachdem Italien unter nicht nur sanftem Druck EU-Europas seine Rettungsaktion Mare Nostrum einstellen musste. Für Europas Grenzbefestiger war sie eine unerwünschte Brücke nach Europa.

Gutes Geld für Misserfolge

Doch der Abriss der Brücke scheint nichts genutzt zu haben. Ebenso wenig wie der Riesenaufwand, der seit Jahren dafür betrieben wird, alle möglichen Brücken einzureißen und statt ihrer Mauern gegen Eindringlinge aus dem Ausland in die Europäische Union hochzuziehen. Sie kommen einfach. Denn sie haben keine andere Wahl. Und sterben zu Tausenden auf ihrem Weg.

Die moralische Frage einmal aus dem Spiel gelassen – auch wenn es schwerfällt – und eine Kosten-Nutzen-Frage gestellt: Wenn ein Misserfolg so dauerhaft, teuer und offensichtlich ist, ist es sinnlos, ihm weiter gutes Geld hinterherzuwerfen. Oder aber sein Sinn liegt in etwas anderem als dem unmittelbar vorgegebenen der Abschreckung und Verhinderung von Migration. Vielleicht ist es der viel zitierte Wille der Bürgerinnen und Bürger, die ihre Staaten handlungsfähig, sprich abwehrbereit sehen wollten.

Teure Aufrüstung

Aber wollen sie denn? Trotz all der Front National, Goldenen Morgenröte und bräunlichen Pegida: Es gibt inzwischen in ganz Europa ein solides Wissen darum, dass der Kontinent nicht in Flüchtlingsströmen untergehen wird und dass die allermeisten dieser Menschen Hilfe brauchen. Und es gibt eine Bereitschaft dazu wie selten zuvor.

Bleibt nur noch eine Erklärung für das unermüdliche Grenzenbauen und Brückensprengen am Rande Europas: Es ist ein Riesengeschäft. Die europäische Grenzschutzagentur Frontex konnte ihr Budget in den zehn Jahren ihres Bestehens in raschen Schritten erhöhen und kostet inzwischen 86 Millionen Euro jährlich – weitere 20 Millionen sollen demnächst folgen. Das System „Eurosur“ liegt nach Brüsseler Rechnung bei 338 Millionen, nach der zweier Forscher muss doppelt bis dreimal so viel dafür aufgewendet werden – Stand 2012. Und zu Milliardenbeträgen summiert sich, was sonst in die Aufrüstung an den Grenzen fließt und was sich die EU die Forschung zu noch raffinierteren Techniken kosten lässt.

Terror und Grenzanlagen

Ein Riesengeschäft – natürlich auch für die Gegenseite, die von Europas Offiziellen gern bemühten Schlepper. Erst kürzlich schilderten der deutsche und der französische Innenminister in einem gemeinsamen Brief nach Brüssel deren Zynismus und Skrupellosigkeit in leuchtenden Farben, um ihrer Forderung nach härterer Repression dieser "Kriminellen" Nachdruck zu verleihen. Und da ein einziger Versuch, nach Europa zu kommen, selten genügt, werden die Summen mehrmals fällig – wenn die ausgebeutete Kundschaft sie denn noch zahlen kann.

Was dabei unterschlagen wird: Es sind die Grenzverteidiger selbst, die diesen Preis in die Höhe treiben. Je höher die Mauern aus Schiffen und elektronischen Zäunen um die Festung Europa, desto teurer wird der Service derer, die versprechen, sie zu überwinden. Und wenn es nicht wirklich zynisch wäre, könnte man meinen, auch dies sei Teil des Grenzschutzgeschäfts: Je teurer der Menschenhandel übers Mittelmeer, desto besser lässt sich schließlich verkaufen, dass man ihren Profiteuren das Handwerk legen muss. Mit wieder neuen Grenzanlagen, Personal und Material. Wie jedes moderne Unternehmen braucht auch dieses eine funktionierende PR-Abteilung. Die ist zwar richtig teuer, aber dieser Teil des Geschäfts kostet ja nicht Europas Steuerzahler, sondern die Flüchtlinge. Eine Menge Geld und oft ihr Leben.

Wie gesagt: So zynisch kann die Wertegemeinschaft Europa unmöglich sein. Wenn es allerdings stimmt, dass inzwischen der Islamische Staat am Flüchtlingsgeschäft verdient, dann sind Europas Grenzanlagen noch in einem ganz anderen Sinne terroristisch. In einem, vor dem eigentlich auch Europas Innenpolitikern grauen müsste.

Zur Startseite