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Auch Normalverdiener müssen sich - neuen Berechnungen des Bundesarbeitsministeriums zufolge - Sorgen um ihre Rente machen.

© dpa

Altersarmut: Die verlogene Rentenschlacht

Die Renten könnten eines der entscheidenden Themen des nächsten Bundestagswahlkampfes werden. Doch bevor sich die schwarz-gelbe Regierung der Armut zukünftiger Rentner widmet, hat sie bereits ein paar Geschenke an ihre überalterte Wählerschaft verteilt.

Die Worte waren drastisch. Vor millionenfacher „Altersarmut“ und „Verfall der Renten“ warnte Ursula von der Leyen. Zugleich warb die Arbeitsministerin für die Idee einer Zusatzrente aus der beitragsfinanzierten Rentenkasse. Zwar wurde sie von der Kanzlerin zurückgepfiffen. Angela Merkel soll der Alarmismus ihrer Parteifreundin überhaupt nicht gefallen haben. Trotzdem ist es der Arbeitsministerin gelungen, auf die ihr eigene Art sowie mit medialer Dauerpräsenz in der politischen Debatte ein Thema zu setzen und der SPD zunächst den oppositionellen Wind aus den Nägeln zu nehmen.

Seit Tagen wird in der Hauptstadt nun über die Altersarmut und deren Bekämpfung gestritten. Und die SPD, die eigentlich mit diesem Thema die Christdemokraten im Vorwahlkampf dieses Herbstes vor sich hertreiben wollte, wurde von dem Vorstoß der Arbeitsministerin auf dem völlig falschen Fuß erwischt. Die Sozialdemokraten ringen noch um die eigene Position in der Rentenpolitik. Sie sind in dieser Frage tief zerstritten. Vor allem die SPD-Linke will die Rentendebatte zugleich nutzen, um endgültig mit der umstrittenen Agenda-Politik ihres Ex-Kanzlers Gerhard Schröder zu brechen. Sie fordert ein Abschied von der Rente mit 67 und eine deutliche Erhöhung des Rentenniveaus. Doch die Troika an der Spitze der Partei will da nicht mitmachen.

Unbestritten besteht in der Rentenpolitik dringender Handlungsbedarf. Es hat sich herumgesprochen, die Renten sind für zukünftige Generationen nicht mehr sicher. Laut Berechnungen des Bundesarbeitsministeriums können Erwerbstätige, wenn sie im Jahr 2030 in Rente gehen, im Alter nicht mehr mit mehr als der Grundsicherung, also mit einer Rente auf Sozialhilfeniveau rechnen, wenn sie derzeit im Monat 2500 Euro brutto verdienen. Zwei von fünf Arbeitnehmern seien davon betroffen, heißt es.

Zwar steckt in dieser Zahl auch eine Menge politische Zuspitzung. Vor allem kann kein Experte vorhersagen, wie sich die Löhne in den kommenden zwei Jahrzehnten tatsächlich entwickeln. Trotzdem ist klar: So gut wie der gegenwärtigen Rentnergeneration wird es zukünftigen Rentnern nicht mehr gehen. Im Gegenteil: Sie werden nicht nur bis 67 arbeiten müssen. Vor allem sinkt das Rentenniveau, von derzeit 50 Prozent auf 43 Prozent im Jahr 2030.

Die Rentner der Zukunft gehören also zu den großen Verlierern des sich wandelnden Sozialstaats. Derzeit verfügen Rentnerhaushalte im Durchschnitt über ein Nettoeinkommen von etwa 2000 Euro im Monat. Gleichzeitig erhalten nur drei Prozent der Rentner eine Rente, die unter dem Niveau der Grundsicherung von 688 Euro liegt. Das wird sich dramatisch ändern.

Im bevorstehenden Bundestagswahlkampf könnte das Thema Rente deshalb eine wichtige, vielleicht sogar wahlentscheidende Rolle spielen. Die CDU fürchtet dies. Auch deshalb wirbt sie derzeit für einen Konsens mit der SPD und betont die Gemeinsamkeiten in den Rentenkonzepten von Ursula von der Leyen und SPD-Chef Sigmar Gabriel. Doch die Sozialdemokraten haben daran überhaupt kein Interesse. Schließlich wollen sie im kommenden Jahr gegen die schwarz-gelbe Bundesregierung einen Gerechtigkeitswahlkampf führen.

Dabei eignet sich das Thema Rente eigentlich überhaupt nicht für eine populistische Zuspitzung im Wahlkampf. Und ob die SPD da mit einfachen Parolen punkten kann, ist längst noch nicht ausgemacht. Schließlich sind die Interessen bei diesem Thema vielfältig, die politische Schlachtordnung alles andere als übersichtlich.

Der Riss geht quer durch alle Parteien

Es überschneiden sich wirtschaftliche, soziale und demografische Fragen, politische, taktische und strategische Interessen. Der Riss geht quer durch alle Parteien, jung kämpf gegen alt, links gegen rechts. Die Interessen der Arbeitnehmer sind andere als die von Mini-Jobbern oder Hartz-IV-Empfängern, die von Männern andere als die von Frauen. Unternehmer sind vor allem daran interessiert, dass die Versicherungsbeiträge nicht steigen.

Die Rentendebatte ist jedoch nicht nur kompliziert, sie wird auch davon bestimmt, dass jeder dritte Wähler bereits im Rentenalter ist. Seit vielen Jahren wurden die Probleme der Rentenkassen deshalb in die Zukunft verschoben. An die teilweise sehr üppigen Bezüge der heutigen Rentner und Pensionäre traut sich die Politik auch jetzt nicht ran.

Kein Wunder. Die heutigen Rentner sind die treuesten Wähler der beiden großen Parteien. Die will niemand verprellen. Nur den Wählern im Rentenalter verdanken CDU und CSU ihre Vormachtstellung im Parteiensystem. Bei der Bundestagswahl 2009 wählten 43 Prozent der über 60-Jährigen die Union. Bei den unter 30-Jährigen hingegen kam sie nur noch auf 27 Prozent.

Tatsächlich jedoch ist die Differenz noch sehr viel größer. Denn zwei Dinge kommen hinzu: Erstens ist die Zahl der wahlberechtigten Rentner doppelt so groß ist wie die der Jungwähler. Zweitens gehen Rentner sehr viel zuverlässiger zu Wahl. Die Wahlbeteilung der über 60-Jährigen lag 2009 bei 70 Prozent, die der unter 30-Jährigen nur bei 50 Prozent. Tatsächlich also haben bei der Bundestagswahl 2009 mehr als vier Mal so viele Rentner wie Jungwähler CDU und CSU gewählt. Bei der SPD sieht die Situation nicht wesentlich anders. Tendenz steigend.

Bevor sich die schwarz-gelbe Bundesregierung dem Thema Altersarmut zuwandte, hatte sie deshalb bereits zwei Wahlgeschenke verteilt. Im Juli stiegen die Renten erstmals seit Jahren wieder deutlich, im Osten um 2,26 Prozent und im Westen um 2,18 Prozent. Die Rentenkassen sind so voll wie schon lange nicht mehr. Doch statt nun Rücklagen in den Rentenkassen zu bilden, um für die Zukunft und die dann drohende millionenfache Altersarmut vorzusorgen, hat die schwarz-gelbe Bundesregierung zunächst einmal beschlossen, die Rentenbeiträge ab 2013 von 19,6 auf 19 Prozent zu senken. Um rund fünf Milliarden Euro werden Arbeitnehmer und Unternehmer so entlastet. Mit Wahlkampf hat das alles natürlich nichts zu tun.

Die Rentenschlacht, die angesichts des bevorstehenden Wahlkampfes in den kommenden Monaten droht, wird also nicht ohne verlogene schwarz-gelbe Tabus geführt und auch nicht ohne christdemokratische Krokodilstränen.

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