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Henryk Broder

© privat

Broder über die Ferres: Veronika, das Licht ist da!

Veronika Ferres hat eine Holocaust-Überlebende gespielt und deshalb jetzt die fünfte Chanukka-Kerze entzündet. Henryk M. Broder fragt sich, wohin das alles führen soll und wer wohl am Freitagabend die letzte Kerze anzünden wird.

Wir haben uns inzwischen daran gewöhnt, dass beinah in jeder Talk-Show ein Schauspieler oder eine Schauspielerin sitzt, der/die sich selber spielt, also einen Schauspieler oder eine Schauspielerin, der/die in einer Talkshow sitzt. Hat ein Schauspieler mal einen kriminellen Wirtschaftsboss gespielt, kann man sicher sein, dass man ihn bald darauf bei Anne Will als Experten für kriminelle Machenschaften in der Wirtschaft wieder sehen wird; eine Schauspielerin, die eine allein erziehende Mutter gespielt hat, hat sich damit als Fachfrau für die Probleme allein erziehender Mütter qualifiziert – und für einen Platz bei Maischberger.

Und nun ist Veronika Ferres, das Superweib, an der Reihe. Sie hat die fünfte Kerze an einem sechs Meter hohen Chanukka-Leuchter vor dem Brandenburger Tor angeknipst. Chanukka ist das Lichterfest der Juden, das mit Weihnachten mehr oder weniger zeitlich zusammen fällt, so wie Ostern und Pessach zusammen fallen, was auf eine  Verwandtschaft der beiden Religionen verweist. Deswegen ist auch von „Weihnukka“ die Rede. Früher, also vor 1933, hatten liberale Juden oft einen Weihnachtsbaum in der guten Stube, der mit einem Chanukka-Leuchter ganz natürlich koexistierte.

Dass nun Christen an jüdischen Festen teilnehmen wollen, ist durchaus erfreulich und zeugt von einem Interesse an dem „Original“, aus dem das Christentum entstanden ist. Andersrum würde es Juden nicht schaden, wenn sie ab und zu eine Messe im Petersdom besuchen oder nach Lourdes pilgern würden, um das Christentum zu erleben.

Dass Frau Ferres eine Chanukka-Kerze anzünden durfte, hat allerdings einen anderen Grund: Sie hat in einem ziemlich schrecklichen Melodram („Unter Bauern – Retter in der Nacht“) eine jüdische Holocaust-Überlebende gespielt und danach beschlossen, aktiv zu werden. "Es freut mich, wenn ich über meine Filme hinaus gesellschaftspolitisch etwas bewegen kann."

Was natürlich sofort die Frage provoziert: Hätte Frau Ferres nicht eine Jüdin, sondern eine weibliche KZ-Aufseherin gespielt, was ja einer Schauspielerin durchaus passieren kann, hätte sie dann auch beschlossen, „gesellschaftspolitisch“ aktiv zu werden und sich der Frauen anzunehmen, die eine so unangenehme Arbeit in den Lagern verrichten mussten? Wir wissen es nicht, aber möglich wäre es, denn Schauspieler tendieren offenbar dazu, die Rollen anzunehmen, die sie mal gespielt haben.

Das beste Beispiel für diese Haltung ist Iris Berben, die – das muss zu ihrer Ehre gesagt werden – zu den wenigen gehört, die sich öffentlich mit Israel solidarisieren. Sie hat mal gesagt, wenn Israel ernsthaft bedroht wäre, würde sie zum Judentum übertreten. Das war bestimmt nett gemeint, aber doch ein wenig „over the top“. Andererseits, wer weiss, vielleicht war es gerade diese Drohung mit dem allerletzten Mittel, die den iranischen Präsidenten davon abgehalten hat, seine Ankündigung, das zionistische Regime platt zu machen, in die Tat umzusetzen. Kleine Ursache, große Wirkung.

Vermutlich wäre auch das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas nicht zustande gekommen, hätte Lea Rosh es nicht zumindest billigend in Kauf genommen, für eine Jüdin gehalten zu werden. Ihr Nachname Rosh (ausgesprochen Rosch) bedeutet im Hebräischen immerhin „Kopf“, „Oberhaupt“. 

Und nun möchten wir noch gerne wissen, wer am Freitagabend die letzte Chanukka-Kerze anzünden wird. Wird es wieder eine Schauspielerin sein? Eine, die mal Anne Frank gespielt oder wenigstens versteckt hat? Das ginge ja noch. Aber wenn demnächst die letzten Überlebenden der „Leibstandarte Adolf Hitler“ einen Heimatabend veranstalten und dazu Bruno Ganz als Festredner einladen, dann wird man sich fragen müssen: Wäre Helge Schneider nicht die bessere Wahl?

Der Autor ist Reporter des "Spiegel" und schreibt regelmäßig Gastbeiträge für den Tagesspiegel.

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