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Am Boden: Die Liberalen kämpfen um ihr politisches Überleben.

© dpa

Brüderle, Kubicki und Lindner: Das letzte Aufgebot des deutschen Liberalismus

Philipp Rösler ist als FDP-Chef faktisch schon Geschichte. Das gerade verabschiedete Grundsatzprogramm ist politische Vergangenheit. Stattdessen steht das Trio Rainer Brüderle, Christian Lindner und Wolfgang Kubicki an der Spitze des liberalen Überlebenskampfes. Doch jeder der Drei kämpft nur für sich.

Die FDP stemmt sich gegen ihren Niedergang. Kämpferisch gaben sich die Delegierten am Wochenende auf dem Bundesparteitag in Karlsruhe. Artig feierten sie ihren Vorsitzenden Philipp Rösler mit minutenlangem Applaus. Geschlossen verabschiedeten sie ein neues Grundsatzprogramm. Selbstbewusst präsentierten sich die Liberalen als letzte Partei der bürgerlichen Mitte. Dennoch konnte auch die beste Parteitagsinszenierung nicht über die tatsächliche Lage der FDP hinwegtäuschen.

Der Parteitag der FDP war eine politische Pflichtübung, mehr nicht. Mit ihren sogenannten „Karlsruher Freiheitsthesen“ demonstrierte die Partei eindrücklich, dass sie eben nicht nur im Stimmungstief steckt, sondern in einer politischen Identitätskrise. Die FDP präsentiert in ihrem neuen Grundsatzprogramm keine politischen Ideen, keine programmatische Strategie, auf der sich eine liberale Zukunft im 21. Jahrhundert aufbauen und auf der sich die Wähler neu begeistern ließen. Klammheimlich haben sich die Liberalen von ihrem Steuersenkungsmantra verabschieden. Stattdessen versprechen sie nun Freiheit, Wachstum und Bürgerrechte. Der liberale Wachstumsbegriff ist bieder; maßlos hingegen ist die Feststellung, die FDP sei die „einzige Partei der Freiheit“ in Deutschland. Wenig originell ist es, dass nach der CDU nun auch die FDP auf Haushaltskonsolidierung setzt. Und in Sachen digitale Bürgerrechte laufen die Liberalen längst den Piraten hinterher.

Hinzu kommt: Philipp Rösler ist ein FDP-Vorsitzender auf Abruf. Seine Tage als Vizekanzler und Wirtschaftsminister scheinen gezählt. Wenig spricht derzeit dafür, dass es ihm gelingen könnte, sich nach den beiden Landtagswahlen am 6. Mai in Schleswig-Holstein und am 13. Mai in Nordrhein-Westfalen im Amt zu halten. Noch vor einem Jahr hatte Rösler als neuer Hoffnungsträger der Liberalen die Nachfolge von Guido Westerwelle angetreten. Doch mittlerweile zeigen auch die Daumen seiner Parteifreunde nach unten. Genauso pflichtschuldig diese ihrem Vorsitzenden in der Öffentlichkeit den Rücken stärken, so selbstverständlich spekulieren sie hinter vorgehaltener Hand bereits über dessen baldigen Abgang.´

Faktisch ist Philipp Rösler als FDP-Chef schon Geschichte. Stattdessen wird es in den kommenden Wochen und Monaten von dem Trio Rainer Brüderle, Wolfgang Kubicki und Christian Lindner abhängen, ob es der FDP gelingt, 2013 noch einmal in den Bundestag einzuziehen. Linder und Kubicki müssen zunächst Anfang Mai zeigen, dass die FDP noch Wahlen gewinnen kann. Dem Fraktionsvorsitzenden Brüderle wird wohl nach dem voraussichtlichen Sturz Röslers die Aufgaben zufallen, als dessen Nachfolger die FDP zusammenzuhalten.

Lindner und Kubicki: jeder kämpft für sich

Ein merkwürdiges Trio ist da angetreten, um die FDP in die politische Zukunft zu führen. Programmatisch verbindet sie wenig, jeder der drei kämpf nur für sich selbst und auf eigene Rechnung.

Da ist zunächst Wolfgang Kubicki. Der 60-jährige Rechtsanwalt präsentiert in Schleswig-Holstein seit Jahren seine politische One-Man-Show, auf Parteifreunde und Parteiprogramm nimmt er dabei keine Rücksicht. Munter profiliert er sich daheim im Norden auf Kosten der Parteispitze. Schon Guido Westerwelle hatte er mit seinen legendären Interviews fast im Alleingang aus dem Amt getrieben und nun teilt er auch gegen dessen Nachfolger Rösler nach Belieben aus. Auf dem Parteitag in Karlsruhe trat Kubicki sogar für eine Reichensteuer ein, genauer gesagt für die Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf 49 Prozent für Einkommen über 250.000 Euro. Das klang mehr nach SPD als nach jener FDP, die noch im letzten Bundestagswahlkampf mit der Parole „mehr Netto vom Brutto“ angetreten war.

Die Bilder zum Niedergang der FDP:

Am 6. Mai soll Kubicki den Grundstein für die liberale Auferstehung legen. Das Fundament soll eine Woche später Christian Lindner in Nordrhein-Westfalen gießen. Der 33-Jährige, der sein ganzes Leben nichts anders gemacht hat als FDP, lässt sich im Wahlkampf bereits als Retter seiner Partei feiern, als liberaler Heilsbinger. Er stilisiert die Landtagswahl zur Richtungsentscheidung über die Zukunft nicht nur Nordrhein-Westfalens, sondern ganz Deutschlands. Von der Bundes-FDP und der schwarz-gelben Bundesregierung setzt er sich, anders als Kubicki, jedoch eher in leisen Tönen ab. Wie viel Schein und wie viel politische Substanz in Christian Lindner steckt, wie viel Selbstbewusstsein und wie viel Selbstüberschätzung sich hinter der PR-Maske verbergen, lässt sich allerdings schwer sagen.

Seit 2009 war Lindner FDP-Generalsekretär, erst von Westerwelle und anschließend von Rösler. Nachhaltige politische Akzente konnte Lindner vor seinem überraschenden Rücktritt im Dezember 2011 allerdings kaum setzen. Für den Niedergang der FDP seit der Bundestagswahl ist er eigentlich genauso verantwortlich. Doch nun versucht er, sich an Rhein und Ruhr mit jugendlichem Elan als Vater einer erneuerten FDP zu profilieren.

Wenn Kubicki und Lindner ihr politisches Werk vollbracht haben, wird anschließend in Berlin viel von Fraktionschef Rainer Brüderle abhängen. Gefühlt war Brüderle in der FDP schon immer dabei, seit vier Jahrzehnten ist er Mitglied der Partei, seit fast 20 Jahren sitzt er im Bundesvorstand, seit zehn Jahren ist er stellvertretender Parteichef. In Rheinland-Pfalz hat der 66-Jährige zusammen mit CDU und SPD regiert, im Bund wurde er 2009 Wirtschaftsminister, musste aber im vergangenen Jahr nach einem verlorenen Machtkampf dem neuen Parteichef Philipp Rösler und seiner Boygroup weichen.

Brüderle steht für die Vergangenheit

Brüderle ist sozusagen die lebende liberale Tradition in der FDP. Nur, er steht für die Vergangenheit, nicht die Zukunft, für den alten Mittelstand und nicht für neue Wählerschichten. Dass ausgerechnet er noch einmal zum liberalen Hoffnungsträger avancieren konnte, hätte er sich vor ein paar Monaten selbst nicht träumen lassen. Auf dem Parteitag in Karlsruhe profilierte sich Brüderle schon mal als liberaler Motivationskünstler. Selbst mit billigen Witzen und einfachen rhetorischen Kniffen ließ er Parteichef Rösler vor den Delegierten alt aussehen.

Klaus Stuttmann zur FDP:

Brüderle, Kubicki und Rösler – in drei Wochen wird es für das Trio ernst. Entweder haben die Liberalen am Tag nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen wieder Mut gefasst oder es regiert das Chaos. Entweder müssen die drei dann auf die Euphorie-Bremse treten oder sie müssen die Erosion ihrer Partei sowie ein Auseinanderfallen der schwarz-gelben Bundesregierung verhindern.  

Es mag sein, dass es Kubicki und Lindner gelingt, mit ihren beiden politischen Solonummern den liberalen Tod noch einmal abzuwenden. Es mag sein, dass die liberale Mitleidsnummer zieht. Es mag sein, dass es in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen genügend Wähler gibt, die der FDP eine letzte Chance gewähren wollen. Es mag auch sein, dass Brüderle ein besserer Parteivorsitzender ist als Rösler.

Aber für eine politische Zukunft der FDP sind eine kalte Ego-Show, jugendliche Selbstüberschätzung und launige Motivationsreden zu wenig. Um die FDP in einen erfolgreichen Bundestagswahlkampf zu führen und tatsächlich zu retten, wird dem letzten Aufgebot des deutschen Liberalismus in den kommenden Monaten mehr einfallen müssen. Und auch mehr als ein uninspiriertes Grundsatzprogramm.

Wenn Kubicki und Lindner bei den beiden Landtagswahlen im Mai scheitern, wenn die FDP in Schleswig-Holstein und vor allem in Nordrhein-Westfalen unter die Fünf-Prozent-Marke stürzt, wäre es aber selbst dafür zu spät.

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