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Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bayerns Ministerpräsident und CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer: CDU und CSU haben ihr Wahlprogramm beschlossen.

© dpa / picture alliance

Bundestagswahl 2013: Der Wähler will betrogen werden

Alle vier Jahre überbieten sich die Parteien darin, den Wählern eine möglichst rosige Zukunft zu versprechen. Doch das darf man nicht nur den Wahlkämpfern vorwerfen, die sich diese politische Folklore ausdenken. Schuld sind auch jene, die gerne dazu tanzen. Eine kleine Wählerbeschimpfung.

Jetzt haben also auch CDU und CSU ein Wahlprogramm. Und was für eines! Es steckt voller Überraschungen und vor allem voller politischer Ideen, von denen der Koalitionspartner FDP, aber auch manche Christdemokraten meinen, diese seien unseriös. Mütterrente, Mindestlohn, Kindergeld, Mietpreisbremse; 30 Milliarden sollen die christdemokratischen und christsozialen Wahlkampfversprechen kosten, so haben es Experten errechnet. „Unbezahlbar“, empört sich die Opposition, dies sei ohne Steuererhöhungen oder neue Schulden nicht finanzierbar. Und sie spottet deshalb über „Merkels Märchenstimme“. Die meisten Kommentatoren der Zeitungen stimmten munter in das Lied vom vorsätzlichen Wahlbetrug ein.

Sieht man einmal davon ab, dass die Kritik an den Unionsparteien wohlfeil ist, schließlich kommt keine Partei in ihrem Wahlprogramm ohne unrealistische und unfinanzierbare Versprechen aus, stellen sich vor allem ganz andere Fragen: Wozu brauchen Parteien überhaupt Wahlprogramme? Warum weiß der Wähler nicht längst, dass der Wahlkampf mit seiner politischen Folklore das eine ist und die Politik, die Wahlsieger anschließend in der Regierung machen und dies wohlmöglich zusammen mit einem Koalitionspartner, etwas ganz anders.

Kurzum: Warum fällt der Wähler alle vier Jahre wieder auf das Wunschkonzert der Parteien rein?

Hat er nicht längst die Erfahrung gemacht, dass die Parteien den Mund im Wahlkampf ziemlich voll nehmen? Und kennt er nicht längst die vielen Ausreden, die die Regierungsparteien nach der Wahl parat haben?. Mehr sei beim Koalitionspartner nicht durchsetzbar gewesen, heißt es dann zum Beispiel, beliebt ist auch der Hinweis auf die schleppende Konjunktur, die sich anders als erwartet entwickelt habe, auf vermeintlich unvorhersehbare internationale Verpflichtungen oder der Verweis auf die Zustimmungspflicht der Länder.

Die Liste der spektakulären Wählertäuschungen ist lang. Legendär ist zum Beispiel der „Umfaller“ Helmut Kohl, der einst im Jahr 1990 versprochen hatte, die Wiedervereinigung einschließlich blühender Landschaften ohne Steuererhöhungen finanzieren zu können. Ein Jahr später wurden die Steuern doch erhöht, und zwar kräftig. 1998 hatte die SPD im Bundestagswahlkampf eine Rentenerhöhung angekündigt und stellte nach dem Wahlsieg fest, eine solche sei nicht finanzierbar. Die Grünen hingegen hatten 1998 den sofortigen Atomausstieg versprochen und mussten ihren Wählern anschließend erklären, warum sie in der rot-grünen Regierung für die vage Aussicht auf eine Energiewende langen Laufzeiten der Atomkraftwerke zustimmte. Unumkehrbar wurde der Atomausstieg erst durch den Beschluss von Schwarz-Gelb. 2005 wetterten die Sozialdemokraten im Wahlkampf gegen die geplante Mehrwertsteuererhöhung der Union und erfand den Schüttelreim „Merkelsteuer, das wird teuer“. In der Großen Koalition erhöhte die SPD die Mehrwertsteuer dann zusammen mit der Kanzlerin nicht nur um zwei, sondern gleich um drei Prozentpunkte. Die FDP wiederum will mittlerweile nichts mehr davon wissen, dass sie im Bundestagswahlkampf 2009 umfangreiche Steuersenkungen, „mehr Netto vom Brutto“ versprochen hatte.

Der Wähler vergisst schnell. Und das mag daran liegen, dass es sich bei seiner Wahlentscheidung nicht an der Vergangenheit orientiert, sondern an seinen Erwartungen an die Zukunft. Am Wahltag zählen für ihn nicht die Leistungen der Regierung in den vergangenen vier Jahren, es zählen nur die Aussichten für die kommende Legislaturperiode. Die Parteien wissen, wie vergesslich der Wähler ist, deshalb handeln sie im Wahlkampf nicht nur mit deren Interessen, sondern auch mit Hoffnungen und mit Illusionen. Gelegentlich handeln sie auch mit Zitronen.

Der Wähler will auf dem Weg zu Wahlurne glauben, dass blühende Landschaften schnell und ohne gigantische Investitionen machbar sind, dass sich die Atomkraftwerke sofort abschalten ließen und die Bundeswehrsoldaten von einem auf den anderen Tag aus Afghanistan zurückholen ließen. Er will glauben, dass Steuererhöhungen wirklich nur die Reichen treffen und die Mietpreisbremse nicht nur gut klingt, sondern bei der Bekämpfung der Wohnungsnot mehr ist als weiße Salbe. Er will, dass der Solidaritätszuschlag abgeschafft wird, aber will gar nicht wissen, wie der Finanzminister das Einnahmeloch in Höhe 13 Milliarden Euro schließt. Und er will auch nicht zur Kenntnis nehmen, dass die Vermögenssteuer entweder verfassungswidrig ist oder in ihrer Erhebung so aufwendig, dass sie sich für den Staat nicht lohnt. Hauptsache es riecht auf den Schlachtfeldern des Wahlkampfes nach sozialer Gerechtigkeit.

Am Ende kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Wähler im Wahlkampf betrogen werden wollen, dass die Illusionen, die sie sich am Wahltag machen, für die Demokratie konstitutiv sind. Und man kann es den Parteien deshalb nicht vorwerfen, dass sie dies möglich machen.

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