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CDU und SPD: Große Koalition der Schönredner und Realitätsverweigerer

Die Piraten stürzen das Parteiensystem in eine Krise, doch die Politiker der etablierten Parteien wollen davon nichts wissen, sie klammern sich auch nach der Landtagswahl in Schleswig-Holstein lieber an ihre machtpolitischen Illusionen.

Noch ist der Neuwahlfrühling nicht vorbei. Der letzte große Paukenschlag folgt am kommenden Sonntag in Nordrhein-Westfalen. Aber schon jetzt, nach den Landtagswahlen im Saarland Ende März und in Schleswig-Holstein am vergangenen Sonntag, sind die parteipolitischen Mega-Trends des Jahres 2012 klar zu erkennen:

CDU und SPD liefern sich ein totes Rennen um die Macht, wobei die CDU den Kopf bislang zwar knapp vorne hat, aber für eine eigene Mehrheit des bürgerlichen Lagers reicht es trotzdem nicht. Volksparteien sind CDU und SPD schon lange nicht mehr, ihre strukturelle Mehrheitsfähigkeit geht im Vielparteiensystem verloren. Die FDP bäumt sich mit einer Personality-Show gegen das drohende politische Aus, die Grünen stagnieren, die Linke ist auf dem Rückzug zurück in den Osten. Es ist zugleich nicht mehr zu übersehen: Die politischen Lager lösen sich auf, die Parteienbindungen sind erodiert und die Wähler werden immer unberechenbarer.

Die Piraten sind gleichzeitig Symptom und Katalysator dieser Transformation des bundesdeutschen Parteiensystems . Die politischen Newcomer wirbeln die bundesdeutsche Politik kräftig durcheinander. Nach Berlin und Saarland sind sie in Schleswig-Holstein nun bereits in den dritten Landtag in Folge eingezogen, niemand zweifelt daran, dass die Piraten am kommenden Sonntag auch in den nordrhein-westfälischen Landtag einziehen werden.

Wie ein politischer Staubsauger ziehen die Piraten mit ihrem billigen Populismus und ihrem sympathischen Dilettantismus derzeit alle Protestwähler an, jede Kritik hingegen perlt an ihnen ab. Ratlos blicken die etablierten Parteien auf die Erfolge der neuen politischen Konkurrenz und eigentlich müssten vor allem bei CDU und SPD die Alarmglocken schrillen. Wenn sich der Trend dieses Frühjahrs auch in das Bundestagswahljahr 2013 fortsetzt, dann brechen bundespolitisch sehr unruhige Zeiten an. Ziehen im kommenden Jahr auch in den Bundestag sechs Parteien ein, dann wird die Regierungsbildung immer schwieriger. Dann wird die Große Koalition, die eigentlich ein demokratischer Ausnahmezustand sein soll, zum machtpolitischen Dauerzustand. Setzt sich der Siegeszug der Piraten fort und danach sieht es momentan aus, dann stürzen das Parteiensystem und die Parteiendemokratie in eine tiefe Krise.

Fragt man Politiker der etablierten Parteien im vertraulichen Gespräch, sind sie sich dieser Gefahr durchaus bewusst. Doch in der Öffentlichkeit wollen sie davon nichts wissen und so herrschte auch am Kieler Wahlabend bei den Parteien einmal mehr Business as usual. Die alten Durchhalteparolen wurden ausgegeben, auch wenn sie mittlerweile ziemlich abgedroschen klingen.

Eine ziemliche große Koalition der Schönredner präsentierte sich am Wahlabend ihrem Publikum. Wieder einmal gab es, sieht man einmal von den Linken ab, nach der Landtagswahl in Schleswig-Holstein offiziell nur Wahlsieger: Die CDU hat die Wahl gewonnen, weil sie überraschend knapp stärkste Partei geblieben ist. Nun präsentieren sich die Christdemokraten als letzte Bastion der politischen Stabilität. Dabei hätte sie sich eigentlich eingestehen müssen, dass es in Schleswig-Holstein –und nicht nur dort – keine bürgerliche Mehrheit mehr gibt. In Berlin appellierten Christdemokraten in ihrer Not zugleich an die „staatspolitische Verantwortung“ der SPD. Was nichts anderes als eine Bitte ist, die Vormachtstellung der CDU im Parteiensystem anzuerkennen, die Weichen auch für den Bund auf Große Koalition zu stellen und sich mit der Juniorrolle in diesem Bündnis abzufinden.

Alle vier etablierten Parteien sind Wahlverlierer

Dazu ist die SPD natürlich nicht bereit, noch nicht. Schließlich hat sie diese Wahl eigentlich auch gewonnen. Die Sozialdemokraten haben zwar zugelegt, liegen aber trotzdem hinter der CDU. Sein eigenes Wahlziel 40 Prozent und eine rot-grüne Mehrheit hat Spitzenkandidat Torsten Albig deutlich verfehlt. Als zweitstärkste Partei kann die SPD möglicherweise trotzdem den Ministerpräsidenten stellen. Doch den Chefsessel in der Landesregierung verdankt Albig dann nur einer Besonderheit im Wahlrecht Schleswig-Holsteins. Nur weil für die Partei der dänischen Minderheit, den Südschleswigschen Wählerverband (SSW), die Fünf-Prozent-Hürde nicht gilt, können die Sozialdemokraten also weiter der Illusionen nachhängen, im kommenden Jahr sei im Bund Rot-Grün Mehrheit möglich.

Natürlich, in Schleswig-Holstein hat auch die FDP gewonnen, weil sie – Wolfgang Kubicki sei Dank – doch noch in den Landtag einziehen konnte. Abgewählt wurde die FDP aus der Landesregierung trotzdem und die Frage, wie sich die Liberalen zukünftig programmatisch positionieren wollen, kann und will der Alleinunterhalter aus dem hohen Norden nicht beantworten. Die Grünen wiederum feiern ihr Rekordergebnis und trauen sich trotzdem nicht, aus dem machtstrategischen Schatten der SPD herauszutreten und sich für Bündnisse mit der Union zu öffnen.

Die Realität nehmen die vier etablierten Parteien nicht zur Kenntnis. Denn eigentlich sind sie alle Wahlverlierer, keine von ihnen hat ihr Wahlziel erreicht, alle haben sie real Wählerstimmen verloren.

Im Gegenzug gab es bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein nur eine Partei, die auch absolut mehr Wähler gewonnen hat als beim Urnengang 2009: die Piraten. Zudem gab es bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein mehr Nichtwähler als Wähler der beiden Großen Parteien zusammen. Auch das ist ein Alarmzeichen.

Natürlich blicken nun alle Politiker gebannt nach Nordrhein-Westfalen. Bundespolitisch hat das bevölkerungsreichste Bundesland ein ganz anderes Gewicht als das kleine Schleswig-Holstein. Es wird in den letzten Tagen des Wahlkampfes noch einmal spannend. Setzt sich der Stimmungstrend der letzten Tage fort, könnte der schon sicher geglaubte Wahlsieg von Rot-Grün noch einmal in Gefahr geraten. Spätestens dann wird den Parteien niemand mehr ihre Durchhalteparolen abnehmen.

Christoph Seils leitet die Online-Redaktion des Magazins Cicero. Er ist Autor des Buches „Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien?“, erschienen im WJS-Verlag. Er schreibt an dieser Stelle wöchentlich über die deutsche Parteienlandschaft.

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