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Eine Demonstration der kapitalismuskritischen Blockupy-Bewegung in Frankfurt am Main.

© dpa

Demographie und Demokratie: Wir sind der Satan unter den Generationen

Karrieregeile, selbstsüchtige Hedonisten - von wegen. Wir machen Politik, schreibt eine junge CDU-Politikerin. Nur anders als früher. Aber eines bleibt weiter wichtig. Ein Gastkommentar

Unsere Generation ist politikverdrossen, politikmüde und unpolitisch. Wir sind eine Garde ignoranter Egoisten. Selbstsüchtig und rücksichtslos, karrieregeil und hedonistisch. Wir beten in Konsumtempeln statt in Gotteshäusern, polieren unseren Lebenslauf statt Autos für den guten Zweck und erheben unser Glas statt unsere Stimme. Gesellschaftlicher Zusammenhalt ist für uns bloß Utopie, der pervertierte Individualismus gelebte Wirklichkeit. Wir sind der Satan unter den Generationen. Weil wir weder Krieg noch Hunger kennen, feiern wir uns gesinnungs- und
besinnungslos.

So oder so ähnlich klingt es in vielen der mittlerweile unzähligen aktuellen Generationenportraits. Manche sind vorwurfsvoller im Ton, manche lassen mehr Verständnis walten. Wir armen Kids haben zwischen G8 und Bologna-Reform ja auch keine andere Wahl. Die Wahrheit aber ist: stimmt alles nicht. Unsere Generation ist politischer und engagierter denn je.

Zahlen sind Zahlen sind Zahlen. Und Zahlen lügen nicht. Die Abkehr von den klassischen Formen gemeinnützigen Engagements ist nicht zu leugnen. Wir treten weniger in Parteien ein und öfter aus der Kirche aus. Wir meiden eintönige Bürgersprechstunden und kriegen Ausschlag von selbstgerechten Abgeordnetenmonologen. Wir haben keinen Bock auf undurchsichtige Parteihierarchien, pedantisches Satzungsgedöns und strikte Anwesenheitskultur. Wir wollen uns nicht anziehen wie Aristokraten und nicht sprechen wie Diplomaten. Wir wollen Öffentlichkeit statt Hinterzimmer, Kontroverse statt Beifall auf Bestellung und Repräsentanten, die diesen Titel auch verdienen.

Also ja, zugegeben: Wir kneifen vorm Parteiengagement. Denn Partei ist langsam und behäbig, elitär und antiquiert und so voller fauler Kompromisse. Aber Partei ist eben nicht gleich Politik. Politik ist so viel mehr. Politik ist das Aufstehen und Anpacken für das große Ganze. Für die Gemeinheit. Für die res publica und für die Eine Welt.

Wir haben uns emanzipiert von der Staatsgläubigkeit

Und wir machen Politik. Wir marschieren als Occupy oder Blockupy in basisdemokratischen Graswurzelbewegungen durch das Frankfurter Bankenviertel oder schwenken auf Spontandemonstrationen Fahnen und Plakate gegen religiösen Fanatismus. Wir stimmen bei Volksbegehren für die Rückkehr zu den alten Schulmodellen und bei Bürgerentscheiden für das richtige Miteinander von Infrastruktur und Umwelt.

Über Ein-Klick-Petitionen sammeln wir Unterschriften für ein Meer ohne Plastik und auf CrowdfundingPlattformen Gelder für den unabhängigen Journalismus. Mit unseren Social-Media-Kampagnen scheffeln wir Aufmerksamkeit, Eiswasser und Spenden für die Medizinforschung und über Hashtags schaffen wir Sensibilität für Sexismus, Homophobie und Rassismus im Alltag.

Auf Benefizkonzerten musizieren wir für die Opfer von Flutkatastrophen, sozial benachteiligten Schülern geben wir kostenlose Nachhilfe und Flüchtlingsfamilien begleiten wir bei Behördengängen. Wir teilen Lebensmittel gegen Verschwendung und Autos gegen Luftverschmutzung. Beim guerilla gardening säen wir Pflanzensamen auf öffentliche Grünflächen und plädieren für Nachhaltigkeit und Selbstversorgung.

Als critical mass radeln wir durch laute Innenstädte und werben für mehr Rechte für den ummotorisierten Individualverkehr. Kaffeebohnen, Hühnereier und Wollpullover dürfen etwas mehr kosten, wenn wir damit Gutes tun, und social startups mögen von uns gesegnet sein. Wir bloggen über das, was uns bewegt, reflektieren öffentliche Debatten und setzen neue Impulse und das alles ohne Volontariat. Wir machen und machen und machen.

Demokratie wächst von unten und wir sind ihre Sprösslinge. Wir machen mehr, als bloß alle vier Jahre eine Stimme zu delegieren. Wir bewegen uns im Bewusstsein unseres vollwertigen Bürgerseins. Wir haben uns emanzipiert von der Ohnmacht allumfassender Staatsgläubigkeit. Wir verändern die Welt fern ungelenker Staatsapparate. Wir leben Empörung, weil Empörung Anfang allen Wandels ist. Unser Engagement verstaubt nicht als Parteibuch in der Schublade oder trägt sich als Mitgliedsorden an der Weste. Unser Engagement schlägt in unserer Brust und erblüht bei jeder Alltagsentscheidung. Wir sind Antreiber und Pioniere, kreativ und konstruktiv und sprühen nur so vor Tatendrang und Schaffenslust. Wir sind die Generation Bürgergesellschaft.

Parlamentsarbeit bleibt Politikmacher Nummer eins - und das ist gut so

Das ist so. Und dennoch schmälert all das nicht, wozu die klassischen Parteien und ihre Mandatsträger bevollmächtigt sind. Die neuen Formen gemeinnützigen Engagements lösen die alten nicht ab. Sie sind bloß dazugekommen. Während unser Engagement projekt- und themenbezogen, zeitlich beschränkt und auch unverbindlich sein kann, vieles auch bloß destruktiver Protest und skandalisierendes Wutbürgertum ist, bleibt die demokratisch legitimierte und alle Interessen austarierende Parlamentsarbeit unangefochtener Politikmacher Nummer eins und das ist auch gut so.

Diana Kinnert
Diana Kinnert war Mitglied des Jugendbeirats der Konrad-Adenauer-Stiftung sowie der CDU-Bundeskommission zur Parteireform unter CDU-Generalsekretär Peter Tauber. Sie engagiert sich unter anderem als Teil der Zukunftslobbyisten "Die jungen Elf" und schreibt eine Kolumne für das Debattenmagazin "The European".

© promo

Noch immer sind es die Parteien, die am Ende des Tages die Deutungshoheit über den Begriff des Gemeinwesens besitzen und unser Gemeinwohl in Gesetzesform zu gießen versuchen. Es liegt in der Macht der Parteien, Abkommen zum Datenschutz abzuschließen, Flüchtlingspolitik zu gestalten, in Bildung zu investieren und den Klimawandel aufzuhalten. Es sind die Parteien, die die Impulse und Ideen der Bürgergesellschaft aufgreifen können, es aber nicht zwingend tun müssen. Das Parteienparlament ist dazu imstande, ein jedes Bürgerleben auch gegen persönlichen Willen zu bereichern oder zu beschneiden. Fällt dieses politische Wirken für den einen oder anderen unbefriedigend aus, hat das formal keinerlei Konsequenzen. Der Wirkungsgrad von Politik bleibt derselbe. Und das ist die Crux.

Wir dürfen stolz sein auf die Lebendigkeit unserer Zivilgesellschaft, auf ihren hohen Organisationsgrad und die Ernsthaftigkeit, mit der so viele von uns Politik ganz selbstverständlich im Alltag leben. Unsere neue Selbstgefälligkeit darf uns aber nicht blenden: Politik geht nicht ohne Partei. Das allein muss Berufung für uns alle sein, die Parteien nicht abzuschreiben, sondern sich auch innerhalb ihrer Strukturen für den politischen Kurs einzusetzen, den wir für gut und richtig halten. Und wenn man einmal drin ist, ist ein Jeder von uns dazu aufgerufen, sich für die Parteistrukturen stark zu machen, die sich der Bürger von heute wünscht. Nicht meckern. Machen.

Diana Kinnert (23) ist Mitglied des Jugendbeirats der Konrad-Adenauer-Stiftung sowie der CDU-Bundeskommission zur Parteireform unter CDU-Generalsekretär Peter Tauber. Auf dem Demographie-Kongress der Konrad-Adenauer-Stiftung Ende November diskutierte Diana Kinnert zum Thema Jugend und Demokratie. Daraus entstand dieser Text.

Diana Kinnert

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