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Horst Seehofer steht nach dem Olympia-Volksentscheid ziemlich blamiert da. Das wäre der Kanzlerin wohl nicht passiert.

© dpa

Die CDU in den Koalitionsverhandlungen: Angela Merkel hat den Demokratiewandel verstanden

Ohne Plan gehe die CDU in die Koalitionsverhandlungen mit CSU und SPD, klagen Kritiker. Doch vielleicht hat Angela Merkel nur besser verstanden, dass die Parteien sich wandeln müssen, wenn sie überleben wollen.

In Bayern wird es keine Olympischen Winterspiele geben. In einem Bürgerentscheid haben die Einwohner der Städte München, Garmisch-Partenkirchen, Traunstein und Ruhpolding mehrheitlich gegen das sportliche Großereignis gestimmt. Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) und der Münchener Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) sowie die Pro-Olympia-Parteien, die rund 85 Prozent der bayerischen Wähler repräsentieren, stehen nun ziemlich blamiert da. Selbst mit der geballten Unterstützung der Wirtschaft und der Sportverbände haben sie nicht genügend Menschen vom Sinn und Nutzen von Olympia 2022 sowie von den guten Absichten des IOC überzeugen können.

Seehofer und Gabriel blasen die Backen auf

Angela Merkel, so könnte man vermuten, wäre das nicht passiert. Es ist nicht ihre Art, sich an die Spitze der Bewegung zu stellen. Womit wir bei den Koalitionsverhandlungen in Berlin wären, bei der Suche nach einer neuen Bundesregierung und nach einer vertraglichen Grundlage, auf deren Basis CDU, CSU und SPD vier Jahre miteinander regieren können.

CSU und SPD haben in diesen Koalitionsverhandlungen mächtig die Backen aufgeblasen. Die Parteivorsitzenden Horst Seehofer und Sigmar Gabriel sind eifrig darum bemüht, dem Bündnis ihren Stempel aufzudrücken. Ohne PKW-Maut beziehungsweise ohne einen Mindestlohn von 8,50 Euro wollen sie einer Großen Koalition ihren Segen verweigern. Wobei dem Christsozialen sein eigener Ego im Nacken sitzt und dem Sozialdemokraten die Parteibasis.

Auch die Fachpolitiker der Parteien geben ihr Bestes, kämpfen sich Spiegelstich für Spiegelstrich in den zahllosen Arbeitsgruppen durch die politische Agenda und vermelden nach dem Motto „einer für mich, einer für dich“ teure Kompromisse.

CDU – Partei ohne Plan?

Und was macht Angela Merkel? Die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende, die eigentlich die große Wahlsiegerin vom 22. September ist, schaut seelenruhig zu, wie CSU und SPD gemeinsam das Fell verteilen. Die CDU hingegen steht als Partei ohne Plan da, ohne Kernforderungen und ohne Kompass. Die christdemokratische Basis wird langsam nervös, die Abgeordneten streiten über PKW-Maut und Mindestlohn, der Wirtschaftsflügel ist ob der vielen sozialpolitischen Versprechen schon auf den Barrikaden.

Hat die CDU also die Koalitionsverhandlungen schon verloren, wie die Süddeutsche Zeitung mutmaßt, zahlt Merkel einen zu hohen Preis für das Bündnis mit der SPD?

Gemach. Der letzte Politiker, der bei Koalitionsverhandlungen den Mund zu voll genommen hat, hieß Guido Westerwelle. Der damalige FDP-Vorsitzende tönte vor vier Jahren, seine Partei habe in den Koalitionsverhandlungen alle liberalen Kernforderungen durchgesetzt; auch Steuersenkungen wurden verabredet. Der Rest der Geschichte ist bekannt. Die FDP führt mittlerweile die außerparlamentarische Opposition an, auf Steuersenkungen wartet sie immer noch.

Ähnlich könnte es in den kommenden Jahren auch CSU und SPD gehen. Die PKW-Maut ist noch lange nicht Realität, auch wenn das Wort wohl im Koalitionsvertrag stehen wird. Denn vor der Einführung der Maut braucht es ein Konzept, das realitätstauglich ist.

Tücken bei Maut und Mindestlohn

Und dann braucht es ein Gesetz, das dem europäischen Recht standhält. Und nach Lage der Dinge bringt die Maut entweder ziemlich wenig ein, weil nur Ausländer auf der Durchfahrt diese zahlen. Oder es blechen alle Autofahrer – und zwar ordentlich, damit das eingenommene Geld tatsächlich reicht, um alle Schlaglöcher zu beseitigen und alle maroden Brücken zu sanieren. Dann allerdings könnte in Deutschland ein Proteststurm anschwellen, dem auch Horst Seehofer kaum wird standhalten können.

Auch ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn ist schneller gefordert als eingeführt. Die Tücken liegen auch hier im Detail und im Verfassungsrecht. Denn einerseits darf der Mindestlohn die Unternehmen nicht überfordern, weil er sonst viele Arbeitsplätze vernichtet, vor allem in Ostdeutschland. Deshalb wird er vermutlich nur schrittweise eingeführt. Andererseits wird sich noch herumsprechen, dass ein Mindestlohn in vielen Branchen auch ein Einstiegslohn wäre, der das Lohnniveau insgesamt senkt. Nicht jeden Arbeitnehmer wird das freuen, auch die Gewerkschaften nicht.

Hinzu kommt, dass das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe das letzte Wort darüber sprechen wird, ob sich ein gesetzlicher Mindestlohn mit der durch das Grundgesetz geschützten Tarifautonomie vereinbaren lässt.

Es könnte also durchaus Gründe dafür geben, dass sich Merkel mit präsidialer Geste zurücklehnt und abwartet. Schließlich wird in Koalitionsverhandlungen die komplexe politische Realität nur mehr schlecht als recht simuliert. Ernst wird es erst später.

Wenn es mit der PKW-Maut und dem Mindestlohn dann klappt, kann die Kanzlerin immer noch auf die Projekte aufspringen und als ihre verkaufen. Scheitern sie, haben Seehofer und Gabriel das Problem.  Ähnlich agierte die Kanzlerin zuletzt auch bei den großen politischen Projekten ihrer Kanzlerschaft: bei der Eurorettung, der Energiewende und der Haushaltssanierung.

Abkehr von der Lagerlogik

Vermutlich hat Angela Merkel vor allem besser verstanden, dass die Parteien sich in der postmodernen Demokratie wandeln und von der Lagerlogik verabschieden müssen, wenn sie überleben wollen. Es kommt nicht mehr darauf an, große Ideen zu propagieren, sondern die Stimmung der Menschen aufzunehmen. Es kommt nicht darauf an, möglichst viel anzupacken, sondern vor allem für eine politische und ökonomische Wohlfühlstimmung zu sorgen.

Nicht mit polarisierenden Machtworten gewinnt sie Vertrauen, sondern mit Geduld und mit Trippelschritten. Notfalls auch mal mit einer politischen Kehrtwende. Es kommt nicht darauf an, in der politischen Lagerordnung klare politische Standpunkte zu propagieren, sondern das Fähnchen nach dem Wind zu hängen.

Die Wähler nehmen das nicht übel, solange sie sich um ihre Zukunft keine großen Sorgen machen müssen. Deutschland geht es gut, so lautete die entscheidende CDU- Botschaft im Wahlkampf, vor allem deshalb hat Merkel die Bundestagswahl gewonnen. Wen interessiert hierzulande schon, dass anderswo in Europa Menschen die Zeche dafür zahlen.

Windfähnchen statt Basta-Politiker

Die Basta-Politiker und Alpha-Männchen hingegen haben ausgedient. Die Zeiten, in denen eine Regierung einfach durchregieren konnte, scheinen vorbei. Die Zeiten, in denen Volksparteien effektive Transmissionsriemen waren, mit denen sich einerseits die Interessen der Wähler aufnehmen ließen und andererseits politische Reformen anschließend von oben nach unten durchgesetzt werden konnten, sind lange vorbei.

Die Wähler sind eigenständig und eigenwillig, sie sind launisch, schnell enttäuscht und unberechenbar. Ihre Interessen sind heterogen und widersprüchlich. So spontan sie sich für ein gutes oder vermeintlich gutes politisches Projekt begeistern können, so schnell wenden sie sich wieder ab, wenn sich der Preis herumspricht.

Der letzte große Basta-Politiker hieß übrigens Gerhard Schröder, nach sieben Jahren war der Sozialdemokrat gescheitert. Angela Merkel regiert nach dem Motto „hier stehe ich und kann auch anders“ schon jetzt ein Jahr länger als ihr Vorgänger. Ein Ende ihrer Kanzlerschaft ist nicht abzusehen.

Wenn Merkel es schafft, die Christdemokraten auf dem Weg zu einer postmodernen Partei neuen Typs mitzunehmen, dann könnte es noch eine lange Ära werden.

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