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Schon jetzt ist der Euro-Raum ein zerfasertes Gebilde aus losen Verträgen und Sondervereinbarungen. Und im Zuge des aktuellen Krisenmanagements droht die Spaltung Europas noch schlimmer zu werden.

© dpa

Differenzierte Integration: Den Euro retten, ohne Europa zu spalten

Eine vertiefte Zusammenarbeit zur Überwindung der Schuldenkrise ist nur über das Mittel der differenzierten Integration zu erreichen. Diese sollte aber, so Nicolai von Ondarza, möglichst durchlässig und im Rahmen der EU-Verträge gestaltet werden.

In der EU steht aktuell wieder eine große Reform der europäischen Verträge im Raum, um langfristig der Schuldenkrise Herr zu werden. Die Kernpunkte der Pläne, die bis Ende des Jahres von EU-Ratspräsident Van Rompuy und seinen Kollegen in der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank und der Eurogruppe ausgearbeitet werden, enden alle auf das Wort "Union": Bankenunion, Fiskalunion, Wirtschaftsunion. In Deutschland wird zudem intensiv über die Politische Union diskutiert. Eine zentrale Frage aber wird vernachlässigt: Über die Union welcher Staaten reden wir eigentlich? Die Wirtschafts- und Währungsunion der Euro-17, die Europäische Union von 27 Staaten oder ein diffuses "Europa à la carte" mit variierender Zusammensetzung?

Die Krisenpolitik spaltet die EU

Bereits jetzt ist festzustellen: Die Reformen zur Bekämpfung der Schuldenkrise haben die EU tief gespalten. Schon der Euro ist mit seinen 17 Staaten ein Projekt der so genannten "differenzierten Integration", an dem sich nicht alle EU-Länder beteiligen. Doch im Rahmen der Schuldenkrise hat die Differenzierung eine neue Qualität erreicht, die das Regieren, die Machtbalance und den Zusammenhalt in der EU nachhaltig verändert. Eigene Sonderinstitutionen für die 17 Eurostaaten und zwischenstaatliche Vereinbarungen außerhalb der EU wie der Euro-Plus-Pakt (23 Staaten) und der Fiskalpakt (25 Staaten) zerfasern die Union in unterschiedliche Formate.

Nach und nach haben sich in der EU drei Gruppen von Staaten herausgebildet. Auf der einen Seite stehen die Euro-17, die unter dem Druck der Krise immer enger wirtschaftlich und politisch zusammenarbeiten. In den letzten Jahren wurden die wichtigsten politischen Entscheidungen auf europäischer Ebene zunehmend auf den so genannten 'Eurogipfeln' getroffen, dem neuen Forum für die Staats- und Regierungschef der Eurostaaten. Auch die aktuell diskutierten Reformkonzepte im Banken-, Fiskal- und Wirtschaftsbereich konzentrieren sich hauptsächlich auf die Euro-17.

Weitgehend außen vor bleiben dabei die so genannten "Pre-Ins", also Staaten wie Polen, die sich vertraglich zur Übernahme des Euros verpflichtet haben und ihm langfristig beitreten wollen. Ihre Bereitschaft haben sie zusätzlich mit ihrer Beteiligung am Euro-Plus-Pakt, dem Fiskalpakt und zum Teil sogar an den Rettungspaketen für Eurostaaten unterstrichen. Dafür verlangen sie im Gegenzug, bereits jetzt an den Beratungen über die Zukunft des Euros beteiligt zu werden. Bleibt ihnen dies weiterhin verwehrt, drohen sie auf EU-Ebene mit Blockade.

Es bleibt eine dritte Gruppe von Außenseiterstaaten wie Großbritannien, Tschechien oder Schweden, die sich dauerhaft nicht am Euro und der vertieften Integration in Haushalts- und Fiskalfragen beteiligen will. Insbesondere in London fordern Teile der regierenden Konservativen, nicht nur an den bestehenden Sonderregelungen festzuhalten, sondern diese noch auszuweiten und den Status Großbritanniens in der EU neu zu verhandeln. Doch auch die Zustimmung - und Ratifikation - dieser Staaten ist notwendig, um die EU-Verträge zu reformieren.

Die Differenzierung aktiv gestalten.

Neben den hochkomplexen politisch-inhaltlichen und den demokratisch-legitimatorischen Fragen steht die EU in der Schuldenkrise also vor einer dritten, nicht minder großen Herausforderung: Den Zusammenhalt zwischen Euro-17, Pre-Ins und dauerhaften Außenseitern zu wahren. Wenn die avisierten Reformen im EU-Rahmen umgesetzt werden sollen, müssen alle 27 Mitgliedstaaten der Vertragsänderung zustimmen. Die Außenseiterstaaten aber werden ihre Zustimmung verweigern, wenn dies bedeutet, dass sie sich an allen Integrationsschritten beteiligen müssen. Versuche, die Reformen nur auf die Eurozone zu beschränken, würden wiederum an einem Veto der "Pre-Ins" scheitern. Für die Reformer muss also klar sein: Eine vertiefte Zusammenarbeit zur Überwindung der Schuldenkrise, wie sie die Bundesregierung anstrebt, wird nur über das Mittel der differenzierten Integration zu erreichen sein.

Insbesondere die deutsche Europapolitik als treibende Kraft hinter dem Euro-Krisenmanagement sollte sich daher intensiv mit der differenzierten Integration auseinandersetzen. Der erste Schritt sollte darin bestehen, die flexible Zusammenarbeit als die primäre Integrationsmethode in der EU anzuerkennen. Vor- und Nachteile derselben sollten offen mit Partnern und Öffentlichkeit diskutiert werden. Zu lange wurde in der europapolitischen Debatte normativ vor einer "drohenden Spaltung" und "Mitgliedschaften zweiter Klasse" gewarnt. Dennoch ist die Differenzierung bei jeder Vertragsänderung und jedem Reformschritt in der Schuldenkrise ausgeweitet worden. Gefordert ist nunmehr ein selbstbewusster Umgang mit dieser Differenzierung, um mit möglichst vielen Mitgliedstaaten gemeinsam voranschreiten und politische Konzepte für die Zukunft der Währungsunion entwickeln zu können.

In einem zweiten Schritt ist es notwendig, die differenzierte Integration mit den Partnern auszugestalten. Bislang haben die Euro-Staaten in der Schuldenkrise den Weg maximaler Flexibilität gewählt, indem sie mit Fiskalpakt und Euro-Plus-Pakt völkerrechtliche Verträge außerhalb des EU-Rahmens geschlossen haben. Wird dieser Weg weiter verfolgt, droht eine Entkoppelung der Eurozone und damit langfristig eine Zerfaserung der EU. Stattdessen sollten bei der kommenden Reform für alle Projekte differenzierter Integration zwei Leitlinien vereinbart werden: Erstens sollte die Zusammenarbeit der Euro-17 so durchlässig gestaltet werden, dass die "Pre-Ins" ohne Stimmrecht an Beratungen teilnehmen können. So wächst deren Bereitschaft, der Reform zuzustimmen. Zweitens sollten sich die Euro-Reformer auf Instrumente der differenzierten Integration beschränken, die im Rechtsrahmen der EU möglich sind, um eine Zerfaserung der EU zu verhindern. Nicht zuletzt sollten Deutschland und seine Partner darauf hinarbeiten, Fiskalpakt und Euro-Plus-Pakt im Zuge der Reform in die EU-Verträge zu integrieren.

Nicolai von Ondarza forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) u.a. zur institutionellen Weiterentwicklung der Europäischen Union. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Artikel erscheint auf der SWP-Homepage in der Rubrik "Kurz gesagt". Von Nicolai von Ondarza ist jüngst die SWP-Studie "Zwischen Integrationskern und Zerfaserung. Folgen und Chancen einer Strategie differenzierter Integration" erschienen.

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