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Gastbeitrag: Deutschland am Pranger - die New York Times irrt

Die "New York Times" kritisiert Deutschland für seine Reaktion auf die Finanzkrise scharf. Marc Young von unserem Kooperationspartner "The Local" schreibt hier, warum die Kritik an Berlin naiv und falsch ist.

Ich weiß sehr wohl, dass die "New York Times" dieser Tage mit schmerzlichen Budgetkürzungen zu kämpfen hat, aber einen "Bild"-Artikel durch Google-Übersetzungen zu jagen, ist keine gute Basis für einen Hetzartikel.

Amerikas angesehenste Zeitung veröffentlichte in der vergangenen Woche eine scharfe Kritik an Deutschlands Reaktion auf die Finanzkrise der Eurozone, ausgelöst durch Griechenlands hohe Verschuldung. Unter dem Titel “Deutschland gegen Europa,” zeichnet der Beitrag das hässliche Bild eines herzlosen, selbstsüchtigen Deutschlands, das sich in Krisenzeiten auf kleinliche, nationalistische Tendenzen zurückbesinnt.

Darüber hinaus zitiert der Artikel ausgerechnet die "Bild"-Zeitung als Beispiel dafür, wie weit verbreitet diese Griechenfeindlichkeit im Land sei. Die barbarischen Deutschen verlangen von den Griechen den Verkauf der Akropolis! Die Deutschen wollen die faulen Griechen aus der Eurozone schmeißen!

Dabei war diese Anti-Griechenland-Kampagne der "Bild"-Zeitung nichts anderes als der für die Boulevardpresse typische Versuch, mit Populismus Zeitungen zu verkaufen. Würde die "New York Times" jemals einen Leitartikel zur US-Gesundheitsreform auf die Berichterstattung bei "Fox News" stützen? Die Jungs im Axel-Springer-Turm sind vermutlich vor Aufregung ganz aus dem Häuschen, dass sie Amerikas wichtigste Tageszeitung mit solch offensichtlich absurder Berichterstattung hereingelegt haben.

Zusätzlich zu diesem atemberaubenden journalistischen Fehltritt attackiert der Leitartikel Deutschland für seine Weigerung, einfach das Scheckbuch zu öffnen und für die Probleme der Europäischen Union zu blechen, wie es in der Nachkriegszeit oft genug der Fall war.

Darf Deutschland keine nationalen Interessen vertreten?

Sicherlich ist die Kritik an Kanzlerin Angela Merkels schwacher Vorgehensweise zur griechischen Krise gerechtfertigt. Ich selbst habe davon reichlich verteilt. Aber ist die Chefredaktion der "New York Times" so naiv zu glauben, dass amerikanische Politiker sich nicht von nationalen Interessen leiten lassen?

Niemand bei der "Times" hätte jemals die USA oder Frankreich dafür kritisiert, für ihre nationalen Interessen einzustehen. Nur wenn Deutschland plötzlich seine Ansprüche verfechten will, kann eine solch angesehene Zeitung sich anmaßen, von “nationalistischen Illusionen” zu sprechen und damit Bilder von bestiefelten Verbrechern heraufzubeschwören, die über den Rhein setzen.

Lieber Schulden machen wie US-Konsumenten?

Was vielleicht am absurdesten ist: dass die "Times" Deutschland ein schwaches Lob dafür ausgesprochen hatte, im Gegensatz zu anderen EU-Staaten und den USA finanzpolitisch nicht ganz so waghalsig agiert zu haben, wohingegen jetzt von Berlin verlangt wird, mit vollen Händen Geld auszugeben, um die Weltwirtschaft vor dem sicheren Untergang zu bewahren. Vielleicht sind die Fachmänner in Midtown Manhattan auch der Meinung, deutsche Konsumenten sollten so hohe Kreditkartenschulden einfahren wie ihre amerikanischen Cousins, um die Inlandsnachfrage anzukurbeln?

Es ist wohl kein Zufall, dass die Zeitung diesen Artikel am selben Tag veröffentlich hat, an dem US-Finanzminister Tim Geithner in Berlin war, um Deutschland zu drängen, mehr für die Weltwirtschaft zu tun. Es bleibt allerdings zweifelhaft, ob die Redakteure der Times mit ihrem schlecht informierten Angriff Präsident Obama irgendeinen Gefallen getan haben.

Wenn die Meinungsseite der "New York Times" Deutschland das nächste Mal soviel Platz widmen möchte, sollten die Redakteure vielleicht zunächst "The Local" lesen. Wir sind gerne bereit, ihnen die genaueren Zusammenhänge darzulegen – und sie müssten noch nicht einmal Google-Übersetzungen in Anspruch nehmen.

Marc Young ist Chefredakteur der Internetzeitung "The Local", die in englischer Sprache aus Deutschland berichtet und in Berlin ansässig ist. Dieser Kommentar wurde von Natascha Hoffmeyer aus dem Englischen übersetzt.

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