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Das Wahlergebnis ist mehr als eine Momentaufnahme, meint Muriel Asseburg in einem Gastbeitrag.

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Gastbeitrag: Netanjahus Pyrrhus-Sieg macht keine Hoffnung auf Frieden

Eine Zweistaatenregelung ist nach den israelischen Parlamentswahlen nicht wahrscheinlicher geworden. Die Europäer sollten dennoch Verhandlungen anstoßen, findet Gastautor Muriel Asseburg. Doch auch die USA müssen dazu mitspielen.

Die Wahlen zur 19. Knesset haben ein Parlament hervorgebracht, in dem die rechten Parteien die Hälfte der Sitze einnehmen: nach heutigem Stand gehören 60 von insgesamt 120 Abgeordneten rechts-säkularen oder rechts-religiösen Parteien an. Das Wahlbündnis Likud Beitenu konnte die meisten Stimmen auf sich vereinen; es wird 31 Abgeordnete stellen. 27 Abgeordnete sind dem Zentrum zuzuordnen. Die jüdische Linke (21) und die arabischen Parteien (12) kommen zusammen auf 33 Sitze.

Längerfristige Trends

Dabei ist das Wahlergebnis mehr als eine Momentaufnahme: Es spiegelt längerfristige Trends in der israelischen Gesellschaft wider. Dazu gehört erstens, dass gemäß Umfragen zwar nach wie vor eine Mehrheit in Israel grundsätzlich eine Zweistaatenregelung unterstützt, sich aber dadurch kaum mehr jemand einen Zuwachs an Sicherheit oder gar eine Befriedung verspricht. Zudem hat eine überwältigende Mehrheit der Israelis die Hoffnung aufgegeben, dass sich durch Verhandlungen ein tragfähiger Kompromiss erreichen ließe – eine Einschätzung, die im Übrigen von einer großen Mehrheit in der palästinensischen Bevölkerung geteilt wird. Dementsprechend hat im Wahlkampf, abgesehen von der ehemaligen Kadima-Vorsitzenden und Außenministerin Tzipi Livni, auch niemand den Friedensprozess zum Hauptthema gemacht. Eine glaubwürdige Alternative zu Netanjahus Politik gegenüber den Palästinensern (sowie in Bezug auf andere Sicherheitsfragen wie Iran und die regionalen Beziehungen) hat keine politische Kraft vorgelegt. 

Der zweite Trend ist das relative Anwachsen von Bevölkerungsteilen mit einer illiberalen politischen Kultur. Insbesondere Vertreter des ultraorthodoxen Spektrums zeigen intolerante Ansichten gegenüber Minderheiten und Andersdenkenden (Ultraorthodoxe machen heute bereits rund 10 Prozent der jüdischen Bevölkerung Israels aus). Dies führt insgesamt zu einem Erstarken der politischen Rechten. Daher ist es den Kräften der Linken in diesem Wahlkampf auch nur bedingt gelungen, die landesweiten Sozialproteste 2011 in politisches Kapital umzumünzen. Dennoch sind die Arbeitspartei (15) und Meretz (6) gestärkt aus den Wahlen hervorgegangen. Das Zentrum verfügt über annähernd die gleiche Sitzzahl wie zuvor: Kadima, die in der letzten Knesset noch die größte Partei war, kann zwar nur noch zwei Sitze beanspruchen; zusammen mit der neuen Partei von Livni Hatnuah (6) und der Partei Jesh Atid des Überraschungsaufsteigers Jair Lapid (19) kommt sie aber auf 27.

Schlechte Aussichten für einen Wiedereinstieg in Verhandlungen

Benjamin Netanjahu hat angekündigt, eine breite Koalition zu bilden. Er dürfte sich daher bemühen, neben zumindest einer der ultraorthodoxen Parteien die Parteien des Zentrums ins Boot zu holen. Allerdings geht er geschwächt in die Koalitionsverhandlungen. Denn sein Wahlbündnis hat an Unterstützung verloren (nur noch 31 statt 42 Sitze); seine Politik, die auf Angst gebaut und keine der innen- und wirtschaftspolitischen Herausforderungen erfolgreich gemeistert hat, ist abgestraft worden. Offen ist, ob auch Aufsteiger Naftali Bennett, der eine Annexion der sogenannten C-Gebiete (rund 60 Prozent der West Bank) fordert, in der nächsten Regierung vertreten sein wird.

Seine nationalreligiöse Partei konnte mit 11 Sitzen große Zugewinne verzeichnen. Doch selbst wenn statt seiner Habajit Hajehudi eine Partei des Zentrums in einer Koalitionsregierung vertreten ist, wird dies keine friedenspolitische Wende bedeuten. Denn Netanjahu selbst hat in seiner viel beachteten Rede an der Bar Ilan Universtität 2009 lediglich ein taktisches Bekenntnis zur Zweistaatenlösung abgelegt und bereits eine Forcierung des Siedlungsbaus angekündigt. Und im Likud selbst hat sich in den Vorwahlen im November 2012 der Flügel der Groß-Israel-Ideologen und Siedlervertreter durchgesetzt.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum es nach der Israel-Wahl nach einer Politik der Stärke aussieht.

Die Aussichten auf eine Wiederaufnahme von ernsthaften Verhandlungen, die zu einem Ende der israelischen Besatzung in den palästinensischen Gebieten und zu Frieden führen, sind damit schlecht. Nicht zuletzt angesichts des als bedrohlich gesehenen Umfelds des Landes dürfte weiter eine Politik der Stärke verfolgt werden. Dabei läge es auch im Interesse Israels, die Besatzung zu beenden und zu einem Ausgleich mit den Palästinensern zu kommen. Denn Israel kann angesichts der demographischen Entwicklung nur dann ein Staat mit jüdischer Mehrheit bleiben, wenn es sich aus den 1967 besetzten Gebieten zurückzieht. Die Europäer sollten daher, etwa durch die EU3 (Deutschland, Frankreich, Großbritannien), nach der Regierungsbildung in Israel die Initiative ergreifen, Verhandlungen erneut anzustoßen.

Dies wird allerdings nur dann zielführend sein, wenn die Parameter für die Verhandlungen entlang der Linie, die die EU3 bereits im Februar 2011 im UN-Sicherheitsrat vorgestellt haben, vorher festgelegt werden. Dazu gehören: eine territoriale Regelung auf Basis der Grenzen von 1967 mit vereinbartem Gebietstausch; Sicherheitsarrangements, die die Bedürfnisse beider Seiten berücksichtigen; eine gerechte, für die Konfliktparteien und die Hautptaufnahmestaaten akzeptable Regelung für die Flüchtlingsfrage sowie Jerusalem als Hauptstadt beider Staaten.

Die Details wären dann zwischen den Konfliktparteien zu verhandeln. Ferner müssten Aufsichtsmechanismen für Schritte hin zu einer Regelung (wie bereits in der Roadmap von 2003 vorgesehen, aber nicht umgesetzt) etabliert und die Konsequenzen eines Scheiterns ausbuchstabiert werden. Konkret könnte dies etwa bedeuten, den Weg für ein Gutachten des Internationalen Gerichtshofes zur Konfliktregelung und deren Umsetzung durch den UN-Sicherheitsrat frei zu machen. Ein solcher Ansatz ergibt freilich nur dann Sinn, wenn er von den USA unzweideutig mitgetragen wird – was die Parameter, die Aufsichtsmechanismen und die Konsequenzen eines Scheiterns angeht. Die Alternative ist nicht das harmonische Zusammenleben in einem Staat zwischen Mittelmeer und Jordan, sondern das Andauern von Konflikt und Gewalt.

Dr. Muriel Asseburg ist Senior Fellow an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und forscht dort u.a. zum Nahostkonflikt und zur internationalen Politik gegenüber der Region. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Artikel erscheint auf der SWP-Homepage in der Rubrik "Kurz gesagt".

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