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Ex-Justizsenator Michael Braun scheut das Wort Rücktritt.

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Gastkommentar: Der Fall Braun: Bitte um Entlassung ist ein Rücktritt

Ex-Justizsenator Michael Braun scheut das Wort Rücktritt. Es geht um sein Übergangsgeld von 50.000 Euro. Für Percy MacLean, Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Berlin, ein Unding.

Auf die Frage, ob er den Unterschied zwischen der "Bitte um Entlassung" und einem "Rücktritt" kenne, sagte Klaus Wowereit gegenüber der Presse verräterisch: "Fragen Sie doch bitte Herrn Braun dazu." Doch dem Betroffenen selbst in dieser Sache die haarspalterische Interpretationshoheit zu überlassen, ist eine weitere Posse "aus dem Leben eines Winkeladvokaten", wie der Tagesspiegel so zutreffend die empörten Leserbriefe zur Versilberung des Senatoren-Rücktritts überschrieb.

Erfolgversprechender ist es, den Sachverhalt einer rein objektiven Prüfung zu unterziehen; und dann spricht viel dafür, die Erklärung von Herrn Braun, die in der Öffentlichkeit ohnehin durchweg als "Rücktritt" verstanden und bezeichnet wurde, auch als solchen zu bewerten – mit der Folge, dass kein Übergangsgeld in Höhe von 50.000,-- Euro anfällt.

Willenserklärungen sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Was bedeutet danach die von Herrn Braun geäußerte Bitte, ihn zu entlassen?  Nach dem Gesetz endet das Amt von Senatoren entweder durch Rücktritt oder Entlassung. Unter Rücktritt versteht man das vorfristige Niederlegen eines Amtes (möglicherweise aufgrund politischen Drucks, jedoch letztlich aus eigener Initiative), wobei es sich nach dem Historiker Michael Philipp entweder um einen "Normalfall der Demokratie" oder - wie im Falle von Michael Braun - um den "Störfall" nach einem Aufsehen erregenden Ärgernis und den damit zusammenhängenden Verhaltensweisen handelt. "Entlassung" ist demgegenüber die unfreiwillige Beendigung des Amtes aufgrund einer Entscheidung des Regierenden Bürgermeisters. In beiden Fällen erhält der Betroffene eine förmliche Entlassungsurkunde, um die zeitlich exakte Beendigung des Amtes zu dokumentieren; denn auch bei einem Rücktritt könnte der Regierende Bürgermeister das Senatsmitglied ersuchen, die Amtsgeschäfte bis zum Amtsantritt des Nachfolgers fortzuführen. Allein entscheidend für die Differenzierung zwischen der Beendigung des Senatorenamtes durch "Rücktritt" oder "Entlassung" ist also die Initiative: Geht sie vom Senator aus, endet das Amt durch Rücktritt; geht sie vom Regierenden Bürgermeister aus, endet es durch Entlassung. In diesem Sinne sind bis heute alle amtsmüden Berliner Senatoren (z.B. Sybille Volkholz 1990, Gregor Gysi 2002, Peter Strieder 2004) zurückgetreten. Anders als im Falle einer (unfreiwilligen) Entlassung konnten sie damit den Rückzug aus dem Amt mit persönlichen bzw. verantwortungsvollen Gründen erklären und haben folglich auch keine Übergangsgelder kassiert.

Wenn nunmehr Michael Braun das Wort "Rücktritt" meidet wie der Teufel das Weihwasser und "um Entlassung bittet", so ist diese Formulierung dem Beamtenrecht entlehnt; denn Beamte können – da kein Arbeitsverhältnis vorliegt – im Falle von Amtsmüdigkeit nur ihre Entlassung beantragen; bei Wahlbeamten bedeutet daher "Rücktritt" dienstrechtlich nichts Anderes als "Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf eigenen Antrag". Auch das Amtsverhältnis von Bundesministern, die wie die Senatoren keine Beamten sind, endet durch Entlassung, die (wenn sie nicht auf Vorschlag des Bundeskanzlers gegen ihren Willen erfolgt) von den Ministern selbst im Sinne eines Rücktritts jederzeit beantragt werden kann.

Treu und Glauben sowie die in diesem Bereich entwickelte Verkehrssitte gebieten es folglich, den aus eigener Initiative geäußerten Entlassungswunsch als "Rücktritt" mit dem Ziel der Übergabe der Entlassungsurkunde auszulegen. Der Innensenator sollte also, schon um der Gefahr der Untreue vorzubeugen, keinesfalls der Rabulistik des Herrn Braun auf den Leim gehen, der mit seiner Fehlinterpretation des eigenverantwortlichen Rücktritts in eine Entlassung ausschließlich den Steuerzahler schädigen will, sondern die Auszahlung des Übergangsgeldes strikt verweigern und es notfalls auf einen Rechtsstreit ankommen lassen.

Percy MacLean ist Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Berlin und Mitglied der Fachgruppe Richter und Staatsanwälte bei der Gewerkschaft Verdi.

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