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Stephan G. Richter.

© promo

Gastkommentar: Der Kanal trennt nicht

Die neue Regierung in London ist für Europa ein Glücksfall. Eine deutsch-britische Koalition würde dem Marktdenken und der Marktdisziplin in Europa einen deutlichen Anschub geben.

Die Sorgen über die wachsende Kluft zwischen Deutschland und Frankreich sollte man nicht zu Ernst nehmen. Sie werden durch eine neue Entente aufgewogen, die eine Redynamisierung Europas in Aussicht stellt. Die neue Koalitionsregierung unter David Cameron hat insbesondere dadurch überrascht, dass sie mit der Bundesregierung bei wichtigen politischen Entscheidungen zunehmend einer Meinung ist.

Dies gilt in erster Linie für die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte und eine Einschränkung der viel zu freizügigen Finanzmarktpraktiken, inklusive der Bezahlung der Topmanager. Wenn sich diese erstaunlich mutige Tendenz fortsetzt, kann man sogar zarte Hoffnungen hegen, dass die neue Regierung in London der Doktrin des britischen Sonderwegs endlich eine Absage erteilt und gemeinsame Sache mit Kerneuropa macht.

Die Tatsache, dass die konservative Lib-Dem-Regierung – trotz des ständigen, lautstarken Trommelns für den Keynesianismus in der Londoner „ Financial Times“ – einen anderen Kurs in der Haushaltspolitik gewählt hat, ist aus mehreren Gründen bedeutsam. Zunächst einmal bedeutet dies, gemeinsame Sache nicht nur mit den Deutschen, sondern auch den Schweden, Finnen, Polen und anderen zu machen.

Damit werden die Konturen einer Theorie der europäischen Wachstumspolitik deutlich, die nicht mehr sklavisch die US-Politik kopiert und von dem dort praktizierten permanenten Keynesianismus Abstand nimmt. Prominente Stimmen wie Paul Krugman und Martin Wolf mögen sich grausen, doch nach der Finanzkrise ist eines ist gewiss: Der Gurustatus der US-Wirtschaftspolitik liegt in Trümmern.

Die andere Domäne, in der die Position der neuen britischen Regierung sehr zu begrüßen ist, ist der Bankensektor. George Osborne, im zarten Alter von 39 Jahren der jüngste britische Schatzkanzler seit 1886, räumt mit dem mondernistischen Firlefanz und Verantwortungswirrwarr der Labourregierung auf – und sieht selbst für die ehrwürdige Bank of England ein Aufsichtsmandat vor, das dem der deutschen Bundesbank sehr ähnelt.

Dies gilt auch für die Rolle der vorher übermäßig einflussreichen und (unter-)kontrollierten Geschäftsbanken und anderen Finanzmarktakteure. „Die Banken sollten einen angemessenen Beitrag leisten“, sagt Osborne, der die „zahlreichen Risiken, die sie erzeugen, widerspiegelt“. Diese Worte aus dem Mund eines Ministers, dessen Vorgänger sich als Verfechter der Interessen der City of London verstanden, müssen pure Musik in den Ohren der deutschen Finanzministers sein. Es hat den Anschein, als könne Wolfgang Schäuble mit seinem Amtskollegen gemeinsame Sache bei der Förderung einer neuen Ethik und Verantwortung für den Finanzsektor machen. Wenn es dazu kommt, wäre man in der Schlacht zwischen Politik und Märkten der Wiederherstellung eines Gleichgewichts einen guten Schritt nähergekommen.

Noch wichtiger ist, dass eine deutsch-britische Koalition dem Marktdenken und der Marktdisziplin in Europa einen deutlichen Anschub geben würde. Solange das Vereinigte Königreich wie in der Vergangenheit eher am Spielfeldrand sitzt, ist die Bedeutung des marktwirtschaftlichen Denkens in Europa eher geschwächt. Wie sich in der jüngsten Euro-Krise zeigte, hat gerade die deutsche Regierung noch einen langen Weg zu beschreiten, bis sie die Kunst einer international ausgerichteten, marktorientierten Wirtschafts- und Finanzkommunikation wirklich beherrscht.

Alles in allem ist eine britische Regierung, die ihre Scheuklappen überwunden zu haben und nicht mehr fast verzweifelt am „Anderssein“ interessiert zu sein scheint, ein Gewinn für Europa. Aus deutscher Sicht macht dieser Trendwechsel Sorgen über mögliche Dissonanzen in der deutsch-französischen Kooperation vergessen.

Der Autor ist Präsident vom Think Tank The Globalist Research Center in Washington.

Stephan G. Richter

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