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Kunden einzelner Banken sind verzweifelt - die Pleite einiger Institute muss der Staat verhindern.

© dpa

Gastkommentar: "Die Finanzkrise ist menschliches Versagen"

Die Finanzbranche hat erreicht, dass die Gemeinschaft ihre Verluste übernimmt. Deshalb darf sich niemand wundern, wenn 20 Jahre nach dem Mauerfall im Bundestag über Kommunismus debattiert wird.

Die Untersuchungskommission des US-Kongresses hat ihr Urteil gesprochen: Die Bankenkrise ging 2007 vom amerikanischen Hypothekenmarkt aus. Sie sei verursacht durch menschliches Versagen. Dies treffe die Regulierer, die Bankmanager und die Politiker. Leider ist es wohl vertrackter. Das Strukturproblem dieser Krise könnte sein, dass die Bankmanager ihre Geschäftsidee darauf gründen, dass enorme Gewinne privat eingesteckt, die gigantischen Verluste aber der Gemeinschaft aufgebürdet werden, während nur die Regulierer und die Politik versagen.

Im Einzelnen: Anders als in Deutschland konnte man in Amerika ein Immobiliendarlehen aufnehmen, ohne dafür persönlich zu haften. Wenn man die Raten nicht mehr bedienen konnte, zog man einfach aus, gab den Schlüssel ab und wurde nicht weiter behelligt. Wenn es gelang, für ein Haus 200 000 Dollar als Kredit aufzunehmen statt 100 000, stand man nach dem Auszug doppelt so gut da, weil ja nur das Haus für die Schulden haftete. Das hört sich nach einem Problem für den Immobiliensachbearbeiter der Bank an, war es aber nicht! Die Bank hatte ein Wertpapier aus der Forderung gemacht, für dessen Werthaltigkeit sie nicht mehr haftete. Bei dem besagten Kredit von 200 000 Dollar stand also auch der Bankmanager doppelt so gut da wie bei 100 000.

Vielleicht aber ließ sich das Wertpapier mit schlechter besicherten Forderungen schlechter verkaufen. Diese Wertpapiere gelten auch heute, lange nach der Krise, als weitgehend wertlos, waren aber von unabhängigen Ratingagenturen als mündelsicher eingruppiert. Bewertung und Realität hatten folglich nichts miteinander zu tun. Auch ein noch höherer Kredit bei gleicher Sicherheit hätte sich folglich mit solchen Bewertungen verkauft. Bildlich gesprochen saßen Kreditgeber und Kreditnehmer auf derselben Seite des Tisches. Je höher der Kredit, umso schöner für beide. Aber wer saß auf der anderen Seite? Sicher ist, dass unsere Banken diese ungesicherten amerikanischen Wertpapiere gekauft haben, als gäbe es kein Morgen; das war jedenfalls ein Versagen der Institution Bank. Sicher ist auch, dass die westlichen Bürger und Industriestaaten Unsummen verloren haben.

Und der angestellte Mitarbeiter, der diese Wertpapiere für die Bank gekauft hat? Ein erfolgsabhängig vergüteter Bankmitarbeiter, der vier Jahre lang eine Steigerung um 100 Prozent hinlegte und dann einen Verlust von 90 Prozent des so angesammelten Kapitals – also am Ende weniger als am Anfang –, verdiente sehr viel besser als einer, der Jahr für Jahr fünf Prozent Steigerung erwirtschaftete und im Ergebnis viel mehr erreichte. Gerade der Zuwachs wurde exorbitant vergütet. Am Verlust wurde der Mitarbeiter nicht beteiligt.

Da mutet das Verdikt des amerikanischen Untersuchungsausschusses – menschliches Versagen der Bankmanager – geradezu rührend an. Menschlich versagt, wer seinem Unternehmen, der Allgemeinheit und sich durch einen Fehler einen großen Schaden zufügt; etwa der Lokführer, der ein Signal übersieht. Werden dagegen mein Unternehmen und die Allgemeinheit arm und ich werde reich, klingt menschliches Versagen irritierend. „Aufgrund menschlichen Versagens brach gestern Nacht ein Unbekannter in den Tresorraum ein“ – da spricht man doch eher dem Wächter menschliches Versagen zu als dem Bankräuber.

Nein, die Finanzkrise ist ausschließlich das menschliche Versagen derer, die die Rahmenbedingungen festsetzten; und sie ist ein Sieg und eine extrem nachhaltige materielle Optimierungsstrategie des erfolgsabhängig vergüteten Bankensektors. Die Kunden haben verloren, die Eigner haben verloren, die Bürger haben verloren, nicht dagegen die erfolgsabhängig vergüteten Banker, die den Schaden angerichtet haben.

Warum korrigiert die Politik diese Rahmenbedingungen nicht? Das ist schwierig. Bei Rahmenbedingungen für Banken und Währungsfragen ist nicht nur das Risiko unkalkulierbar – die große Depression brachte Massenarbeitslosigkeit und sozialen Aufruhr; es braucht darüber hinaus auch nur wenige Wochen, bis der Markt einen Politiker für eine falsche Sachentscheidung widerlegt. Da ist die Versuchung groß, einfach immer wieder zu zahlen, um beim Finanzsektor lieb Kind zu bleiben. Hier hat eine Gruppe erreicht, dass die Gemeinschaft berechenbar ihre Verluste übernimmt.

Wenn aber Angestellte ihre persönliche Einkommenssituation durch den Ankauf wertloser Wertpapiere für ihre Bank ungestraft optimieren dürfen, wenn Spekulanten auch noch die sechs Prozent höheren Zinsen einer griechischen Anleihe aus Solidarität von der Gemeinschaft finanziert werden, diese Gemeinschaft bei den Hartz-IV-Sätzen aber ganz genau hinschaut, dann ist die Welt aus den Fugen. Dann darf sich keiner wundern, dass zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer im Parlament erneut über den Kommunismus debattiert wird.

Der Autor ist Rechtsanwalt und lebt in Berlin.

Andreas Thomsen

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