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Gastkommentar: Ein Volk trauert – und wehrt sich

Protestprozession im Iran: Die iranische Autorin Saba Farzan kommentiert die Beisetzung von Großajatollah Montazeri.

In den frühen Morgenstunden des 21. Dezember wurde Großajatollah Hossein Ali Montazeri beigesetzt. Für die iranische Protestbewegung bedeutet der Tod des einflussreichen Klerikers keineswegs Resignation. Als in der Nacht zum Sonntag bekannt wurde, dass der hochrangige Geistliche nach langer Krankheit verstorben war, versammelten sich spontan Menschenmengen auf dem Mohseni Platz im Norden Teherans. Dabei riefen sie: „Montazeri, Montazeri, endlich bist du in der Freiheit angekommen. Wir werden deinen Weg vollenden.“

Und dann: „Montazeri ist nicht tot, er führt den Iran in Zukunft an.“ Auch in seiner Heimatstadt Najafabad, in Zentraliran, und in anderen Städten des Landes gingen die Menschen auf die Straße, und zu hören war: „Es ist ein Volkstrauertag. Das grüne Volk des Iran trauert.“ Ein Trauerzug machte sich auch auf den Weg in die Stadt Ghom, wo Montazeri beerdigt wurde. Zusätzlich begann am vergangenen Wochenende das zweimonatige schiitische Trauerfest Moharram. Diese religiöse Feier in Gedenken an den im Jahr 680 getöteten Imam Hossein kulminierte in den letzten zehn Tagen in feierlichen Prozessionen, genannt Tasua Ashura.

Iran geht in diesen Tagen durch eine Trauer in noch nie da gewesener Intensität. Eine halbe Million Menschen haben sich für die Zeremonie versammelt. Ghom ist im Ausnahmezustand. Massiv zusammengezognee Sicherheitskräfte verhafteten zahlreiche prominente Menschenrechts- und politische Aktivisten. Brutalität ist die einzige Reaktion, die der Machtapparat kennt. Als in den Sommermonaten Trauerfeierlichkeiten für die Opfer der brutalen Repression untersagt wurden, schrieb ein iranischer Satiriker „Sie haben Gott verboten“.

Nicht gegen eine religiöse Führung, sondern gegen ein totalitäres System hatte Großajatollah Montazeri seine vehemente Kritik gerichtet – und sich dabei auch einer Selbstkritik unterzogen. In der Geschichte des Iran hat es das noch nie gegeben: Ein weiser Theologe, der realisierte, dass seine Idee der Herrschaft des obersten Rechtsgelehrten nicht so weise war und sich dafür beim iranischen Volk entschuldigte.

Freilich erklärte Montazeri auch in seinen Schriften, dass er dem Klerus eine beratende Rolle geben und niemals eine exekutive Macht daraus machen wollte. In der iranischen Geschichte liegen jedoch wohlwollende Intention und letztendliche Realität oft weit auseinander. Obwohl massiv bedroht und jahrelang unter Hausarrest stellte er seine Kritik am herrschenden Regime nicht ein. Besonders die bestialischen Massenhinrichtungen der 80er-Jahre kritisierte Montazeri entschieden. Das kostete ihn die Nachfolgerschaft Khomeinis und einige seiner Familienmitglieder das Leben.

Es gab damals Stimmen, die ihm rieten zu schweigen, um seine Macht nicht zu verlieren. Doch auf diese Stimmen hörte er nicht. Dass er gegenüber einem menschenverachtenden Regime nicht geschwiegen hat, zeugt von Zivilcourage und Widerstandskraft.

Nicht nur auf Grund seiner theologischen Bildung, sondern gerade auch wegen seines Mutes verehrten ihn die Iraner. Sein Tod hat in Iran ein Erdbeben ausgelöst. Das herrschende Regime hat versucht, ihm in den Staatsmedien auch noch im Tod die Würde zu nehmen und verkündete, Hossein Ali Montazeri sei gestorben, ohne seinen theologischen Grad eines Großajatollah zu nennen.

Das iranische Volk wird in der Freiheit ankommen, denn es ist entschlossen, die Tyrannei abzuschaffen. Das kommende halbe Jahr bietet für die freie Welt ein Zeitfenster, diesen ungebrochenen Freiheitsdrang der Iraner aktiv zu unterstützen. Das iranische Volk ist seit dem Sommer dabei zusammenzuwachsen. Was wir in Iran erleben, ist der Anfang einer modernen Revolution. Die Iraner haben mit Großajatollah Montazeri eine Inspirationsquelle verloren, nicht jedoch ihren Mut.

Die Autorin wurde in Teheran geboren, wuchs in Deutschland auf und studierte Theaterwissenschaft, Amerikanistik und Soziologie.

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