zum Hauptinhalt
Ein Verbot der NPD sorgt nicht dafür, dass ausländerfeindliche Einstellungen aus der Bevölkerung verschwinden.

© dpa

Gastkommentar: Eine selbstbewusste Demokratie braucht kein NPD-Verbot

Die Parteien fordern ein neues NPD-Verbotsverfahren. Doch gegen Terror von rechts hilft das nicht. Eine selbstbewusste Demokratie sollte stattdessen auf die schonungslose Aufklärung des staatlichen Versagens drängen.

Das V-Wort ist in der Politik mal wieder ganz groß in Mode. Seit vor einem Monat die schrecklichen ausländerfeindlichen Morde einer neonazistischen Terrorzelle erstmals Schlagzeilen machten, rufen Politiker aller Parteien laufstark nach einem Verbot der NPD. Dabei hätten sie eigentlich jeden Grund, zunächst um die Opfer zu trauern, sich für die desaströse Ermittlungsarbeit der Polizei zu schämen und die mögliche Verwicklungen von V-Leuten des Verfassungsschutzes aufzuklären.

Für Politiker ist die Forderung nach einem NPD-Verbot jedoch so etwas wie eine Allzweckwaffe im Kampf gegen den Rechtsextremismus. Wann immer rechtsextreme oder ausländerfeindliche Gewalttaten Schlagzeilen machen, wird sofort nach einem Verbot der neonazistischen Partei gerufen. Während die immer neuen Enthüllungen über die Gewaltspur des Terror-Trios, ihrer Helfer und Helfershelfer kein Ruhmesblatt für die Sicherheitsbehörden sind, lässt sich mit der Verbotsforderung staatliche Handlungsfähigkeit demonstrieren. Das ist billiger Aktionismus. Die Politik kann so vom Versagen des Staates und der möglichen Verwicklung von V-Leuten in die Terrortaten ablenken.

Darüber hinaus gibt noch einen weiteren Grund, warum die Forderung nach einem NPD-Verbot in beiden politischen Lagern so populär ist. Für die Oppositionsparteien SPD, Grüne und Linke ist der Kampf gegen den Rechtsextremismus identitätsstiftend. Er schweißt die eigenen Reihen zusammen und mobilisiert Wähler. Die Unionsparteien wiederum fischen gerne im trüben Wählerreservoir am rechten Rand der Gesellschaft. Vor allem im Wahlkampf greifen sie deshalb schon mal zu einem ausländerfeindlichen Spruch oder schüren Ressentiments gegen den Islam. Zuletzt machte etwa Familienministerin Kristina Schröder mit einer zweifelhaften Studie zur Zwangsheirat Stimmung gegen muslimische Mitbürger. All das fällt CDU und CSU leichter, wenn sie sich gleichzeitig als knallharte Kämpfer gegen die NPD profilieren können.

Dass die Politik im Jahr 2003 schon einmal mit einem Verbotsverfahren vor dem Verfassungsgericht gescheitert ist und sich bis auf die Knochen blamiert hat, stört die ganz große Koalition der Bundestagsparteien nicht. Die Gefahr, dass das ein zweites Mal passiert, wird gleichzeitig völlig unterschätzt.

Tatsächlich ist es gar nicht so einfach, eine Partei zu verbieten. Die Hürden für ein Verbot liegen sehr hoch – und das zu Recht. Der Artikel 21 des Grundgesetzes sichert den Parteien eine besondere Stellung im Verfassungsstaat. Nur das Bundesverfassungsgericht kann darüber entscheiden, ob eine Partei verboten wird. In ihrem KPD-Urteil von 1956 formulierten die Richter grundsätzliche und strenge Voraussetzungen für ein Parteienverbot. Demnach können proklamierte Ziele für ein Verbot nicht ausschlaggebend sein, eine Partei kann nicht deshalb verboten werden, weil sie die freiheitlich-demokratische Grundordnung ablehnt. „Es muss vielmehr eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung hinzukommen“, so die Richter damals. 

Es also reicht nicht, dass einzelne Funktionäre einer Partei in Gewalttaten verwickelt sind, vielmehr muss die Organisation als ganzes darauf gerichtet sein. Im Falle der NPD bedeutet dies: es reicht nicht, dass einzelne NPD-Mitglieder das Terrortrio oder andere Gewalttaten unterstützt haben. Für einen erfolgreichen Verbotsantrag müssten die Antragsteller nachweisen können, dass die NPD als Partei unmittelbar an der Vorbereitung der Terrortaten beteiligt oder in andere rechtsextremen Straftaten verwickelt war. Dieser Nachweis wird schwer zu erbringen sein. Angesichts der großen V-Mann-Dichte in der NPD hätte dies den Sicherheitsbehörden schließlich irgendwann auffallen müssen.

Als die Richter 2003 das erste Verbotsverfahren gegen die NPD einstellten, errichteten sie eine weitere schwer zu überwindende Hürde. Sie sahen in den vielen V-Leuten des Verfassungsschutzes, die bis in höchste Parteiämter in der NPD arbeiten, ein Verfahrenshindernis. Doch die drei Antragsteller Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat waren nicht bereit, die Rolle von V-Leuten des Verfassungsschutzes in den Führungsgremien der NPD offen zu legen. Etwa dreißig von 200 Vorstandmitgliedern auf Bundes- und Landesebene sollen damals V-Leute gewesen sein.

Ausländerfeindliche und anti-demokratische Einstellungen sind weit verbreitet

Also stellte Karlsruhe das Verfahren ein. „Staatliche Präsenz auf der Führungsebene einer Partei macht Einflussnahmen auf deren Willensbildung und Tätigkeit unvermeidbar“, heißt es in der Einstellungsverfügung. „Die Beobachtung einer politischen Partei durch V-Leute staatlicher Behörden, die als Mitglieder des Bundesvorstands oder eines Landesvorstands fungieren, unmittelbar vor und während der Durchführung eines Parteiverbotsverfahrens ist in der Regel unvereinbar mit den Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren“ . Sprich: Der Staat kann nicht hochrangig in einer Partei vertreten sein, die er gleichzeitig verbieten will. Bevor ein neues Verbotsverfahren eingeleitet werden kann, muss der Verfassungsschutz seine V-Leute in der NPD nicht nur abschalten. Er muss auch sicherstellen, dass in das Verbotsverfahren kein Beweis einfließt, den ein V-Mann verantwortet hat. Das ist angesichts der vielen Verfassungsschutzämter und des heiklen Beziehungsgeflechts zwischen V-Leuten und Verfassungsschutz fast unmöglich.

Natürlich ist die NPD eine widerliche, ausländerfeindliche und neonazistische Partei. Sie stellt das demokratische Gemeinwesen in Frage und hetzt gegen Ausländer. Doch eine selbstbewusste Demokratie muss das aushalten. Zudem ist es sowieso eine Illusion zu glauben, die NPD und ihre braune Bewegung ließe sich mit einem Verbotsverfahren erledigen. Ausländerfeindliche, anti-demokratische und neonazistische Einstellungen sind in der Bevölkerung weit verbreitet. Regelmäßig zeigen Untersuchungen, dass zwischen fünf und zehn Prozent der Deutschen über ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild verfügen.

Unter Wissenschaftlern ist es seit Jahren eine Binsenweisheit, dass tief greifende soziale Umbrüche, Vertrauensverlust der demokratischen Institutionen und Partizipationsdefizite entscheidende Ursachen von Rechtsextremismus und Rassismus sind. Gerade in Ostdeutschland sind deshalb rechte Hochburgen entstanden. Die NPD ist dort besonders erfolgreich und sitzt in zwei Landtagen.

Auch die Gewalt von Rechtsaußen würde mit einem NPD-Verbot vermutlich kaum eingedämmt werden können. Im Gegenteil ist eine militante Neonazi-Szene, die an den Rand oder in den Untergrund gedrängt wird, sicherlich gefährlicher, als es die peinlichen Reden sind, zu denen sich NPD-Abgeordnete regelmäßig in ostdeutschen Landtagen aufschwingen. Rechtsextremismus, Ausländerfeindlichkeit und Gewalt lassen sich weder mit gut gemeintem Aktionismus noch mit Parteienverboten einfach ausmerzen. Da ist vielmehr stetige Arbeit aller politischen Institutionen erforderlich. Für Straftaten aus welchen Motiven auch immer sind Polizei und Justiz zuständig. Auch die Morde der rechtsextremen Terroristen hätten durch ein Parteienverbot nicht verhindert werden können, sondern vor allem mit akribischer Polizeiarbeit.

Das Parteienprivileg des Grundgesetzes ist ein hohes demokratisches Gut. Nicht mit Verboten lassen sich Verfassungsfeinde am besten zurückdrängen, sondern mit einer öffentlichen Auseinandersetzung. Der beste Verfassungsschutz sind Wahlen, in denen antidemokratische Parteien regelmäßig in ihre Schranken gewiesen werden.

Eine stabile und selbstbewusste Demokratie braucht kein NPD-Verbot. Statt sich mit der Forderung nach einem Verbotsverfahren von Politikern aktionistisch einlullen zu lassen, sollte die Zivilgesellschaft stattdessen darauf drängen, dass das Versagen des Staates und seiner Sicherheitsbehörden schonungslos aufgeklärt und nichts unter den Teppich gekehrt wird.

Christoph Seils leitet die Online-Redaktion des Magazins Cicero. In diesem Jahr erschien sein Buch „Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien?“ im WJS-Verlag. Er schreibt an dieser Stelle wöchentlich über die deutsche Parteienlandschaft.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false