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Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering freut sich über den Wahlsieg der SPD.

© Reuters

Gastkommentar: Sozialdemokratisches Wunschdenken

Am Ende des Superwahljahres 2011 steht die SPD besser da, als von vielen erwartet. Nun peilen die Genossen selbstbewusst den Sieg bei der Bundestagswahl 2013 an, aber zu viel Optimismus ist fehl am Platze.

Die SPD wähnt sich wieder oben auf. In Mecklenburg-Vorpommern hat sie am Sonntag eine Landtagswahl gewonnen, die Partei hat 5,5 Prozentpunkte zugelegt und Erwin Sellering bleibt Ministerpräsident. In zwei Wochen peilen die Sozialdemokraten in Berlin bereits den nächsten Wahlsieg an. Mit der Wiederwahl des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit geht das Superwahljahr 2011 mit insgesamt sieben Landtagswahlen zu Ende. Gefühlt hat die SPD alle diese Wahlen gewonnen, der bittere Absturz auf 23 Prozent bei der Bundestagswahl 2009 scheint vergessen. Voller Euphorie blicken die Sozialdemokraten auf den September 2013. Dann wird ein neuer Bundestag gewählt und kaum ein führender Genosse zweifelt derzeit öffentlich daran, dass die SPD den nächsten Kanzler stellen wird, an der Spitze einer rot-grünen Bundesregierung.

Doch die Frage ist, ob soviel Optimismus und Siegesgewissheit hilfreich sind? Denn wirklich gut steht die SPD zur Mitte der Legislaturperiode des Bundestages nicht da. In allen Umfragen liegt sie bei der Sonntagsfrage unter 30 Prozent. Das reicht noch nicht, um selbstbewusst seinen Machtanspruch formulieren zu können. Die SPD profitiert wie alle Oppositionsparteien derzeit vor allem von der dramatischen Schwäche und Zerstrittenheit der drei Regierungsparteien CDU, CSU und FDP. Die Sozialdemokraten selbst hingegen haben bundespolitisch selbst wenig zum Revival in den Ländern beigetragen. Und wenn sie bereits jetzt von einem rot-grünen Wahlsieg 2013 reden, dazu in Gedanken bereits Kabinettsposten verteilen, dann sind dies noch Wunschträume. Fahrlässig ist es außerdem.

Zweifelsohne hätte es für die SPD in den letzten beiden Jahren schlimmer kommen können. Niemand hätte sich gewundert, wenn die Partei sich nach dem Debakel bei der Bundestagswahl 2009 selbst zerfleischt und in destruktiven Flügelkämpfen aufgerieben hätte. Stattdessen ist es Parteichef Siegmar Gabriel gelungen, die geschundenen sozialdemokratischen Seelen ausreichend zu streicheln und die Partei zusammenzuhalten. Zumindest inoffiziell hat die SPD-Führung selbst die heikle K-Frage weitgehend ohne schädliche innerparteiliche Nebengeräusche geklärt. Denn auch wenn die SPD bis zur offiziellen Nominierung ihres Kanzlerkandidaten noch die eine oder andere Nebelkerze werfen wird, hat sie in Wirklichkeit mit Peer Steinbrück bereits einen aussichtsreichen Merkel-Herausforderer in Stellung gebracht. Dass die SPD so schnell wieder so gut dasteht, damit haben selbst die kühnsten Optimisten unter den Sozialdemokraten nicht gerechnet.

Lesen Sie auf Seite 2: Die Rolle der Grünen hat sich verändert

Trotzdem haben die letzten Monate auch gezeigt, wie weit die SPD von einem Wahlsieg 2013 noch entfernt ist und für die Sozialdemokraten in Wirklichkeit wenig Anlass für Euphorie besteht. Tatsächlich hat die SPD auch im Superwahljahr 2011 allenfalls durchwachsen abgeschnitten. In Hamburg hat die Partei mit einem profilierten Kandidaten spektakulär die absolute Mehrheit gewonnen, in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern hat die SPD ordentliche Zuwächse erzielt. Aber die Verluste in Rheinland-Pfalz und das Tief in Sachsen-Anhalt sollten der Partei zu denken geben. Vor allem aber in Baden-Württemberg hat die SPD eine empfindliche Schlappe erleiden müssen und war in der Wählergunst hinter die Grünen zurückgefallen. Die historische Dimension dieser Niederlage hat die SPD verdrängt, dabei war dieses Ergebnis alles andere als nur ein politischer Unfall, der sich einzig aus der Atomkatastrophe in Fukushima erklären ließe.

Einerseits zeigen die Wahlergebnisse, wie volatil die Stimmung unter den Wählern ist, wie schnell sich Stimmungen ändern können und wie nah Sieg und Niederlage beieinander liegen. Andererseits zeigt sich, dass die Grünen derzeit von der Schwäche der bürgerlichen Regierung deutlich mehr profitieren als die SPD.

Die Rolle der Grünen im Parteiensystem hat sich dabei grundsätzlich verändert. Sie sind nicht mehr nur der Mehrheitsbeschaffer der SPD, sondern eine mittelgroße Partei mit eigenem Machtanspruch und eigenständigen strategischen Interessen. Die SPD kann nicht mehr selbstverständlich davon ausgehen, dass sich die Grünen in die Rolle des braven Juniorpartners der SPD fügen. Vor allem könnten sie sich, wenn es für Rot-Grün am Ende doch nicht reicht, der Union zuwenden.

Auch programmatisch hat die SPD mit Blick auf 2013 bislang wenig vorgelegt. Genüsslich verfolgen die Sozialdemokraten, wie sich die schwarz-gelbe Regierung selbst zerlegt. Aber eigenen programmatischen Debatten gehen sie aus Angst vor abschreckenden und lähmenden innerparteilichen Auseinandersetzungen derzeit aus dem Weg. Das Steuerkonzept, das Parteichef Gabriel an diesem Montag vorstellt, ist zudem nicht der große Wurf. Es reicht angesichts des permanenten Steuerstreits der Regierung für ein paar positive Schlagzeilen und mit der populistischen Forderung, vor allem bei den Vermögenden abzukassieren, trifft die Partei den Zeitgeist. Aber ob das reicht, um neue Wähler für die SPD zu begeistern und ob so genügend frisches Geld in die öffentlichen Kassen kommt, das steht auf einem anderen Blatt.

Lesen Sie auf Seite 3: Ist die SPD regierungsfähig?

Auch zu Themen wie Euro-Rettung oder Libyen, Gesundheit oder Arbeitsmarkt ist von der SPD derzeit wenig Konkretes und manches Widersprüchliche zu hören. Vermutlich ist die SPD insgeheim heilfroh, dass derzeit andere regieren. Denn in welchem Zustand die SPD wäre, müsste sie in diesem Tagen mit immer neuen Milliardenhilfen den Euro-Retten und an der Seite von Franzosen und Amerikanern den libyschen Diktator von der Macht bomben, müsste sie gleichzeitig die Pflegeversicherung reformieren, den Atomausstieg finanzieren und den Bundeshaushalt sanieren, das lässt sich allenfalls erahnen. Ob die SPD schon wieder regierungsfähig ist, ist deshalb eine offene Frage.

Bis zu einem Wahlerfolg 2013 ist es in jedem Fall noch ein weiter Weg. Nach der aktuellen Forsa-Umfrage liegen SPD und Grüne derzeit zusammen bei 46 Prozent und damit acht Punkte vor den Regierungsparteien. Eine eigene Mehrheit ist dies nicht, da die Linke trotz interner Querelen und Profillosigkeit mit neun Prozent rechnen kann. Die Hoffnung, dass sich die Linke irgendwann selbst erledigt und das 5-Parteiensystem wieder der Vergangenheit angehört, trügt. Die Frage, wie es die Sozialdemokarten mit Rot-Rot halten oder mit Rot-Rot-Grün, wird die Partei also irgendwann in den kommenden Monaten einholen und dann den alten Grundsatzstreit wieder anfachen.

Zwar steht Rot-Grün bei allen anderen Instituten bei der Sonntagsfrage derzeit etwas besser und mit eigener Mehrheit da, aber beruhigend ist auch dies nicht. Das Phänomen, das die Regierungsparteien in der Mitte der Legislaturperiode im Stimmungstief stecken, ist so alt wie die Wahlforschung. Immer ist es mit den Regierungsparteien wieder aufwärts gegangen, wenn der Wahltermin näher rückte. Selbst der zurzeit große Abstand zwischen Regierung und Opposition ist nichts historisch Einmaliges.

Blickt man einmal in die Geschichte von Umfragen, erscheint der Vorsprung von SPD und Grünen alles andere als uneinholbar. Es gab in den Regierungsjahren von Rot-Grün zwischen 1998 und 2002 sowie zwischen 2002 und 2005 Zeiten, da lag die schwarz-gelbe Opposition deutlicher vorne und trotzdem reichte es nicht zum Wahlsieg. In den kommenden 24 Monaten kann also noch vieles passieren. Die SPD sollte nicht zu früh jubeln, sondern lieber ihre Hausaufgaben machen.

Der Autor ist Ressortleiter bei Cicero Online.

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