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Gastkommentar: Wer arabische Despoten stützt, fördert Al Qaida

Das Terror-Netzwerk ist geschwächt, schreibt Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Warum der Westen trotzdem seine Politik gegenüber arabischen Regimen überdenken sollte.

Zehn Jahre nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ist Al Qaida stark geschwächt. Neben dem Tod von Osama bin Laden im Mai 2011 hat die Terrororganisation in den vergangenen Monaten gerade in ihren Heimatländern in der arabischen Welt dramatische Niederlagen einstecken müssen. Bei keiner der Unruhen, die dort seit Jahresbeginn ausgebrochen sind, spielte sie eine nennenswerte Rolle. Nichts zeigt deutlicher, wie irrelevant die Organisation mitsamt ihrer Ideologie dort geworden ist.

Dass die Revolutionen in Tunesien, Ägypten und Libyen dennoch nicht das Ende der Al Qaida bedeuten, liegt vor allem daran, dass mit dem Wegfall autoritärer Herrscher in Kairo, Tunis und Tripolis sowie mit der Schwächung von Regimen in Syrien und dem Jemen inklusive deren Sicherheitsapparate die Operationsmöglichkeiten der Organisation in der arabischen Welt besser sind denn je. Vor allem ihre regionalen Ableger im Jemen, im Irak und in Algerien dürften deshalb noch einige Jahre eine Bedrohung darstellen.

Aufgrund dieser anhaltenden terroristischen Bedrohung sowie der Instabilität der Regime in der arabischen Welt sollte die bisherige Politik gegenüber der Region überprüft werden. 2001 hatte die USA und deren europäische Verbündete die Bedrohung durch Al Qaida dazu bewogen, die Sicherheitszusammenarbeit mit diesen autoritären Regimen auszubauen. Dabei war Al Qaida gerade in der Auseinandersetzung mit den Diktaturen der arabischen Welt entstanden. Ihr bis heute starker ägyptischer Flügel beispielsweise ging aus dem militanten Teil der ägyptischen islamistischen Opposition hervor, der sich auch angesichts brutaler staatlicher Repression radikalisierte.

Die Kooperation mit autoritären Regimen hat der Glaubwürdigkeit des Westens geschadet

Autoritarismus ist eine der wichtigsten Ursachen des islamistischen Terrorismus. Eine verstärkte Kooperation mit diesen Regimen im Kampf gegen deren Opposition trug also vielmehr zu einer Verschärfung der innenpolitischen Gegensätze bei und ließ zugleich westliche Bekenntnisse zu Demokratie und Menschenrechten unglaubwürdig erscheinen.

Eine weitere Folge dieser Politik lässt sich mittlerweile am Fall Libyens studieren. In der Zentrale des libyschen Geheimdienstes fanden sich sehr detaillierte Belege für eine Zusammenarbeit von CIA und MI6 mit den Geheimdienstlern des Gaddafi-Regimes. Im Jahr 2004 lieferten die USA die beiden Führer der Libyschen Islamischen Kämpfenden Gruppe (LIKG), der wichtigsten lokalen Jihadistengruppe, an Tripolis aus. Die LIKG hielt sich zwar in Afghanistan auf, wollte aber, anders als Al Qaida, ausschließlich das Regime von Muammar al Gaddafi bekämpfen und lehnte Anschläge auf US-Ziele ab. Trotzdem lieferten die Amerikaner Abdallah Sadiq und Abu l-Mundhir as-Saidi an Libyen aus, wohl wissend, dass die beiden dort gefoltert werden würden. Dass dieser Vorgang infolge des Sturzes des Gaddafi-Regimes nun einer breiten Öffentlichkeit bekannt wird führt zu einem massiven Glaubwürdigkeitsverlust der USA, denen nun Kumpanei mit demjenigen Regime vorgeworfen wird, zu dessen Sturz sie gerade erst maßgeblich beigetragen haben.

Lesen Sie auf Seite zwei, wie der Westen und der Nahe Osten zusammenarbeiten könnten.

Der libysche Fall ist jedoch nur einer unter vielen, in denen westliche Sicherheitsbehörden eng mit ihren arabischen Partnern zusammenarbeiteten. Dies betrifft vor allem diejenigen Staaten, die schon länger eine prowestliche Außenpolitik führen, wie beispielsweise Marokko, Kuwait oder Jordanien, seit langem der wichtigste Partner westlicher Sicherheitsbehörden in der arabischen Welt. Diese Regierungen gelten dem Westen aufgrund ihrer außenpolitischen Orientierung als moderat, es handelt sich aber ebenso um Diktaturen, die sich innenpolitisch nur graduell von denen in Syrien oder ehemals Libyen abheben und die ebenso in den kommenden Jahren gestürzt werden könnten.

In dieser Situation laufen die USA und ihre Verbündeten noch mehr Gefahr als bisher, als Komplizen der Diktatoren wahrgenommen zu werden. Dies wird auch Deutschland betreffen, da die deutschen Sicherheitsbehörden im Schlepptau der Amerikaner ihre Kooperation mit vielen Staaten in der Region und darüber hinaus ausgeweitet haben. Will die Bundesrepublik einen weiteren Ansehensverlust in der arabischen Welt vermeiden, muss sie ihre Zusammenarbeit mit autoritären Regimen in der Terrorismusbekämpfung überdenken.

Die Arbeit der Sicherheitsbehörden sollte in ein umfassendes Konzept zum Umgang mit den Staaten eingebettet werden

Dabei ist es nicht grundsätzlich zu beanstanden, dass die deutschen Sicherheitsbehörden Beziehungen zu den Geheimdiensten arabischer Diktaturen unterhalten. Diese verfügen über sehr viel mehr Sachverstand und Detailkenntnisse, was die Dschihadisten in der Region angeht, und liefern auch immer wieder Informationen, die die Sicherheit der Bundesrepublik und deutscher Staatsbürger im Ausland betrifft. Es wäre fahrlässig, auf diese Zugänge zu verzichten. Problematisch ist jedoch, den deutschen Sicherheitsbehörden die Zusammenarbeit zu überlassen, ohne sie in ein weitergehendes Konzept zum Umgang mit den Staaten der Region einzubetten, das den Zielkonflikt zwischen möglichst effektiver Terrorismusbekämpfung einerseits und dem Wunsch nach politischen Veränderungen andererseits auflöst.

Deutschland hat ein Interesse an Stabilität in der Region. Es zeigt sich jedoch in den letzten Monaten, dass Staaten nur dann stabil bleiben, wenn ihre Regierungen ein Mindestmaß an Legitimität besitzen und sie ihren Bürgern wirtschaftliche Perspektiven bieten. Deshalb müssen Deutschland und die EU von den verbliebenen Diktaturen Reformen hin zu mehr Rechtsstaatlichkeit und Partizipation einfordern – und dies sehr viel nachdrücklicher und glaubwürdiger als bisher. Gleichzeitig muss die Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden dieser Staaten in der Terrorismusbekämpfung abgestuft werden. Vertreter der Strafverfolgungsbehörden sollten nicht mit Geheimdiensten und den Geheimpolizeien Syriens oder Algeriens kooperieren.

Bei besonders problematischen Fällen – wie beispielsweise Algerien oder (außerhalb der arabischen Welt) Usbekistan – sollte die Zusammenarbeit auf die Nachrichtendienste beschränkt werden. Insbesondere der BND hat sich als geeignetes Instrument erwiesen, um Kontakte zu den weniger gesellschaftsfähigen Akteuren der Weltpolitik zu halten. Nur so kann die notwendige Sicherheitszusammenarbeit möglichst diskret abgewickelt werden, ohne dass Deutschland von den Bevölkerungen dieser Länder als Komplize des jeweiligen Regimes wahrgenommen wird.

Guido Steinberg forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik unter anderem zu al-Qaida und islamistischem Terrorismus. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Artikel erscheint auf der SWP-Homepage unter der Rubrik "Kurz gesagt".  www.swp-berlin.org/de/kurz-gesagt.html

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