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Ein Romanautor mit Meinungen und Empfindungen gilt schnell als Egozentriker, Hipster, Hippie, Schwuchtel, Freak oder gar Rassist, meint Johanna Sailer.

© pa/dpa

Junge Autoren der Gegenwart: Literatur für die Hühner

Autoren sind zu konservativ, Verlage zu marktorientiert, Kritiker zu harsch und das Publikum zu politikverdrossen. Wer nach der diesjährigen Literaturdebatte noch schreibt, braucht monströse Scheuklappen und dicke Eier. Am Ende hat er vielleicht sogar etwas zu sagen.

Die viel zu brave Gegenwartsliteratur, wie sie in den vergangenen Wochen von Florian Kessler und Maxim Biller in der "Zeit" scharf kritisiert wurde, hat in erster Linie nichts mit ihren gutbürgerlichen Vertretern zu tun, sondern vielmehr mit ihrem gutmenschlichen Publikum. Inhalt und Stil werden "vermasst", sonst erreicht das Werk nie den Pressehimmel. Was durchkommt, wird von Zeitungsleuten wie Maxim Biller schonungslos zerrissen. Wenn das nicht dem schärfsten Neuling die Miene bricht!

Keine Behauptung ohne Quellenangaben. Die goldene Regel des wissenschaftlichen Arbeitens ist längst in unseren Alltag gerutscht und hat auch die Kunst verändert. Jedes Werk ist ein Zitat oder ein Bezug auf einen Bezug zu etwas, was Bezug auf etwas Anderes hatte. Das war zwar schon immer so, allerdings sind Referenzen seit dem Internet nicht mehr das Erkennungsmerkmal von gebildeten Kennern, sondern von gut informierten Konsumenten. Namedropping nennt man es, wenn mit Hilfe von Referenzen Meinungslosigkeit retuschiert wird, statt authentische Beobachtungen zu manifestieren. Ein Sozialer Wandel wie dieser beeinflusst natürlich auch die Autorschaft.

Wie viel Zeit muss man bei Google verbringen?

Junge Schreiberlinge sind oft von der Frage beeinflusst, welches Thema gerade angesagt ist. Und wie viel Zeit muss man mit google verbringen, um authentisch zu wirken? Dabei bleibt nach dem Querlesen von zehn Artikel zum Thema nicht mehr viel eigene Meinung übrig. Fraglich auch, ob die Quintessenz dann wirklich etwas Neues mit sich bringt, oder man hier nur Lego mit dem Bausatz spielt, der einem von der Medienindustrie geliefert wird.

Kaum einer vertritt in der modernen Prosa und Lyrik eine starke Ansicht, wenn sie nicht den Grundton der Massen trifft, es sei denn, sie versteckt sich hinter dem Deckmantel des Sarkasmus. Womöglich liegt das auch daran, dass für politische Texte kein großer Markt besteht.

Und wenn ein politisches Statement aus der Schreibwerkstatt mal an die Öffentlichkeit gerät, dann stammt sie meist von alten Hasen. Als Günther Grass sein israelkritisches Gedicht "Was gesagt werden muss" veröffentlichte, beschäftigten sich die Medien zwar für einige Tage ausgiebig mit lyrischer Kunst. Doch schnell hatte Grass eine wütende Gruppe von Besserwissern, Gutmenschen oder Streithähnen auf sich gehetzt. In Interviews oder Anti-Artikeln wird dann jeder Satz zerrissen. Und dank der liberalen Kommentarfunktion im Onlinebereich, denkt auch Frau Schmidt aus Kleinmachnow, dass ihre Meinung gefragt wäre und schickt sie fleißig durch das world wide web. Der ungarische politische Schriftsteller Imre Kertész bezeichnete das Schreiben in einem Interview mal als ein Spiel mit dem Tod. Immer geht es ums Ganze, aber nur selten ums Eingemachte. Warum denn aber nicht von Eingemachtem schreiben?

Kunst war auch immer so etwas wie eine relaxing zone jenseits der politischen Diskussion, in der man sich auf feine Details besann, um das ganze Elend nicht sehen zu müssen. Doch wenn das Werk absichtlich die tagespolitischen Debatten nicht im Entferntesten tangiert, ist man plötzlich nur noch einer aus dieser feigen Generation Y, deren Vertreter lieber Gedichte über tröpfelnde Wasserhähne und gefärbte Haare schreiben, statt über die nächste Revolution nachzudenken. Oder man schreibt unverständliches Zeug über Gefühle und so – absolut massenuntauglich.

Psychischer Knacks für Neulinge

Sobald ein Romanautor sich deutlich als Stimme seines Werkes zeigt, als Mensch mit Meinungen und Empfindungen, die manchmal profan ausfallen und manchmal politisch unkorrekt, macht er sich sofort zur Zielscheibe der Kritiker. Dann ist er Egozentriker, Hipster, Hippie, Schwuchtel, Freak oder gar Rassist. Dann bezahlt er mit seinem Roman autobiografischem Einschlags reißerischen Journalismus und gibt übereifrigen Kommentatoren eine Plattform, ihre Meinung loszuwerden. Und wenn sie sein Buch kritisieren, dann kritisieren sie im selben Atemzug auch ihn. Versucht dieser Autor sich dann auch bis zur Selbstentfremdung hinter seinem Protagonisten zu verstecken: Neulinge kommen ohne einen psychischen Knacks aus dieser Geschichte wahrscheinlich nicht mehr heraus.

Am Besten also, man entfremdet sich von Anfang an von seinen Texten. Man beobachtet einfach die Anderen, was die so denken und machen und dann schreibt man darüber. Wenn das dann nicht gefällt, ist es auch egal, denn der Text hat ja nichts mit einem selbst zu tun. – Ich glaube wirklich, viele Jungautoren verfahren auf diese Weise. Sie können sich meist außerordentlich gut ausdrücken, aber haben absolut nichts zu sagen. Und wer was zu sagen hat, dem hat die Kunstindustrie das Maul gestopft. Stumm summen sie dahin, kritzeln etwas auf weißes Papier und verschließen das Gedachte in einen Panzertresor – Oder bieten es unter Ausschluss der Öffentlichkeit den Hühnern im Stall der Eltern in Kleinmachnow bei Rangsdorf oder sonst wo dar. Vielleicht haben sie irgendwann genug Eier gesammelt, sich diesen rauen Medienstimmen authentisch zu stellen. Wir hoffen das Beste.

Mit freundlichen Grüßen aus dem Hühnerstall

Ihr Hippie und Freak aus Leidenschaft

Die Autorin studierte Philosophie an der TU Berlin. Als freie Autorin schreibt sie regelmäßig für die Prenzlberger Ansichten und den Tagesspiegel. Ihr Blog heißt primatberlin.wordpress.com.

Johanna Sailer

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