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Angela Merkel und Sigmar Gabriel - wer behält im Sondierungspoker die Nerven?

© dpa

Koalitionsverhandlungen: Getrickst, getäuscht und geblufft

Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün? Deutschland sucht eine neue Regierung. Es geht um Macht, um Posten und um Deutungshoheit. Weil viel auf dem Spiel steht, wird getrickst, getäuscht, geblufft. Denn die Parteien wissen: Jetzt werden auch die entscheidenden strategischen Fehler gemacht.

Zwei Wochen ist die Bundestagswahl mittlerweile her, aber es sieht nicht so aus, als sei das Land mittlerweile einer neuen Regierung sehr viel näher gekommen. In den Talkrunden geht es so hoch her wie im Wahlkampf. Im ersten Sondierungsgespräch zwischen Union und SPD blieben die möglichen Koalitionspartner von morgen noch recht vage. Erst in einer Woche will man sich erneut zusammensetzen. Donnerstag treffen sich zunächst CDU, CSU und Grüne. Derweil stecken die Interessengruppen der Parteien das politische Terrain für mögliche Koalitionsverhandlungen ab, formulieren Bedingungen und rote Linien. Die Parteistrategen hingegen senden ihre Gesprächssignale aus, zeigen vorsichtig Kompromisspfade auf und deuten Kompromisslinien an.

Noch ist völlig offen, ob in den kommenden vier Jahren eine Große Koalition oder ein schwarz-grünes Bündnis das Land regieren wird. Die Parteien lassen sich in diesem Jahr viel Zeit mit den Koalitionsverhandlungen und mit der Regierungsbildung. Möglichweise steht die neue Regierung erst Anfang kommenden Jahres. Doch der Poker um die Macht ist bereits in vollem Gange. Es wird getrickst, getäuscht und geblufft, es wird leise gelockt und wortreich geschwiegen. Die Zeiten, in denen es die vornehmste Aufgabe von Politikern war, vor und während der Koalitionsverhandlungen öffentlich am besten gar nichts zu sagen, sind vorbei.

Hektik und Nervosität hat die Parteien erfasst. Alle Politiker wissen, wenn erst einmal alle Karten auf dem Tisch liegen, wird es auch Verlierer geben. Das Schicksal der FDP ist ihnen eine Lehre. Die Liberalen machten 2009 ihre entscheidenden Fehler bereits zu Beginn der schwarz-gelben Koalitionsverhandlungen. Angeführt von einem siegestrunkenen Parteivorsitzenden Guido Westerwelle tönten die Liberalen laut, wo Demut vor dem Wähler angebracht gewesen wäre. Sie verkündeten, in den Koalitionsverhandlungen alle ihre Kernforderungen durchgesetzt zu haben und lieferten nicht, vor allem keine Steuersenkungen.

FDP hat im Koalitionsvertrag vergessen, was liberale Politik sein könnte

Gleichzeitig vergaßen sie beim Formulieren des Koalitionsvertrages völlig, was liberale Politik jenseits von flotten Sprüchen und teuren Klientelinteressen sein könnte. Davon hat sich die FDP vier Jahre nicht erholt, und wenn die Partei Gründe für den Absturz bei der Bundestagswahl 2013 sucht, sollte sie sich auch mit den Anfängen von Schwarz-Gelb beschäftigen. Auch 2005 legte die SPD bereits in den Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU den Grundstein für den tiefen Sturz vier Jahre später. Zum Beispiel mit der Zustimmung zu jener Mehrwertsteuererhöhung, die sie im Wahlkampf noch vehement bekämpft hatte.

Das Spiel um die Macht kompliziert

In diesem Jahr sind die Herausforderungen für die Parteien noch größer, das Spiel um die Macht kompliziert. Die Interessen widersprüchlich. Da können Politiker schnell unverzeihliche strategische Fehler machen. Denn mit den Sondierungsgesprächen in diesem Herbst betritt die deutsche Politik Neuland. Noch nie in der bundesdeutschen Geschichte hatte eine Partei nach der Wahl zwei halbwegs realistische Machtoptionen. Noch nie hat ein Wahlsieger nach einer Bundestagswahl mit zwei möglichen Koalitionspartnern Sondierungsgespräche geführt. Noch nie war eine Regierungsbildung so spannend wie in diesem Jahr. Es gibt in dem Machtpoker zahlreiche taktische Manöver und strategische Finten. Noch nie also waren die Lage der Parteien und die Aussichten für die Regierungsbildung nach einer Wahl so unübersichtlich.

Die Union steht vor einem strategischen Dilemma.

Tatsächlich hat der Wähler den Parteien am 22. September für die Regierungsbildung ein gar nicht so einfaches Rätsel aufgegeben. Die CDU hat ihren natürlichen Bündnispartner verloren und sieht sich im Parlament drei linken Parteien gegenüber. Rund 55 Prozent der Wähler haben bei der Bundestagswahl für bürgerliche Parteien und gegen Steuererhöhungen votiert. Im Bundestag jedoch haben die linken Parteien und damit die Befürworter von Streuererhöhungen eine Mehrheit.

Die Spielräume der Wahlverlierer für Kompromisse sind klein. Die SPD hat Angst, wie 2005 ihre sozialdemokratische Seele verkaufen zu müssen. Die Grünen stecken mitten in einem Richtungsstreit, da wird jedes Zugeständnis zum Argument im innerparteilichen Machtkampf.

Der Wahlsieger Union hat es alles andere als leicht

Auch der Wahlsieger Union hat es alles andere als leicht. Auch ihr Verhandlungsspielraum ist begrenzt. Der gewaltige Proteststurm, der an der christdemokratischen Basis anschwoll, nachdem einzelne Parteifreunde der SPD vorsichtig Kompromissbereitschaft in Sachen Steuererhöhungen signalisiert hatten, zeigt: Auch die konservative Basis der Union ist misstrauisch und leicht zu enttäuschen.

Hinzu kommt ein strategisches Dilemma: Je mehr sich die Christdemokraten in Koalitionsverhandlungen nach links wenden, desto größer ist die Gefahr, dass sich rechts von ihr mit der Alternative für Deutschland eine neue Partei etabliert. Dass die CSU ihr eigenes politisches Spiel spielt und sich von der CDU nur begrenzt in eine gemeinsame Strategie für Koalitionsverhandlungen einbinden lässt, macht den Koalitionspoker für Angela Merkel zusätzlich kompliziert.

Die Union muss Zugeständnisse machen

Die Union muss also auf die Sozialdemokraten zugehen und Zugeständnisse machen, die ihr wehtun. Je mehr CDU und CSU den möglichen Partner in den Koalitionsverhandlungen demütigen, desto eher laufen sie Gefahr, dass die SPD-Basis sich in dem Mitgliederentscheid querstellt. Die Kanzlerin darf also gleichzeitig nicht den Eindruck erwecken, sie ließe sich von den Sozialdemokraten die Agenda der Großen Koalition diktieren.

Es ist unverkennbar, dass Merkel lieber mit der SPD regieren würde als mit den Grünen. Man kennt sich aus den Jahren 2005 bis 2009. Die Wähler wünschen sich mehrheitlich eine Große Koalition. Auch die Konsenssuche mit dem Bundesrat wäre sehr viel einfacher. Trotzdem muss die Kanzlerin, will sie am Ende nicht ohne Koalitionspartner dastehen, ernsthaft auch mit der Ökopartei Sondierungsgespräche führen. Erstens dürfen die Sozialdemokraten nicht denken, eine Große Koalition sei für die Union alternativlos. Denn das hätte unmittelbare Auswirkungen auf die Kompromissbereitschaft der SPD. Zweitens ist es für die Union strategisch wichtig, mit Schwarz-Grün zumindest mittelfristig eine Machtoption jenseits der Großen Koalition zu haben.

Die SPD wiederum muss verhindern, dass sich CDU, CSU und Grünen annähern. Also dürfen auch die Sozialdemokraten in den Gesprächen mit der Union nicht überziehen. Die Sozialdemokraten brauchen die Grünen für ihre rot-rot-grüne Machtoption. Nur zusammen mit Grünen und Linken kann die SPD 2017 darauf hoffen, wieder eine Regierung anführen und den Kanzler stellen zu können. Je ernsthafter die Union also mit den Grünen flirtet, desto größer ist vermutlich die Kompromissbereitschaft der Sozialdemokraten. Der Poker um die Macht ist kompliziert, es ist völlig offen, wer gewinnt und wer verliert.

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