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Matthias Kalle.

© Privat

Kolumne "Ich habe verstanden": Sexismus-Debatte: Der Ton macht die Musik

In der Sexismus-Debatte hört man vor allem von älteren Männern immer wieder: „Man wird doch wohl noch flirten dürfen.“ Niemand behauptet, dass man das nicht mehr darf, meint Kolumnist Matthias Kalle, nur: Der Ton macht die Musik.

Am Sonntag habe ich erfahren, dass ich für die Spaltung der Gesellschaft verantwortlich bin. Stand im Internet, ein Kommentar auf einen Text, den ich über das Ende von „Ich bin ein Star, holt mich hier raus!“ geschrieben habe. Ich war und bin mit diesem Format nicht einverstanden, und ich wunderte mich in meinem Text darüber, dass einige in dieser Sendung Dinge sehen, die ich nicht sehe, nicht sehen kann, beim besten Willen nicht. Derjenige aber, der den Kommentar geschrieben hat, meinte, ich würde auf „die da unten“ herabblicken – dabei ging es doch in meinem Text eher um „die da oben“, aber vielleicht habe ich das auch etwas zu schludrig aufgeschrieben. Der Kommentator schrieb jedenfalls unschludrig: „Wo Matthias Kalle steht, muss nicht gesagt werden. Dass er damit dem Zusammenhalt der Gesellschaft in Deutschland keinen Gefallen tut, auch nicht.“

Ehrlich gesagt hätte ich es ganz hilfreich gefunden zu erfahren, wo ich stehe und warum ich damit dem Zusammenhalt in Deutschland keinen Gefallen tue. Ich schreibe doch nur so Sachen, und ich habe in meinem ganzen Leben noch keinen Leserbrief bekommen, in dem stand: „Lieber Herr Kalle, bevor ich Ihren Text gelesen habe war ich vollkommen anderer Meinung – aber Sie haben mir die Augen geöffnet, und ab sofort behaupte ich nur das Gegenteilung von dem, was ich vorher immer behauptet habe.“ Ich bekomme in der Regel zwei Sorten von Briefen. Erstens: „Lieber Herr Kalle, Sie haben Recht und ich war schon immer der gleichen Meinung.“ Zweitens: „Herr Kalle! Das stimmt doch alles nicht!“ (Mit der Variante: „Das interessiert doch keinen!“)

Ich beschwer mich nicht, ich erklär mich nicht, und ich werde jetzt auch nicht in einem offenen Brief an die Jury des Grimme-Preises darlegen, warum es ein Fehler ist, „Ich bin ein Star – holt mich hier raus!“ zu nominieren. Ich schreibe diesmal lieber über Sexismus, jawoll, und dann bin ich aber mal gespannt, ob dieser Text die deutsche Gesellschaft für immer entzweien wird. Also: Leicht verstört musste ich diese Woche zur Kenntnis nehmen, dass man sich offenbar darauf einigen kann, dass man bestimmte Wörter aus Kinderbüchern streichen muss – dass allerdings kein Konsens darüber herrscht, was Frauen ertragen müssen und was nicht. In jeder Talkshow wurde über das Thema Sexismus geredet, in jeder Redaktionskonferenz, und ich selbst war dabei, als ein Kollege sagte, Brüderle sei doch ein „Auslaufmodell“.

Weiß ich gar nicht. Glaube eher nicht. Ich habe jetzt zwar nicht nachgezählt (so wie der Kollegen Jan Fleischhauer, 49, vom „Spiegel“) wie viele Twitter-Einträge beim Hashtag #Aufschrei tatsächliche sexuelle Belästigungen sind, aber ich weiß, dass viele Frauen ihren Partnern in dieser Woche mal erzählt haben, was sie so in der Vergangenheit alles erlebt haben – erlebt und erduldet und für sich behalten.

Mir geht es nicht um Rainer Brüderle oder um die FDP – und es geht mir auch nicht um eine junge Kollegin oder darum, was vor über einem Jahr an einer Hotelbar passiert ist. Und die Frage „Wer hat da eigentlich angefangen?“, die einige jetzt stellen, halte ich für eine nichtige Frage, aber vielleicht sollte man noch auf eine Sache hinweisen: Den Begriff „sexuelle Belästigung“ hat die „stern“-Autorin selbst nie verwendet – aber anscheinend haben genau das alle in dem Verhalten von Brüderle gesehen, auch die, die ihn so vehement verteidigen.

Anti-Mainstream und Mainstream

Tina Hildebrandt, die Leiterin des Hauptstadtbüros der „Zeit“, schreibt in ihrem aktuellen Leitartikel, in dem es auch um das Machtverhältnis und um Augenhöhe geht, völlig richtig: „Diejenigen, die sich in der Debatte für den Anti-Mainstream halten, verkörpern in Wirklichkeit den Mainstream. Nur ist es der Mainstream von gestern.“ Und wie lautet der Satz, den man in dieser Debatte jetzt vor allem von älteren Männern hört? „Man wird doch wohl noch flirten dürfen.“ Er klingt ein bisschen wie „Man wird doch wohl noch Israel kritisieren dürfen.“

Und genau darin liegt der Fehler: Niemand behauptet, dass man nicht mehr flirten dürfe, niemand behauptet, dass man nicht Israel kritisieren dürfe – im Gegenteil. Das Problem liegt eher darin, dass viele sich dazu berufen fühlen, die keine Ahnung haben oder sich schlichtweg im Ton vergreifen. Denn es stimmt doch tatsächlich, dass der Ton die Musik macht und viele Männer beherrschen gegenüber Frauen nun einmal nicht die Noten – das Ergebnis ist dann jene Kakophonie, von der der „stern“ in Bezug auf Brüderle berichtet hat. Und ähnlich – nur noch viel schlimmer – ist dann das, was jemand wie Franz-Josef Wagner, 69, immer noch in „Bild“ zu diesem Thema schreiben darf.

Es scheint nach dieser Woche aber auch so zu sein, dass es sich bei der Debatte nicht nur um eine Geschlechter- sondern vor allem auch um eine Generationsdebatte handelt – das zumindest belegen die verstörenden Talkshow-Auftritte von der Journalistin Wiebke Bruhns, 74, und der Schauspielerin Katrin Sass, 56. Bruhns war am Sonntag in der Sendung „Günther Jauch“, und sie verblüffte mit der Erkenntnis, Männer und Frauen seien nun mal verschiedene Spezies, wie im Tierreich, und wenn man das ändern wolle „dann machen Sie aus ’nem Stier ’nen Ochsen.“ Das ist zum einen nicht besonders schlau und zum anderen zeigt diese Haltung, dass Wiebke Bruhns offenbar noch in einer Welt zu Hause ist, in der Frauen gerne mal „flotter Käfer“ genannt werden und bitte darauf achten sollten, die Männer sexuell nicht zu sehr zu stimulieren, sonst könne man ja für nichts mehr garantieren.

In welcher Welt Katrin Sass zu Hause ist, kann ihr Auftritt am Dienstag bei „Markus Lanz“ nicht klären: Da schrie sie rum, beleidigte Peer Kusmagk, 37, für seinen Auftritt bei „Ich bin ein Star – holt mich hier raus!“ aber vor allem für seine moderne und durchweg richtige Auffassung zur Sexismus-Diskussion. Unterstützung bekam sie dafür von dem Journalisten Matthias Matussek, 58, der öffentlich darunter zu leiden scheint, dass 2013 irgendwie gar nicht mehr so ist wie 1987.

Alte Männer wehren sich gerade – und bekommen dabei Unterstützung von alten Frauen. Und in der Art und Weise wie sie das tun, zeigt sich, dass sie sich ertappt fühlen. Und es zeigt auch etwas anderes, nämlich dass in dieser ganzen Debatte die Frauen nicht die Guten sind und die Männer die Bösen – und wer das behauptet, der betreibt positiven Sexismus (Heiner Geißler irrte übrigens am Mittwoch bei „Anne Will“ als er meinte, es stimme nicht, das Kindstötungen in der Mehrzahl von Männern begangen wurde). Es scheint keine Solidarisierung zwischen den älteren und den jüngeren Frauen in dieser Debatte zu geben und ich frage mich tatsächlich, woran das liegen könnte. Unverständnis? Neid? Oder handelt es sich um eine späte Rache der Älteren an den Jüngeren dafür, dass sie einen anderen Weg eingeschlagen haben als den, den ihre Mütter gegangen sind? Denken Wiebke Bruhns und Katrin Sass heimlich: „Das habt ihr nun davon, dass ihr geglaubt habt, auch im Minirock und High Heels emanzipiert zu sein.“?

Auslaufmodelle. Schade, dass sie nicht mehr so schnell laufen können.

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