zum Hauptinhalt
Das wird ein Fest!

© dpa

Kolumne "Ich habe verstanden": Ein Tag wie jeder andere

Jedes Jahr das gleiche. Die Silvesternacht soll die beste des Jahres werden und das kommende Jahr sowieso: Nie wieder Rauchen, das Leben ändern und einige Kilo weniger drauf haben. Unser Autor macht da einfach nicht mit.

Und wie jedes Jahr seit wohl nunmehr 30 Jahren grübele ich darüber, warum ich mit Silvester so gar nichts anfangen kann, warum mir dieses Fest von allen Festen das unangenehmste ist und tatsächlich scheine ich einer Antwort gerade sehr nahe zu sein.

Ich stehe prinzipiell jedem Fest skeptisch gegenüber – was vor allem daran liegt, dass ich finde, dass es eh nix zu feiern gibt. Ich halte zum Beispiel Menschen, die ihren eigenen Geburtstag ausgiebig und exzessiv feiern für selbstverliebte, egoistische Idioten, die offensichtlich davon überzeugt sind, dass der Tag ihrer Geburt ein Segen für den Rest der Menschheit bedeutet – Diktatoren nutzen seit jeher ihre Geburtstage für überschwängliche Festivitäten. Mein Geburtstag erinnert mich hingegen an die eigene Sterblichkeit, ich verbringe den Tag zurückgezogen von den Menschen, im Dunkeln.

Mit Silvester aber ist es irgendwie noch schlimmer – was nicht nur daran liegt, dass in Berlin ab dem 27. Dezember bis weit in den Januar hinein bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen, weil der eine oder andere meint, den gesamten Hartz-4-Satz in Knallkörper zu investieren. Es liegt auch nicht an den Touristen, die tatsächlich glauben, dass es ein Highlight in ihrem Leben werden könnte, wenn man die Musikanten der Gruppe „Luna“ am Brandenburger Tor erleben darf – zusammen mit mehreren Hunderttausend anderer (ich persönlich freue mich über jeden Touristen, der Berlin besucht, so wie ich mich über jeden Berliner freue, der sich mal was anderes anguckt). Meine Abneigung gegenüber Silvester hat auch nichts damit zu tun, dass ich dieses Neuanfangsgetue hasse: Gute Vorsätze sind ja im Prinzip eine tolle Sache, aber wenn einer wirklich mit dem Rauchen aufhören, sein Leben ändern, mehr Sport treiben, seinen Job kündigen, abnehmen, zunehmen oder was weiß ich will, dann kann er das genau so gut auch am 7. Oktober machen oder am 14. März. Mit anderen Worten: Wenn einer was machen will, dann kann er das immer, immer, immer machen – dann braucht er dafür kein Datum, das ja genau so willkürlich gewählt ist wie jedes andere auch.

Und dann diese Erwartungshaltung! Silvester – so glauben ja viele – muss das beste, das schönste, das größte Fest des Jahres werden (außer Diktatoren – die glauben, dass ihr Geburtstag das beste, schönste, größte Fest des Jahres wird). Mit so einer Erwartungshaltung kann kein Fest gelingen, mit so einer Erwartungshaltung muss dieser Abend scheitern. Was wohl auch damit zusammenhängt, dass sich viele Menschen an Silvester verkleiden, wie sie es sonst nur am Fasching machen – zu Silvester allerdings in der irren Annahme, sie würden sich jetzt mal aber so richtig „schick“ machen.

Und das finde ich eigentlich am allerschlimmsten: wie die Leute aussehen. Wie sie sich zurechtputzen, als handle es sich an diesem Abend um die Oscar-Verleihung und nicht um ein Fondue-Essen mit den Nachbarn. Was die Farbe Gold mit dem 31. Dezember zu tun hat, ist mir nicht schlüssig – ich kenne auch außer dem Popstar Rihanna niemanden, dem diese Farbe steht. Es macht auch keinen Sinn das Männer, die das ganze Jahr über eine Krawatte ablehnen, zwischen den Jahren in eine Boutique rennen und sich für 300 Euro einen Smoking kaufen, der nicht sitzt und beim ersten Böllerknall auseinanderfällt. Ich bin unbedingt dafür, dass sich die Menschen Mühe mit ihrer Kleidung geben – aber bitte das ganze Jahr über und nicht an einem einzigen Tag, der die Leute zu etwas treibt, dass Schauspieler „overacting“ nennen: von allem zu viel.

Meine Gegenbewegung: von allem zu wenig. Meine Vorsätze: weitermachen. Mein Problem: das Fernsehprogramm am 31. Dezember. Es ist halt doch ein Tag wie jeder andere.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false