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Bei Tocotronic hieß es damals: "Es ist besser vor dem Stumpfsinn zu kapitulieren. Ich wünschte ich würde mich für Tennis interessieren". Eigentlich musste ich mir das gar nicht mehr wünschen.

© dpa

Kolumne: Ich habe verstanden: Tennis, verheimlicht und vergessen

In seiner Jugend war Tennis nicht cool. Da haben Arztkinder dauernd die Plätze dominiert – zu blöd zum Lesen, aber für eine Rückhand hat es gereicht, dachte er damals. Jetzt hat unser Kolumnist Matthias Kalle selbst mit dem Ballsport angefangen – wieder angefangen, müsste es eigentlich heißen.

Verzeihung, es geht jetzt nur ganz kurz um Musik, deshalb soll bitte keine Diskussion um meinen Musikgeschmack beginnen, diese Phase haben wir doch, liebe Leserinnen, liebe Leser, lange hinter uns gelassen, oder? Also: Ich konnte und kann mit der Band Tocotronic nicht so viel anfangen, aber das ist ganz bestimmt meine Schuld, denn ich weiß von vielen Menschen, deren Meinungen und Geschmack ich schätze, die Tocotronic „wichtig“ und „großartig“ finden.

Mir hat immerhin mal der Text zu einem Lied aus dem Jahr 1996 gefallen, der geht so: „Ich wünschte ich würde mich für Tennis interessieren / Das Spiel ist sicherlich nicht schwierig zu kapieren / Ich wäre ganz bestimmt ein anderer als ich's jetzt bin / Es wäre unbedingt ein Leben mit mehr Sinn // Es ist schon seltsam dass ich jetzt so etwas von mir lasse / Gerade weil ich doch schon immer alle Ballsportarten hasse / Doch ich muss meine alte Meinung revidieren / Ich wünschte ich würde mich für Tennis interessieren // Es ist besser vor dem Stumpfsinn zu kapitulieren / Ich wünschte ich würde mich für Tennis interessieren.“

Ja ja, ich weiß schon: Geht gar nicht wirklich um Tennis in dem Lied, Tennis ist hier eine Metapher usw. Trotzdem stimmt das alles natürlich, als ich das Lied damals hörte, dachte ich auch: Ja, wäre vieles einfach gelaufen, aber das mit mir und dem Tennis, das sollte einfach nicht sein. In meiner Jugend haben diese Arztkinder dauernd Tennis gespielt – zu blöd zum Lesen, aber für eine Rückhand hat es gereicht. Sozial waren die auch eher unverträglich – was natürlich daran lag, das die eben keine Mannschafts- sondern eine Individualsportart betrieben.

Später gab es dann den Begriff „Ego-Shooter“ – und genau das waren diese tennisspielenden Jugendlichen ja auch, die mit diesem Sport ungefähr zu der Zeit angefangen haben, als Boris Becker Wimbledon gewann, 1985, als das Fernsehen damit begann, jedes noch so kleine Tennisturnier zu übertragen, stundenlang, mein Gott wie war das langweilig! Aber irgendwann war das alles vorbei, niemand spielte mehr Tennis, keiner wollte mehr Tennis schauen, das Fernsehen übertrug kein Tennis mehr (stattdessen dann Skispringen, das ging aber noch schneller vorbei, wahrscheinlich, weil nun wirklich kein einziges Arztkind den Wunsch hatte, mal selber Skispringen zu machen) – es schien fast ein bisschen, als hätte es diese Sportart nie gegeben. Die Nummer eins der Weltrangliste? Keine Ahnung – Usain Bolt? Ach nee, der macht was anderes.

Ich habe jetzt mit dem Tennisspielen angefangen. Wieder. Früher habe ich heimlich gespielt, es durfte keiner wissen, hätte meinem Image geschadet. Auf dem Platz zu stehen, Bälle zu schlagen, ans Netz zu rennen – hat mir immer Spaß gemacht, dann hatte ich das lange vergessen, aber vor kurzem ist es mir wieder eingefallen, und das liegt dann wohl am Alter: Welche Sportart sollte man denn sonst machen, mit Ende 30, wenn man nur einen Freund hat?

Wir gehen jetzt regelmäßig, einmal die Woche, für eine Stunde. Tut gut. Macht Spaß. In diesem Jahre habe ich das Wimbledon-Turnier online verfolgt, über den Liveticker, das freie Fernsehen überträgt ja nicht. Fand ich ganz spannend. Diese Lisicki – Donnerwetter. Aber auch Tommy Haas – war ja früher nicht so mein Fall. Früher war man ja auch ein bisschen doof.

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