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Märchenfan. Kürzlich bezeichnete FDP-Chef Philipp Rösler den Grünen-Spitzenkandidaten Jürgen Trittin als "Räuber Hotzenplotz".

© dpa

Kolumne "Ich habe verstanden": Wer ist hier wohl der Spießer?

Philipp Rösler hat die Grünen als spießig abgetan. Der politischen Korrektheit zuliebe, würden sie alle und alles maßregeln. Doch eigentlich ist sein Problem ein anderes: Er hat keine Ahnung von Popkultur und merkt nicht, dass die wahren Spießer die Antibürgerlichen sind.

Muss ich mich eigentlich vom Vizekanzler der Bundesrepublik als „Spießer“ beschimpfen lassen oder gibt es da auch eine Antidiskriminierungsstelle, bei der ich mich beschweren kann?

Philipp Rösler hat am vergangenen Wochenende ja eine „interessante“ Rede gehalten, in der er die Grünen und vieles von dem, wofür sie stehen, als spießig abtat. Meine Kollegin Anna Sauerbrey hat darüber bereits einen klugen Text geschrieben, dem man eigentlich nicht mehr viel hinzufügen kann, deshalb verlassen wir die politische Bühne und betreten die gesellschaftliche Bühne und schauen uns da mal ein bisschen um. Kann ja nicht zu schwer sein, dort diese Spießer zu treffen, vor denen uns die FDP beschützen will.

Ich glaube, dass ich in der Logik der FDP ein Riesenspießer bin. Ich bin davon überzeugt, dass es in diesem Land ein Sexismus-Problem gibt, dass von alten Männern ausgeht und von alten Frauen gutgeheißen wird. Ich glaube außerdem, dass viele Sachen in Deutschland zu billig sind, und dass der Staat da regulieren muss. Ich denke, dass wir eine Frauenquote brauchen und ökologisches Bewusstsein vehementer eingefordert werden muss. Abgesehen davon gehe ich bei rot nicht über die Ampel, ich puste kleinen Kindern keinen Zigarettenrauch ins Gesicht, hinterziehe keine Steuern. Ich versuche beim Einkaufen gewisse Dinge zu berücksichtigen und denke über die Benutzung des Autos zweimal nach. Ich will damit nicht sagen, dass ich ein besserer Mensch bin, dazu sind meine Fehlleistungen zu groß und zu viele – aber ich bemühe mich, anderen Menschen so wenig zu Schaden wie möglich, ohne dass es mit dabei schlechter geht. Ist das schon spießig?

Weiß ich nicht. Ist mir auch egal. Vielleicht ist es eher spießig, sich über die Lebensgewohnheiten anderer Menschen lustig zu machen, intolerant ist es allemal, liberal jedenfalls nicht. Ich meine: Laufe ich durch die Gegend und erzähle jedem, wie schlecht angezogen meine Altersgenossen in der FDP sind (bis auf, das muss man ja fairerweise sagen, Christian Lindner), wie dumm es ist, sich lila Socken anzuziehen und sich dann, wie es Daniel Bahr getan hat, in einer Talkshow dafür zu rechtfertigen? Es gibt von mir keine bösen Bemerkungen über die Brillenmodelle von Philipp Rösler und wenn er meint, in einem Fernsehinterview mit einem Augenzwinkern einen schalen Witz über sein Medizinstudium machen zu müssen, dann hoffe ich nur, dass die Mehrheit der knapp 40-Jährigen einen besseren Humor haben. Aber vor allem ist es mir egal.

Das Problem ist ein anderes: Weil Rösler keine Ahnung von Popkultur hat (weil er eben doch ein Spießer ist?), erkennt er nicht, dass der wahre Spießer unserer Zeit im Antibürgerlichen zu finden ist – viel Spaß, wenn er da eine Wählerschicht erschließen will. Denn das Antibürgerliche ist der Mainstream geworden, der Spießer 2013 ist tätowiert, macht (erträgt) sexistische Sprüche, lädt sich illegal irgendwelches Zeug aus dem Netz, rennt mit einer Bierflasche Mittags durch Mitte, kifft auf jedem klitzekleinen Grünstreifen, stellt sein kleines Spießer-Leben bei Facebook zur Schau, liest „Shades of Grey“ (und fühlt sich dabei schlau – ist ja vermeintlich ein Buch – und ein bisschen crazy – geht ja vermeintlich um Schmuddelkram). Der Spießer von heute sieht die Dinge des Lebens eher locker, trinkt Chai Latte und nascht gerne Frozen Yoghurt. Er lacht sich beim „Comedy-Dienstag“ von Pro 7 kaputt, hat bei dem Film „Ziemlich beste Freunde“ ein bisschen geweint. Der Spießer ist im Prinzip nur ein Synonym für: der Andere. Der, der ich niemals sein will.

Wenn Philipp Rösler kein Spießer ist, dann bin ich der Oberspießer.

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