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Hassan Sheikh Mohamud ist Somalias neuer Präsident.

© AFP

Kolumne "Kurz gesagt": Somalia: eine Herkulesaufgabe für den neuen Präsidenten

Die Aufgaben, vor denen der vielversprechende somalische Präsident steht, sind gewaltig, sagt Annette Weber. Um sie zu lösen, braucht er die Unterstützung von Nachbarstaaten und der internationalen Gemeinschaft.

Nach mehr als zwei Jahrzehnten ist Anfang September erstmals ein somalischer Präsident auf somalischem Boden gewählt worden. Dies zwar nicht von den Bürgern, sondern von einem Parlament, das zuvor durch einen Ältestenrat bestimmt worden ist. Dennoch: so fair, konzentriert und strategisch, wie die Abgeordneten den Überraschungspräsidenten gewählt haben, ist in Somalia schon lange keine Politik mehr gemacht worden. Die deutliche Mehrheit von 190 zu 79 Stimmen für Hassan Sheikh Mohammud war eine klare Absage an die vergangenen Jahre der Korruption, Vetternwirtschaft und des Desinteresses, das den Belangen der somalischen Bevölkerung entgegengebracht worden ist.

Der neue Präsident hatte vor allem einen Vorteil auf seiner Seite: Er war über die Jahre der Kriege und Konflikte, unter Kriegsherren und der radikal-islamischen Al-Shabaab-Miliz im Land geblieben. Er hat sich Aufgaben gewidmet, die den Grundstock einer stabilen Gesellschaft ausmachen, nicht der Vermehrung seiner Auslandskonten. So ist er Gründer einer Universität, Vermittler zwischen Konfliktparteien, Forscher zum gesellschaftlichen Wandel im Konflikt und Experte in Konfliktvermittlung. Die entscheidende Frage wird nun sein, ob er seinen Erfahrungsschatz im harschen Alltag somalischer Politik auch nutzen kann.

Große Herausforderungen

Die Herausforderungen sind zahlreich. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden kommentierte die Al-Shabaab-Miliz die Wahl des neuen Präsidenten mit einem Selbstmordattentat. Das Land liegt sozial in Trümmern, die Menschen sind von Jahrzehnten andauernder Kriege und Konflikte zermürbt, vertrieben oder ganz außer Landes geflohen. Die Wirtschaft stagniert. Die Grundsäulen staatlicher Versorgung von der Sicherheit für die Bevölkerung über Straßenreinigung, Küstenschutz, Bildung, Gesundheitsversorgung bis hin zur Erhebung von Steuern sind entweder gar nicht vorhanden oder ausgelagert. Die Küsten beispielsweise werden von Piraterienetzwerken beherrscht, für die Sicherheit ist die Mission AMISOM der Afrikanischen Union verantwortlich, Bildung und Gesundheit sind privatisiert und werden, wie vieles andere in Somalia, durch die Diaspora finanziert.

In seinem ersten Interview als Präsident hat Hassan Sheikh Mohammud die Sicherheit als dringlichste Aufgabe benannt. Und präzisiert, dass es dabei nicht nur um die militärische Sicherheit gehe, sondern auch um die soziale Sicherheit der Bevölkerung in einem stabilen Staat. Der Finanzfluss der Geberländer und Mandatsverlängerungen für AMISOM dürften daher nicht an erster Stelle stehen. Vordringliche Aufgabe sei es vielmehr, der somalischen Bevölkerung das Vertrauen in eine funktionierende Regierung, Verwaltung, ein Justizsystem und die Polizei, kurz: in einen Staat zurückzugeben, der mehr ist als ein Alimentierungsgenerator für Einzelpersonen.

Wie geht Staat?

Um dies zu bewerkstelligen, müssen Polizei und Armee überzeugt werden, für die Sicherheit der Bevölkerung und des Landes verantwortlich zu zeichnen, anstatt sich bei privaten Kriegsherren zu verdingen. Grundvoraussetzung hierfür wäre, dass sie verlässlich ihren Sold erhalten.

Parlamentarier müssen sich in ihren zukünftigen Wahlkreisen vorstellen, Kontakt mit der Provinz, dem Dorf, dem Bürger aufnehmen. Die Regierung muss sowohl die Begehrlichkeiten der regionalen Nachbarn, vorrangig Äthiopien und Kenia, berücksichtigen als auch selbstbewusst handeln. Viele werden jetzt an Hassan Sheikh Mohammuds Tür anklopfen und ihre Teilhabe an der Macht einklagen. Sei es der Clan, ehemalige Politiker, die jetzt aus dem Patronagesystem gefallen sind, Kriegsherren, die einen neuen Morgen wittern, Geschäftsleute, die sich ihren Anteil an der Aufbaudividende sichern wollen. Nur eine Investition in transparente Strukturen aber wird der neuen Regierung helfen, mehr Gestaltungsmacht zu erlangen und nicht zur Verwalterin eines wachsenden Chaos zu verkümmern.

Die Veränderung der politischen Landschaft Somalias nun fällt in eine Zeit, in der am Horn von Afrika auch andere Umbrüche stattfinden. Der Tod des äthiopischen Premierministers Meles Zenawi, der als Rebellenführer die politische Öffnung des Landes einleitete und als Premier für zunehmende Repressionen verantwortlich war, wird die politische Zukunft am Horn stärker prägen als die Wahl des somalischen Präsidenten. Momentan stehen beiden Ländern moderate Regierungschefs vor: Der neue Premier Hailemariam Desalegn in Äthiopien und Präsident Hassan Sheikh Mohammud haben mehr Erfahrung im Vermitteln als im Kriegführen. Das könnte den Ton der Politik am Horn durchaus verändern. Für Somalias Stabilisierung ist es entscheidend, dass der Nachbar eine Rolle als Mittler in der Region einnimmt - nicht zuletzt, weil in Äthiopien eine große Zahl somalistämmiger Einwohner lebt.

Gewinnen jedoch polarisierende Hardliner die Macht in Äthiopien und gelingt es dem somalischen Präsidenten nicht, die Interessen der innersomalischen Fraktionen zu vereinen, ist es nicht auszuschließen, dass bewaffnete somalistämmige Gruppen im äthiopischen Ogaden zunehmen. Somalia stünden dann weitere Konflikte, schärfere ethnische und konfessionelle Auseinandersetzungen und ein Zuwachs an islamistischen Radikalen bevor. Ganz zu schweigen von einer weiteren Generation, die neben dem Überleben im Krieg wenig gelernt hat.

Hoffnung unterstützen

Der neue somalische Präsident bringt alle Voraussetzungen mit, die sich westliche Beobachter wünschen. Ein Mann alleine aber kann noch kein System und sicherlich keine Region verändern. Um einen neuen Ton am Horn auch hörbar für die Bevölkerung zu machen, bedarf es der Unterstützung der internationalen Staatengemeinschaft. Insbesondere sollte sie die neue Regierung in Mogadishu dabei unterstützten, sich an einen bürgerorientierten Staatsaufbau zu wagen. Der Regierung muss es gelingen, das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen und über die Grenzen der Stadt hinaus sichtbar zu werden. Nicht die Ideologie, sondern das mangelnde Vertrauen in den Staat ist die Mobilisierungsgarantie für al Shabaab.

Annette Weber forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) u.a. zu Konfliktzusammenhängen und regionaler Stabilität am Horn von Afrika. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Artikel erscheint auf der SWP-Homepage in der Rubrik "Kurz gesagt".

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