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Selbst wenn der Wahltag internationalen Standards genügt haben sollte, muss die Einhaltung demokratischer Prinzipien insgesamt in Zweifel gezogen werden.

© Reuters

Kolumne "Kurz gesagt": Wahlen in der Ukraine rechtfertigen keine Normalisierung der EU-Beziehungen

Der herrschenden Klasse in der Ukraine wird es nun vor allem um die Festigung ihrer Macht gehen, meint Susan Stewart. Demokratische Reformen sind kaum zu erwarten. Die EU sollte daher in den Beziehungen zu dem Land auf kleine Kooperationsschritte setzen.

Die vorläufigen Ergebnisse der Parlamentswahlen in der Ukraine deuten auf Kontinuität. Die Hälfte der Sitze wird durch Listenwahl bestimmt: Hier ist die herrschende Partei der Regionen (PdR) des amtierenden Präsidenten Wiktor Janukowytsch auf etwa 38 Prozent der Stimmen gekommen. Zusammen mit der verbündeten Kommunistischen Partei (15 Prozent) erhält sie eine klare Mehrheit der über Listen vergebenen Sitze. Die Vereinigte Opposition "Batkiwschtschina" (Vaterland), der die inhaftierte ehemalige Premierministerin Julia Tymoschenko angehört, erreichte etwa 20 Prozent. UDAR (Witalij Klytschko) konnte zwölf Prozent und die nationalistische Partei "Svoboda" (Freiheit) gut sieben Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Durch den Einzug dieser beiden Parteien ins Parlament ist eine weitere Fragmentierung des Oppositionslagers wahrscheinlich. Unklar ist noch, auf welches Parteienverhältnis es in der Hälfte des Parlaments hinauslaufen wird, die über Direktmandate bestimmt wird. Nicht wenige der Direktkandidaten sind formell "unabhängig" und haben nicht angegeben, welche Kraft sie im neuen Parlament unterstützen werden. Die Erfahrung zeigt aber, dass sie dazu tendieren, sich der stärksten politischen Kraft anzuschließen. Es ist insofern zu vermuten, dass die regierenden Kräfte im Land weiterhin mit einer parlamentarischen Mehrheit rechnen können.

Die Wahlen werden regelmäßig als Lackmustest für die Verpflichtung der ukrainischen Elite auf demokratische Prinzipien bezeichnet. Hierbei darf nicht nur der Wahltag selber in den Blick genommen werden, denn bereits im Vorfeld der Wahl ist Einiges passiert, das Zweifel aufkommen lässt. Hier sind insbesondere der Umgang der herrschenden Kreise mit Mitgliedern der Oppositionsparteien sowie eine unausgewogene Berichterstattung im Wahlkampf zu erwähnen. Zudem ist der Umgang mit der Wahl der Direktkandidaten problematisch: Einige der Kandidaten hatten bereits vor der Wahl eindeutige Kontakte zu bestimmten politischen Kräften. Dass sie sich trotzdem als "unabhängig" bezeichneten, hat die Situation für die Wähler intransparent gemacht. Außerdem hat es in der Vergangenheit mehrfach Fälle gegeben, in denen die Unterstützung einzelner Abgeordneter allem Anschein nach mit Geld oder anderen materiellen Leistungen gekauft worden ist. So werden Mehrheitsverhältnisse geschaffen, ohne Rücksicht auf die Präferenzen der Wähler zu nehmen.

Die EU kann mehr erreichen, wenn sie ihre Erwartungen niedriger hängt

Selbst wenn der Wahltag internationalen Standards genügt haben sollte, so muss die Einhaltung demokratischer Prinzipien insgesamt in Zweifel gezogen werden, wie die erste Einschätzung der OSZE nach den Wahlen verdeutlicht. Nichtsdestotrotz dürften die konkurrierenden Lager in der Ukraine-Politik der EU in den kommenden Monaten bestehen bleiben: Da sind auf der einen Seite diejenigen, die - unter anderem aus geostrategischen Gründen - eine weitgehende Normalisierung der Beziehungen zur Ukraine anstreben. Auf der anderen Seite befinden sich jene, die weiterhin die harte Linie unterstützen, die in den letzten Monaten verfolgt worden ist. Der Fokus hierbei lag allerdings zu stark auf dem Fall Tymoschenko sowie auf zwei oder drei ähnlichen Fällen. Diese sind zwar Ausdruck der mangelnden Rechtsstaatlichkeit und des undemokratischen Umgangs mit der Opposition. Die Freilassung Tymoschenkos aber wäre nicht als sich anbahnende Einführung demokratischer Prinzipien zu werten.

Die herrschende ukrainische Elite wird nun alles daran setzen, ihre Macht zu festigen und die Wahlergebnisse für diesen Zweck nutzen. Die Neuorientierung in allen politischen Lagern wird besonders in den nächsten Wochen sowohl politische als auch wirtschaftliche Ressourcen binden. Immerhin bleibt ein kleines Fenster für positive Reformschritte offen. Die wirtschaftliche und soziale Lage nämlich ist so desolat, dass der Veränderungsbedarf offensichtlich ist. Reformen jedoch wird es nur dann geben, wenn sie die Kerninteressen der Machthaber in der heutigen Ukraine nicht konterkarieren. Viel zu erwarten ist deswegen nicht.

Zur weiteren Entfaltung der EU-Ukraine-Beziehungen wäre es deshalb sinnvoll, nicht auf die Unterzeichnung und Ratifizierung des Assoziierungsabkommens zu setzen, sondern die Erwartungen niedriger zu hängen. Die Umsetzung der im Abkommen enthaltenen demokratischen wie technischen Standards erfordert einen stärkeren politischen Willen sowie effektivere Verwaltungsstrukturen, als zurzeit in der Ukraine vorhanden sind. Eine Normalisierung der Beziehungen ist nicht an der Tagesordnung. Vielmehr sollte die EU in einigen begrenzten Bereichen versuchen, die Entwicklung in ihrem Interesse mitzugestalten. Hierfür bietet sich erstens der Aktionsplan für eine Visaliberalisierung an, den die Ukraine seit November 2010 implementiert. Mit einigen Anstrengungen auf der ukrainischen Seite könnte die erste Stufe der Umsetzung dieses Plans in den nächsten Monaten abgeschlossen sein. Die EU sollte auf eine Beschleunigung des Tempos drängen. Zweitens könnte die EU die Zusammenarbeit mit der Ukraine im Rahmen von deren Verpflichtungen als Mitglied der Europäischen Energiegemeinschaft stärken. Gleichzeitig sollte sie die Unterstützung verbesserter Fähigkeiten im Verwaltungsbereich mit Nachdruck vorantreiben, u.a. als Teil des Comprehensive Institution Building Programme der Östlichen Partnerschaft. Schließlich wäre ein intensivierter Dialog mit der ukrainischen Gesellschaft sehr zu empfehlen. Die meisten Ukrainer wissen immer noch wenig über die EU und zweifeln an den Vorteilen der bisherigen Zusammenarbeit, die im Alltag der Bürger nicht zu erkennen sind.

Susan Stewart forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) u.a. zur Innen- und Außenpolitik der Ukraine sowie zur Östlichen Partnerschaft. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Artikel erscheint auf der SWP-Homepage in der Rubrik "Kurz gesagt".

Susan Stewart

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