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Kanzlerin Angela Merkel und Russlands Präsident Wladimir Putin

© dpa

Kurz gesagt: Neue Impulse für die deutsche Russlandpolitik

Die deutsch-russischen Beziehungen verändern sich, vor allem im Energiesektor und bei der östlichen Nachbarschaft. Dieser Entwicklung sollte nun auch strategisch Rechnung getragen werden, meint Sabine Fischer.

Die Arbeitsgruppe, die bei den Koalitionsverhandlungen über Auswärtiges, Verteidigung und Entwicklung berät, hat vergangene Woche ihr Eckpunktepapier vorgelegt - inklusive eines ausführlichen Passus zu Russland. Das ist gut so! Nach einer längeren Phase, in der zwar zu Entwicklungen in Russland Position bezogen, aber keine Russlandpolitik betrieben wurde, besteht nun die Chance, deutscher Russlandpolitik neue Impulse zu geben. Um zu einer angemessenen Strategie gegenüber dem großen Nachbarn im Osten zu gelangen, muss in der deutschen Debatte die Dichotomie zwischen Interessen und Werten, zwischen Russlandverstehern und Russlandkritikern überwunden werden.

Ein wichtiger Schritt in diese Richtung bestünde darin, das Bewusstsein für den sich abzeichnenden strukturellen Wandel in den deutsch-russischen Beziehungen zu schärfen. Dieser Wandel findet vor allem in zwei Bereichen statt, im Energiesektor und bei der Assoziierung mit den östlichen Nachbarn.

Struktureller Wandel in den Beziehungen zu Russland

Im Bereich der Energiebeziehungen wirken gleich mehrere Faktoren. Die innovativen Partner, die Deutschland im Zuge der Energiewende sucht, findet es (bislang?) nicht in Russland. Zu sehr bleibt der russische Energiesektor konventionellen Ansätzen verhaftet. Darüber hinaus zeigt das Binnenmarktpaket der Europäischen Kommission, mit dem der europäische Energiemarkt vereinheitlicht, liberalisiert und vernetzt werden soll, auch Wirkung auf deutsche Politik. Deutschlands Zurückhaltung im Anti-Monopol-Verfahren der Kommission gegen den russischen Monopolisten Gasprom etwa verdeutlicht, dass der Spielraum für eine politische Einflussnahme im Sinne Russlands stark geschrumpft ist. Deutschland sind angesichts eines rechtlichen Verfahrens auf der EU-Ebene schlicht die Hände gebunden.

Durch das Binnenmarktpaket haben sich auch die Beziehungen zwischen deutschen und russischen Energieunternehmen verändert. Anti-Monopol-Maßnahmen und die Entflechtung des Marktes machen aus den deutschen Unternehmen heute eher Händler als langfristige Importeure russischen Gases. Entsprechend gibt es bereits Initiativen, mit anderen Lieferanten Verträge abzuschließen bzw. Langzeitverträge mit Gasprom neu zu verhandeln. Auch die Ölpreisbindung der deutsch-russischen Verträge ist in den letzten beiden Jahren angesichts starker Preisschwankungen, die die Schiefergasrevolution in den USA ausgelöst hatte, in die Diskussion geraten. Russland und Deutschland bzw. Europa werden im Energiebereich auch zukünftig eng miteinander verflochten bleiben. Weil aber der europäische Kontext für die deutsche Energiepolitik immer wichtiger wird, dürfte es Berlin in Zukunft schwerer fallen, seine traditionelle Rolle als Anwalt russischer (Energie)Interessen in Europa zu spielen.

In der sogenannten gemeinsamen Nachbarschaft machen sich ebenfalls Veränderungen bemerkbar. Die EU bereitet derzeit den Gipfel der Östlichen Nachbarschaft in Vilnius Ende November vor. Dort sollen nach Wunsch aller Beteiligten Assoziierungs- und Freihandelsabkommen (DCFTAs) mit der Ukraine unterzeichnet und mit Georgien und der Moldau paraphiert werden. Russland wiederum erhöht seit Monaten den politischen und wirtschaftlichen Druck auf seine Nachbarn, um deren Assoziierung mit der EU zu stoppen und seine eigenen Integrationsinitiativen, die Zollunion und die Eurasische Union, voranzutreiben. Berlin unterstützt die Assoziierung der östlichen Nachbarn mit der EU und engagiert sich bei den Bemühungen, die Hindernisse für die Unterzeichnung des Abkommens mit der Ukraine aus dem Weg zu räumen.

Ein vergleichender Blick in die jüngste Geschichte zeigt, wie sich deutsche Politik gegenüber diesen Staaten gewandelt hat: Vor sechs Jahren noch stritten Russland und NATO über die Eröffnung einer NATO-Beitrittsperspektive für die Ukraine und Georgien. Diese Diskussion erreichte ihren Höhepunkt 2007/2008, kurz vor dem Ausbruch des russisch-georgischen Krieges. Damals verhinderte Berlin die sogenannten Membership Action Plans für Kiew und Tiflis nicht zuletzt aus Rücksicht auf Moskauer Empfindlichkeiten. Zwar unterscheiden sich Membership Action Plans der NATO und Assoziierungsabkommen der EU insofern, als mit ersteren die NATO-Mitgliedschaft gesichert und nur noch eine Frage der Zeit ist, letztere aber keine automatische Beitrittsperspektive zur EU enthalten. Die Östliche Partnerschaft hat jedoch die NATO-Osterweiterung als größten Zankapfel zwischen Brüssel und Moskau abgelöst. Berlin beharrt dennoch auf den Assoziierungsabkommen, verteidigt sie gegen russische Hegemonialansprüche und stellt sich somit hinter die Politik der EU.

Nicht gegen, aber unabhängiger von Russland

Entscheidungsträger in Berlin weisen unermüdlich darauf hin, dass Deutschland gerade im Bereich der Nachbarschaft keine Politik gegen Russland betreiben kann und will. Das ist richtig. Gleichwohl zeigen die hier beschriebenen Prozesse, dass deutsche Politik sich in wesentlichen Bereichen unabhängiger von den Beziehungen mit Russland entwickelt, als dies ehemals der Fall war. Diese beginnende Entkoppelung ist neu. In der deutschen Debatte werden ihre möglichen Implikationen bislang nicht ausbuchstabiert. Russische Experten weisen auf die Europäisierungstendenzen in der deutschen Ostpolitik hin. Regierungsvertreter haben jedoch vor den Wahlen wiederholt ihrer Hoffnung Ausdruck verliehen, Deutschland möge seine Rolle als Anwalt Russlands in Europa wieder ausfüllen. Der strukturelle Wandel in den deutsch-russischen Beziehungen spricht jedoch dagegen. Dies muss bei der Entwicklung einer neuen deutschen Russlandstrategie von allen Beteiligten berücksichtigt werden.

Sabine Fischer forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) u.a. zu Russischer Außenpolitik, EU-Russland-Beziehungen sowie ungelösten Konflikten im post-sowjetischen Raum. Sie leitet die Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Artikel erscheint auf der SWP-Homepage in der Rubrik "Kurz gesagt".

Sabine Fischer

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