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Der europäische Bankensektor soll strenger reguliert werden.

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Mehr Eigenkapital für Europas Banken: Der unterschätzte Reiz der britischen Vorschläge

Bislang galten die Briten als Bremser, die Kontinentaleuropäer als Schrittmacher bei der Verschärfung der Bankenregulierung. Nun gibt es eine überraschende Wende. Heribert Dieter hält es für angemessen, dass Nationalstaaten ihren Banken eigene Regeln auferlegen.

Eine Erkenntnis der jüngsten Finanzkrisen ist, dass die Stärkung der Eigenkapitalausstattung von Banken im Zentrum der Bemühungen zur Stabilisierung des Finanzsystems stehen sollte. Dabei gilt eine einfache Formel: Je größer das Eigenkapital einer Bank, desto besser kann sie Turbulenzen bewältigen.

In der Europäischen Union war zu diesem Thema in den vergangenen Wochen eine ungewohnte Debatte zu beobachten: Die britische Regierung forderte die Möglichkeit, von den eigenen Banken eine höhere Eigenkapitalausstattung zu verlangen. Die EU-Kommission, Deutschland und Frankreich hingegen lehnten dies ab. Eine überraschende Wende: Bislang galten die Briten als Bremser, die Kontinentaleuropäer als Schrittmacher bei der Verschärfung der Bankenregulierung.

Der wichtigste Grund, warum ausgerechnet die britische Regierung den eigenen Banken höhere Lasten auferlegen will, ist der Umstand, dass Londons Finanzsektor Großbritannien im Krisenfall in den Bankrott reißen könnte. Während die Aktiva der Londoner City in den 1950er Jahren etwa 50 Prozent der damaligen Wirtschaftsleistung ausmachten, stieg dieser Wert vor dem Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2007 auf 550 Prozent des britischen Bruttoinlandsproduktes an. Dabei gilt in der Bankenregulierung noch immer das Heimatlandprinzip: bei einem Zusammenbruch übernimmt in der Regel das Land die Haftung, in dem die Bank ihren Sitz hat, wie im Falle Islands oder bei den britischen Banken Northern Rock und der Royal Bank of Scotland geschehen.

Als Folge der Internationalisierung der Finanzmärkte - nach Aufhebung der Beschränkungen des grenzüberschreitenden Kapitalverkehrs ab den frühen 1970er Jahren - haben zahlreiche Banken versucht, durch Expansion im Ausland zu wachsen. Für das Heimatland ist dies aber mit Risiken verbunden, denn Banken wachsen im Ausland und sterben daheim. Die britische Regierung weiß das nur zu gut. Sie will London vor einer krisenhaften Zuspitzung schützen und verhindern, dass es bei der nächsten schweren Finanzkrise zu einem "Reykjavik-on-Thames" wird.

Auch die Schweiz - wie Großbritannien durch einen überproportional großen Finanzsektor geprägt - hat aus den letzten Krisen gelernt. Ein Zusammenbruch einer der beiden Großbanken würde die Eidgenossen überfordern. Deshalb hat sich die Schweizer Bankenaufsicht entschlossen, zusätzlich zu den erhöhten Anforderungen des Baseler Ausschusses für Bankenregulierung im als Basel III bekannten Maßnahmenpaket  zusätzliches Eigenkapital von sechs Prozent zu verlangen. Im Ergebnis werden die UBS und die Credit Suisse ab dem Jahr 2018 insgesamt 19 Prozent ihrer gesamten Risiken als Eigenkapital vorhalten müssen. Für Länder mit überproportional großen Finanzsektoren ist diese Art der Absicherung vor Haftungsrisiken vollkommen legitim. Warum sollte es also der Schweiz oder auch Großbritannien nicht erlaubt sein, den eigenen Banken schärfere Zügel anzulegen?

Brüssel setzt auf die Vereinheitlichung der Finanzmärkte

Die Begründungen der Gegner uneinheitlicher Regulierungen sind zu unterscheiden in eine offizielle und eine inoffizielle Version. Die offizielle Begründung, vorgetragen von Deutschland, Frankreich und der EU-Kommission, lautet, dass striktere nationale Eigenkapitalanforderungen zu einer Reduzierung der Kreditvergaben im Ausland führen könnten. Britische Banken würden entsprechend ihre Kredite an Unternehmen in Italien oder Frankreich einschränken. Obwohl dies möglich erscheint, kann das Argument nicht überzeugen. Zwar trifft es zu, dass jedwede Erhöhung von Eigenkapitalausstattung die Möglichkeiten von Banken reduziert, Kredite zu vergeben, aber dies ist keineswegs unerwünscht, gehen doch den meisten Finanzkrisen leichtfertige Kreditvergaben voraus. Die amerikanischen, irischen und spanischen Immobilienblasen hätten bei einer restriktiveren Kreditpolitik nicht in gleichem Maße entstehen können.

Doch vermutlich ist das zweite, vor allem von der EU-Kommission vertretene, aber nicht offiziell verlautbarte Argument bedeutender. Für Brüssel hat die Schaffung einheitlicher europäischer Märkte, einschließlich des Finanzmarktes, große Bedeutung. Eine von Land zu Land divergierende Regulierung des Bankensektors stört die Erreichung dieses Ziels natürlich gravierend. Gleichzeitig ist aber eine gemeinsame Haftung in der gegenwärtigen politischen Stimmung nicht durchsetzbar. Eine zunehmende Integration bei der Bankenregulierung ohne eine gemeinsame Haftung jedoch bürdet den Nationalstaaten ein unzumutbares Risiko auf. Die britische Regierung hat dies erkannt und möchte für den Fall einer Schieflage einer oder mehrerer Großbanken Vorsorge treffen.

Die Sinnhaftigkeit eines einheitlichen Finanzmarktes inklusive einer gemeinschaftlichen Haftung für Fehlentwicklungen in einzelnen Ländern muss darüber hinaus grundsätzlich in Zweifel gezogen werden. Seit Beginn der Bemühungen zur Schaffung einheitlicher internationaler Finanzmärkte - also seit den frühen 1970er Jahren - hat die Zahl und Tiefe von Finanzkrisen nicht ab-, sondern zugenommen. Sowohl die Krise in den USA als auch die aktuelle Krise in Europa wurden durch die existierenden Regulierungen – etwa die Eigenkapitalvorschriften von Basel II - keineswegs verhindert. Vor diesem Hintergrund ist es absolut angemessen, innerhalb der EU auch weiterhin von Land zu Land divergierende Eigenkapitalregeln zuzulassen.

Heribert Dieter forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) u.a. zu internationalen Finanzmärkten. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Artikel erscheint auf der SWP-Homepage in der Rubrik "Kurz gesagt".

Heribert Dieter

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