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Entscheidet Bundeskanzlerin Angela Merkel über den Fortbestand des Euros oder der Euro über ihren?

© dapd

Merkel und der Euro: Die Zeit des Zauderns ist vorbei

Die Eurokrise spitzt sich zu, Europa steht vor einem Herbst der Entscheidungen. Die deutsche Innenpolitik wird dies fundamental verändern, doch die Regierung ist nicht mehr handlungsfähig. Kanzlerin Merkel kann sich auf die Opposition mittlerweile mehr verlassen als auf die Regierungsparteien.

Es wird ernst für den Euro, es wird ernst für Europa und es wird ernst für Angela Merkel. Schließlich sieht es so aus, als stünde der Kontinent vor einer historischen Weichenstellung. Noch in diesem Herbst werden die Europäer und damit auch die Deutschen einige Fragen beantworten müssen: Wollen sie mehr Europa oder weniger? Sind sie bereit, die europäischen Institutionen zu stärken und die gemeinsame Währung um fast jeden Preis zu erhalten? Die Geburtsfehler des Euros haben Europa eingeholt und erzwingen nun mehr Europa. Die Alternative wäre eine Rückkehr zu einem losen Staatenbund, voller nationaler Egoismen und mit monetärer Kleinstaaterei.

Bricht die Euro-Zone auseinander, scheinen die Folgen unkalkulierbar. Die Angst vor einer weltweiten Rezession ist groß. Ein Austritt Griechenlands könnte eine Kettenreaktion auslösen, könnte auch Länder wie Spanien oder Italien mit in den Abgrund ziehen. Auf der anderen Seite scheinen alle bisherigen Versuche, den Euro zu retten, an ihren Grenzen gestoßen zu sein. Europa steht also vor einer Zäsur und die Eurozone vor einem fundamentalen Strategiewechsel. Für die deutsche Innenpolitik hätte ein solcher weitreichende Folgen.

Gleichzeitig blickt ganz Europa nach Karlsruhe. Denn dort entscheidet das Bundesverfassungsgericht am 12. September über die Zukunft Europas. Vordergründig geht es darum, ob die gesetzlichen Regelungen zum ESM mit dem Grundgesetz und dem Etatrecht des Parlaments vereinbar sind. Ist der ESM verfassungswidrig, wäre eine Pleite Griechenlands die unmittelbare Folge. Womöglich jedoch fordern die Verfassungsrichter zugleich eine Volksabstimmung und stoßen damit jene europäische Dynamik an, der sich die Parteien in Deutschland bislang verweigern.

Die Bundeskanzlerin steht unter enormem Druck. Zwei Jahre lang hat Angela Merkel den Kurs bei der Eurorettung bestimmt. Zögernd und zaudernd war sie, häufig reagierte sie zu spät. Immer wieder hat die Kanzlerin gleichzeitig zu Recht darauf gedrungen, dass finanzielle Hilfen mit ernsthaften Sparanstrengungen in den Krisenländern verbunden sein müssen. Erfolgreich waren alle ihre Bemühungen kaum.

Die vielen Hundert Milliarden reichen offenbar nicht, um die Märkte zu beruhigen und die Spekulanten in Schach zu halten. Gleichzeitig rutschen die Krisenländer wie Griechenland und Spanien immer tiefer in die Rezession. Zwar gilt die Bundeskanzlerin daheim als erfolgreiche Krisenmanagerin, doch ein Ende der Euro-Krise ist nicht in Sicht. Im Gegenteil brennt es in Europa mittlerweile lichterloh.

In Europa ist Merkel zunehmend isoliert. Der italienische Ministerpräsident Monti sieht bereits den Kontinent auseinanderbrechen, warnt in einem Spiegel-Interview eindringlich vor der Zerstörung Europas. Der EZB-Chef Draghi wiederum will „alles Notwendige tun“, um den Euro zu erhalten. Die EZB soll wieder im großen Stil Staatsanleihen aus Krisenstaaten aufkaufen. Notfalls will Draghi den europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) gar mit einer Banklizenz, also mit der Lizenz zum Gelddrucken, ausstatten.

Der Euro ist Merkels politische Schicksalsfrage

Hinter ihr liegt nur Dunkelheit. Nun muss Merkel handeln, klare Positionen beziehen und Licht bringen ins Dunkel ihrer Europa-Politik.
Hinter ihr liegt nur Dunkelheit. Nun muss Merkel handeln, klare Positionen beziehen und Licht bringen ins Dunkel ihrer Europa-Politik.

© Reuters

Während die Mahnungen in Europa immer eindringlicher klingen, werden die Töne in der Innenpolitik immer schriller. Der FDP-Vorsitzende Philipp Rösler redet fahrlässig den Euro-Austritt Griechenlands herbei, der bayerische Finanzminister Markus Söder mutwillig.

Um Europa geht es dabei nur am Rande. Rösler muss seine eigene Haut retten, seine Tage als Parteivorsitzender scheinen gezählt. Die CSU kämpft bei der Landtagswahl im kommenden Jahr um ihr politisches Überleben. Aus innenpolitischen Motiven nähren FDP und CSU gemeinsam die doppelte Illusion, die Euro-Zone könne sich erstens mit dem Rausschmiss Griechenlands all ihrer Probleme entledigen und zweitens sei Griechenland für die EU keine finanzielle und politische Belastung mehr, wenn das Land erst einmal zur Drachme zurückgekehrt sei.

Merkel hat zugelassen, dass die innenpolitische und die europäische Debatte immer weiter auseinanderklaffen. Es ist nicht zu übersehen, die schwarz-gelbe Bundesregierung ist in der Euro-Krise nicht mehr handlungsfähig. In Sachen Eurorettung kann sich Kanzlerin Merkel auf die Opposition mittlerweile mehr verlassen als auf die Regierungsparteien.

Dabei wird Merkel ihre Handlungsfähigkeit schon bald unter völlig neuen Vorzeichen unter Beweis stellen müssen. Griechenland braucht neue Milliardenhilfen. Ende September steht die Euro-Zone somit vor der Frage, ob es Griechenland fallen lässt, mit allen unkalkulierbaren Folgen, die dies haben könnte. Zur selben Zeit könnte Spanien unter den Rettungsschirm schlüpfen müssen. Nur werden die 700 Milliarden Euro des ESM kaum ausreichen, um die viertgrößte Volkswirtschaft Europas gegen eine Pleite abzuschirmen. Spätestens, wenn anschließend Italien ebenfalls gerettet werden muss, würde die Brandmauer, die noch gar nicht richtig steht, schon wieder in sich zusammenfallen.

Außer in Deutschland hat sich deshalb in allen Regierungen der Euro-Zone die Erkenntnis durchgesetzt, dass die gemeinsame Währung nur gerettet werden kann, wenn die Schulden der Eurostaaten zumindest teilweise vergemeinschaftet werden. Lange wird Kanzlerin Merkel ihren Verweigerungskurs gegenüber Eurobonds, einer Haftungsunion oder einem Schuldentilgungsfonds sowie gegenüber einer konstitutionellen Stärkung der europäischen Institutionen nicht mehr durchhalten können.

Die Kanzlerin muss handeln, möglicherweise wird sie auch vom Bundesverfassungsgericht dazu gezwungen. Und die Frage, die sich der schwarz-gelben Bundesregierung damit stellt, lautet längst nicht mehr: Wie viel Eurorettung kann sich Deutschland leisten?, sondern: Wie schnell können die Geburtsfehler des Euro behoben werden? Wie schnell kann die Wirtschafts- und Währungsunion in eine politische Union verwandelt werden? Welche Schritte müssen dafür gegangen werden? Der Euro ist Merkels politische Schicksalsfrage und es ist längst nicht mehr ausgeschlossen, dass das schwarz-gelbe Regierungsbündnis darüber zerbricht. Doch die Zeit des Zauderns ist vorbei.

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