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Angela Merkel traf bei ihrer Chinareise Xi Jinping.

© dapd

Merkels Besuch in China: Schweigen ist Dialog

Wahrscheinlich waren die beiden 40-minütigen Gespräche, die Angela Merkel mit Chinas mächtigsten Männern führte, ein meisterliches Lehrstück in Sachen nonverbaler Kommunikation, meint Ulrich Sollmann, Experte für Körpersprache. Denn die Kanzlerin beherrscht die Kunst des Schweigens.

Die Deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat China besucht. Sie traf dabei auf den jetzigen Premier Wen Yiabo. Sie traf ebenso zentrale Funktionäre aus der Chinesischen KP. Von herausragender Bedeutung sind die beiden jeweils 40 Minuten dauernden Gespräche mit den zukünftig mächtigsten Männern in China: Xi Jinping und Li Keqiang. Beide sollen auf dem Parteitag der KP im Oktober 2012 in die höchsten Ämter gewählt werden.

Diese Gespräche sind verständlicherweise wichtig für die Weichenstellung der zukünftigen Gespräche und Beziehungen zu China. Beide Länder sind voneinander abhängig, betonen jedoch gleichzeitig ihre jeweilige Autonomie. Beide Länder brauchen sich, wirtschaftlich und politisch, üben sich aber ständig in unmissverständlicher Abgrenzung von einander.

Also es geht wirklich um was, in China.

Aber wie kann Kommunikation zwischen zwei autonom denkenden und fühlenden Systemen funktionieren, wenn man sich gerade jetzt nicht in die eigenen Karten gucken lassen will? Wie, die Interaktion und Beziehungsgestaltung, wenn doch die Kommunikation selbst sicherlich eine Symphonie nonverbaler Kunstgriffe sein wird? Wie kann das gelingen, wenn das bevorzugte rhetorische Stilmittel Schweigen ist?

Die chinesische Seite, bereits kulturell in der Kunst des Schweigens über Jahrtausende geübt, schweigt zudem in aktueller politischer Contenance. Diese braucht man dringlich, um das, was auf der hinteren Bühne geschieht, hinreichend abschirmen zu können. Nämlich im eigenen politischen Lager des politischen Ränkespiels, der instrumentalisierten Selbst-Präsentation, dem politischen Strippenspiel innerhalb der eigenen Partei.

Video: Merkel spricht mit Wen über die Schuldenkrise

Angela Merkel hingegen, bekannt und berühmt für ihre Kommunikationskompetenz, bringt eine andere, nämlich westliche Variante von Schweigen ein. Ihre Art und Weise zu schweigen ist der Habitus der persönlichen Autonomie, der eigenen Unabhängigkeit im klaren Kontrast zur kulturellen Autonomie Chinas. Merkel will als Person von niemandem abhängig sein. Sie liebt es, sich frei und ungebunden, unabhängig zu fühlen. Dafür ist sie bekannt, dafür liebt man sie. In dieser Hinsicht ist sie immer wieder für eine politische Überraschung gut.

Konsequent hält sie daher ihre jeweilige Stimmungslage, ihre ureigensten Ideen und Vorstellungen von der Welt, ihre Beweggründe sowie ihre politischen Strategien im Verborgenen. Chinas Politiker werden dies zu schätzen wissen.

Kommunizieren doch beide Seiten jetzt eher schweigend , indem man die Kunst der rhetorischen Auslassung pflegt. Schweigend, um sich selbst und sein Gegenüber nicht vorzeitig zu beschädigen.

Also wie kann in Peking aktuell die politische Kommunikation funktionieren? Wie kann man  jeweils zu Zweit 40 Minuten miteinander reden, indem man die Worte so sinnvoll wählt, dass sie niemandem schaden werden? Niemanden bloßstellen werden. Niemanden in vorschnelle gegenseitige Verpflichtungen bringt.

Merkel ist geübt, die Spannungen gemeinsamen Schweigens in der Balance zu halten

Es geht dabei um mehr und anderes als um die übliche Diplomatie.

Wahrscheinlich waren die beiden 40-minütigen Gespräche ein meisterliches Lehrstück in Sachen nonverbaler Kommunikation. Beide Seiten werden sich, wie von Geisterhand geführt und unausgesprochen verabredet, in der Choreographie der Zwischentöne und Nuancierung bewegt haben. Dies geschieht mit Worten. Natürlich. Dies geschieht ohne Worte. Dies geschieht durch gezielt gesetzte Pausen. Dies geschieht durch kaum wahrnehmbare Mimik und Gestik. – Hinter verschlossenen Türen natürlich. Große Gesten bleiben dann der öffentlichen Bühne im Anschluss an diese Gespräche vorbehalten.

Dies alles wird von dem rhetorischen Geschick getragen, redend zu schweigen. Aufzudecken, indem man den die Dinge verhüllenden Schleier beschreibt.

- Verknüpft mit jeweils der Botschaft, die die Außenstehenden wahrzunehmen glauben. Verknüpft mit den Anspielungen, die im eigenen Ohr des Betrachters plausiblen Sinn erklingen lassen.

Am Ende ist alles ganz einfach: jeder glaubt endlich zu wissen. Das zu wissen, was gar nicht wahrnehmbar war. Das, was (vielleicht) gar nicht beabsichtigt war. Das, was man schweigend gar nicht ausdrücken kann. Was gar nicht ausgedrückt wurde.

Natürlich werden die Menschen, nachdem sie die Bilder aus China gesehen und die Medienkommentare verdaut haben, zu wissen glauben, was die jeweilige Botschaft gewesen war. Gewesen sein muss.

Natürlich werden die Menschen wieder, wie so oft, anschließend drüber reden. Medien leben von solch einem Babylonischen Meinungswirrwarr. Medien brauchen das.

Was aber ist die wahre Essenz der Gespräche in China? Was die entscheidende Botschaft?

Es ist der Film im eigenen Kopf. Das eigene Drehbuch, das die Welt verstehen hilft. Das Drehbuch, das einem eine Wahrheit vorgaukelt. Die  Wahrheit, die einem hilft, Schweigen überhaupt aushalten zu können.

Das, was den Gesprächen in China an medialem Gewitter folgt, ist die eigentliche Botschaft dieses so seltsam anmutenden Schweigedialogs zwischen Merkel und China.

Merkel ist wohl in der Fähigkeit geübt und erfahren, die Spannungen, die durch gemeinsames Schweigen entstehen, in der Balance zu halten.

Der Autor Ulrich Sollmann bloggt unter www.body-languages.net.

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