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Nach dem US-Abzug: Keine Ruhe für den Irak

2012 dürfte ein schwieriges Jahr für den Irak werden, warnt Guido Steinberg von der Stiftung Politik und Wissenschaft. Besonders problematisch für das tief gespaltene Land könnten die Spannungen zwischen Saudi-Arabien und Iran werden.

Seit Beginn des arabischen Frühlings ist der Irak aus der westlichen Medienberichterstattung über den Nahen Osten fast völlig verschwunden, nachdem er diese zwischen 2003 und 2008 dominiert hatte. Dies hatte mit dem Nachlassen der Gewalt im Land sowie mit dem schrittweisen Rückzug der US-Truppen zu tun. Dabei wurde häufig übersehen, dass die meisten Probleme, mit denen das Land nach 2003 zu kämpfen hatte, bis heute nicht gelöst worden sind und die Amerikaner ein wichtiger Stabilitätsfaktor waren. Da Ende Dezember 2011 die US-Truppen vollständig abgezogen sein werden, steht zu befürchten, dass 2012 ein unruhiges Jahr für den Irak werden wird. 

Das derzeit drängendste Problem ist die zerrüttete Regierung. Ministerpräsident Nuri al-Maliki hat seit seinem Amtsantritt 2006 seine Kontrolle über wichtige Institutionen ausgebaut – insbesondere über den Sicherheitssektor, in dem der Schiit seine Anhänger an Schlüsselpositionen platziert hat. Besonders die Irakische Liste von Iyad Allawi, die als Interessenvertretung der Sunniten und säkularen Nationalisten gilt, und die Kurdenparteien Demokratische Partei Kurdistans (KDP) und Patriotische Union Kurdistans (PUK) wehren sich gegen diese Zentralisierung der Macht durch Maliki. 

Obwohl die Irakische Liste bei den Wahlen im März 2010 das stärkste Ergebnis erzielt hatte, konnte sich Allawi nicht gegen Maliki durchsetzen, so dass er und seine Gefolgsleute bis heute vergeblich versuchen, ihren Teil der politischen Macht zu erringen. Die Kurden hingegen unterstützten Maliki bei seiner Regierungsbildung im Dezember 2010, nur um seit Monaten festzustellen, dass der Ministerpräsident gar nicht daran denkt, die ihnen gemachten Zusagen einzuhalten. 

Die häufig skurril anmutenden Auseinandersetzungen im politischen Bagdad zeigen, wie zerrissen das Land nach acht Jahren amerikanischer Besatzung noch ist. Besonders problematisch ist der schwelende Konflikt zwischen Arabern und Kurden. Die Kurden hatten von Anfang an auf ein Bündnis mit den USA gesetzt und sich als deren loyalster Unterstützer in der irakischen Politik erwiesen. Infolgedessen gelang es ihnen, die von ihnen kontrollierte autonome Kurdenregion in der Verfassung von 2005 zu verankern und sich in den angrenzenden arabisch-kurdisch-turkmenischen Gebieten festzusetzen – insbesondere in der Stadt Kirkuk, die die Kurden als Hauptstadt Irakisch-Kurdistans betrachten.

Die Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten schwelen weiter

Ministerpräsident Maliki versucht, den Einfluss der Kurden zurückzudrängen, was bereits mehrfach heftige Konflikte provozierte, die beinahe in bewaffneten Auseinandersetzungen mündeten. Da die Amerikaner die Parteien nun nicht mehr trennen können, kann es jederzeit zu einer unkontrollierten Eskalation kommen. Mittelfristig werden sich Konflikte ohnehin kaum vermeiden lassen. Noch sind die kurdischen Peschmerga den irakischen Regierungstruppen überlegen. Sobald sich der irakische Staat insgesamt konsolidiert, wird er die Einnahmen aus dem Öl- und Gasexport jedoch dazu nutzen, die Armee zu bewaffnen. Eine ihrer wichtigsten Aufgaben wird sein, die zentralstaatliche Kontrolle über den kurdischen Norden und Nordosten wiederherzustellen. 

Eine zusätzliche Gefahrenquelle sind die latenten Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten. Zwar ist ein erneutes Ausbrechen des Bürgerkrieges, der das Land zwischen 2005 und 2007 an den Rand des Zerfalls brachte, unwahrscheinlich. Jedoch haben die Konfliktparteien ihre gegenseitigen Ressentiments keineswegs abgebaut. Vielmehr haben die Sunniten, die maximal 20 Prozent der Bevölkerung stellen, den Kampf mangels Erfolgsaussichten 2008 eingestellt. Die schiitischen Milizen haben den Bürgerkrieg gewonnen und viele der sunnitischen Bewohner Bagdads und seiner Umgebung aus ihren Vierteln vertrieben. 

Zudem gehen die von Ministerpräsident Maliki und seinen schiitischen Verbündeten kontrollierten Teile der Regierung immer offener gegen ihre innenpolitischen Gegner vor. Erst im Herbst wurden rund 600 angebliche Angehörige der verbotenen Baath-Partei in der vorwiegend sunnitisch besiedelten Provinz Salahaddin verhaftet. Ihnen wurde vorgeworfen, einen Staatsstreich gegen die neue irakische Regierung geplant zu haben – ein Vorwand, um potenzielle innenpolitische Gegner zu beseitigen.

Riad betrachtet Maliki als Befehlsempfänger Teherans

Diese Spannungen haben dazu geführt, dass terroristische Gruppierungen wie die – insgesamt stark geschwächte – Al-Qaida weiterhin in der Lage zu spektakulären Anschlägen sind. So geschehen Anfang Dezember, als mehr als 20 schiitische Gläubige am Ashura-Feiertag zu Opfern von Attentaten wurden. Auch wenn die Militanten nicht in der Lage sein werden, die Stabilität des neuen irakischen Staates zu erschüttern, werden sie auch künftig präsent sein und die innere Sicherheit massiv beeinträchtigen. 

Die Sunniten sehen sich als Opfer der amerikanischen Invasion und der Nachkriegsordnung und werfen der Regierung Maliki vor, die Interessen nicht nur der schiitischen Bevölkerungsmehrheit, sondern auch des Iran zu vertreten. Zwar ist Maliki ebenso sehr Nationalist wie Schiit, doch seine Politik ist massiv vom konfessionellen Gegensatz zwischen Schiiten und Sunniten und Malikis Nähe zum Iran geprägt. Als die Arabische Liga Ende November schmerzhafte Sanktionen gegen den Nachbarn (und engen Verbündeten Teherans) Syrien verhängte, beteiligten sich der Irak und der Libanon nicht. Tatsächlich kursieren sogar Gerüchte, die Regierung Maliki unterstütze den syrischen Präsidenten mit Milliardensummen. In der Hilfe für Assad spiegelt sich vor allem Malikis Furcht, dass nach dessen Sturz die saudi-arabische Regierung und ihre regionalen Verbündeten mit der Hilfe eines sunnitisch beherrschten Syrien auch gegen die Regierung im Irak vorgehen könnten. 

Die US-Truppen ziehen ab, doch die Probleme im Irak bleiben.
Die US-Truppen ziehen ab, doch die Probleme im Irak bleiben.

© AFP

Die Eskalation der Spannungen zwischen Saudi-Arabien und Iran ist möglicherweise die größte Gefahr für die Zukunft des Irak. Die saudi-arabische Führung betrachtet Maliki als einen Befehlsempfänger Teherans und lehnt die Herrschaft schiitischer Kräfte in Bagdad ab. Bisher hat Riad es aus Rücksicht auf seinen amerikanischen Verbündeten vermieden, sunnitische Gruppen im Irak zu offen zu unterstützen. Mit dem amerikanischen Abzug und der Eskalation der Gewalt in Syrien könnte das Königreich seine Zurückhaltung aufgeben. Im schlimmsten Fall würde der Irak so zum Schlachtfeld des Kalten Krieges zwischen Saudi-Arabien und dem Iran.

Guido Steinberg forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik unter anderem zum Irak. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Artikel erscheint auf der SWP-Homepage in der Rubrik www.swp-berlin.org/de/kurz-gesagt.html.

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