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Nato-Generalsekretär Rasmussen und Kanzlerin Merkel im Frühjahr 2014 in Berlin.

© dpa

Nato, Russland und die Ukraine: Deutschland sollte auf eine engere Kooperation mit Kiew drängen

Die Ukraine-Krise zwingt die Nato, sich in sicherheitspolitischen Fragen neu auszurichten. Aber auch die Zusammenarbeit mit Russland darf jetzt nicht ganz verworfen werden, schreibt Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik in seinem Gastbeitrag.

Aus der Ukraine-Krise leiten sich für die deutsche Nato-Politik drei Fragen ab, die die sicherheitspolitische Ordnung im östlichen Bündnisgebiet und in dessen Peripherie betreffen: Erstens die nach den Zusagen und Maßnahmen, mit denen sich unter den osteuropäischen Nato-Mitgliedern die Sorge vor einem hegemonial-aggressiven Russland abfedern lässt; zweitens die nach den Eckpfeilern der zukünftigen Nato-Politik gegenüber der Ukraine und schließlich, drittens, die nach der mittel- und langfristigen Politik der Allianz gegenüber Russland.

Die deutsche Politik verhält sich in den Nato-Debatten um den Schutz der osteuropäischen Partner ambivalent. Zwar betont Berlin, dass politische und militärische Solidarität mit den Nato-Verbündeten ein fester Bestandteil deutscher Sicherheitspolitik und der Kitt der Nato sei. Die Sorge einiger osteuropäischer Verbündeter vor einem hegemonial-aggressiven Russland wird aber häufig als unbegründete Wahnvorstellung diskreditiert. Dabei sollte es gar keine Rolle spielen, wie konkret eine solche Bedrohung wirklich ist.

Entscheidend ist das Sicherheitsempfinden der Partner. Fühlen sie sich sicher, werden sie sich nicht in politische beziehungsweise militärische Abenteuer stürzen. Sie werden auch den inneren Zusammenhalt der Nato nicht aushöhlen, indem sie sicherheitspolitische Unterstützung außerhalb der Allianz suchen. Diesen Verbündeten ein klares Signal der militärischen Rückversicherung zu geben, liegt daher im ureigenen deutschen Interesse. Und es sollte der deutschen Politik auch nicht fremd sein: Obgleich Syrien die Türkei bislang weder mit ballistischen Raketen angegriffen, noch seinen Willen bekundet hat, dies zu tun, hat die Bundesregierung im Jahr 2013 zwei Patriot-Raketenabwehrbatterien in die Türkei verlegt.

Politische und militärische Hilfe für die Ukraine

Noch halten westliche Regierungen die Frage offen, welche Form der Anbindung die Nato der Ukraine zu gewähren bereit ist. Ein Hinauszögern fällt vor allem deshalb leicht, weil eine Nato-Mitgliedschaft für die ukrainische Regierung derzeit keine Priorität hat. Die Nato hatte zwar formell die beim Bukarester Gipfel im April 2008 lancierte Politik der offenen Tür fortgeführt; danach ist eine Mitgliedschaft der Ukraine grundsätzlich möglich. Zugleich hat sie jedoch diese Option auf Drängen einzelner Mitglieder, vor allem Deutschlands und Frankreichs, und mit Rücksicht auf Russland nicht weiterverfolgt.

Seitdem haben beide Seiten ihre Beziehungen auf ein eher technisches Niveau herabgestuft. Nun muss die Frage beantwortet werden, unter welchen Vorzeichen die Kooperation mit der Ukraine fortgeführt werden soll. Ging es bislang vor allem um Unterstützung bei der internen Transformation des Landes, sollte Deutschland nun darauf drängen, dass die Nato einen weitreichenderen Anspruch verfolgt. Die Hilfestellungen können dabei sowohl militärischer als auch politischer Natur sein.

Militärisch sollte die Nato wie bisher die Reformen des Verteidigungssektors unterstützen sowie auf politische und finanzielle Weichenstellungen drängen, die zum Aufbau effektiver Streitkräfte notwendig sind. Denn nun kommt es darauf an, die Sicherheitskräfte des Landes (wieder-) aufzubauen und zu stärken. Angesichts der politischen Rahmenbedingungen kann die neue ukrainische Regierung bis auf weiteres nicht auf eine externe Beistandsverpflichtung setzen. Sie wird vielmehr eigenständig für die politische Souveränität und territoriale Integrität des Landes sorgen müssen. Die bevorstehenden umfangreichen westlichen Hilfszahlungen sollten an Fortschritte in Sachen guter Regierungsführung geknüpft werden. Gemeinsame Manöver, die Unterstützung bei der Ausbildung der ukrainischen Streitkräfte und der Zugang zu modernen Defensivwaffen-Systemen sollten das Hilfspaket ergänzen.

Politisch sollte die Allianz die Nato-Ukraine-Beziehungen aufwerten. Artikel 4 des Nato-Vertrages sieht Konsultationen vor, wenn nach Auffassung eines Mitglieds die Unversehrtheit des Gebiets, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit einer der Parteien bedroht ist. Eine analoge Regelung wäre auch ohne eine Vollmitgliedschaft der Ukraine ein wichtiges Zeichen für die Bereitschaft der Nato, Sicherheit und Stabilität in ihrer östlichen Peripherie zu sichern.

Moskau entscheidet über Maß an Kooperation mit der Nato

Das mittel- und langfristige Ziel deutscher Nato-Politik muss sein, Russland wieder in die euro-atlantische Sicherheitsgemeinschaft zu integrieren. Die Politik einiger Verbündeter, die gesamte Kooperation zwischen der Nato und der Allianz zu verwerfen, ist zwar nachvollziehbar, aber wenig zielführend. Die Verpflichtungen der Nato-Russland-Grundakte sollten vielmehr prinzipiell gültig bleiben, um den gemeinsamen Interessen weiterhin gerecht werden zu können. Dies drängt sich umso mehr auf, wenn man sich das Ambitionsniveau der Nato-Russland-Beziehungen vor Augen hält, wie es noch vor wenigen Monaten galt: Die Planungen deuteten auf eine Kooperation beider Seiten bei der Vernichtung der syrischen Chemiewaffen und der Ausrüstung der afghanischen Luftwaffe hin.

Noch vor wenigen Jahren wollte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen Russland für die Mitarbeit an einem gemeinsamen Abwehrschirm gegen Raketen aus dem Iran oder Nordkorea gewinnen. Selbst wenn Russland auf absehbare Zeit kein strategischer Partner der Allianz sein kann, bleiben doch einige Felder gemeinsamen Interesses: die kooperative Nutzung der Arktis, der Kampf gegen den islamistischen Terrorismus oder die Pirateriebekämpfung.

Doch deutsche Politik muss zugleich ehrlich mit sich selbst und den Verbündeten sein: Über das Maß an Kooperation zwischen der Nato und Russland entscheiden nicht die Nato-Mitglieder. Der Ball liegt gegenwärtig in Moskaus Feld. Einige vorsichtige Signale deuten immerhin darauf hin, dass Russland entgegen mancher Rhetorik Wert darauf legt, eingebunden zu bleiben. Doch ersetzen sie keine substantiellen Kooperationsangebote oder eine Rückbesinnung auf die Prinzipien der euro-atlantischen Sicherheitsordnung. Ein Entgegenkommen Moskaus, etwa bei der Raketenabwehr oder der Abrüstung der substrategischen Nuklearwaffen, wird erforderlich sein. Umgekehrt werden die Nato-Mitglieder bereit sein müssen, die Krim-Frage zu isolieren, um Kooperation grundsätzlich zu ermöglichen.

Markus Kaim ist Sicherheitsexperte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Artikel erscheint auf der SWP-Homepage in der Rubrik Kurz gesagt.

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