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Hannelore Kraft will Minierstpräsidentin in NRW bleiben.

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Parteiensystem im Umbruch: Der ungeplante Neuwahl-Frühling

In der Politik ist nichts mehr, wie es war. Das zeigte nicht nur die Bundespräsidentenwahl am Sonntag, sondern das zeigen auch die drei Landtagswahlen dieses Frühjahrs. Sie waren alle drei nicht geplant und könnten das Parteiensystem kräftig durcheinanderwirbeln.

Als am Mittwoch vergangener Woche eine Eilmeldung völlig überraschend das Ende der rot-grünen Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen verkündete, da schalteten die Parteien sofort auf Wahlkampf um. Noch bevor sich der Landtag aufgelöst hatte, präsentierte die CDU vor dem Düsseldorfer Landtag das erste Wahlplakat. Auch die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft testete sofort ihre ersten Wahlkampfparolen.

Noch am selben Tag lief die neue Routine an. Wahlkampf können die Parteien, da ist vieles noch so wie früher. Da gibt es noch Parteienwettbewerb und ideologische Schlachten, die politischen Lager formieren sich und die Basis steht. Also wurden an Rhein und Ruhr nun in aller Eile Parteitage einberufen und Spitzenkandidaten gekürt, Werbeflächen gebucht und Terminpläne angepasst. Viel Geld ist nicht in den Kassen der Parteien, weshalb diese froh sind, dass der Wahlkampf kurz ist. Bis zum 13. Mai steht Nordrhein-Westfalen politisch still und auch in Berlin starren alle Politiker in den kommenden sieben Wochen gebannt nach Düsseldorf.

Dabei hätte 2012 eigentlich ein ruhiges politisches Jahr werden sollen, ohne Wahlen und ohne Wahlkämpfe. Die Kanzlerin und Schwarz-Gelb hätten in aller Ruhe in der Regierung politische Akzente setzen können, die SPD hätte Zeit gehabt, mit dergleichen Ruhe ihren Kanzlerkandidaten zu küren. Hätte, könnte, sollte. Die guten alten Zeiten sind vorbei. Stattdessen befinden sich die Parteien plötzlich in einem ungeplanten Neuwahlfrühling, der zeigt, wie instabil die politischen Verhältnisse in Deutschland geworden sind, wie sehr das Vielparteiensystem die Politik in Deutschland bereits verändert hat und wie verunsichert die Politiker sind.

Bundeskanzlerin Merkel und Norbert Röttgen, NRW-Spitzenkandidat für die CDU.
Bundeskanzlerin Merkel und Norbert Röttgen, NRW-Spitzenkandidat für die CDU.

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Nicht nur eine ungeplante Bundespräsidentenwahl gab es am Sonntag. Der aus rein machtpolitischem Kalkül ins Amt gehobene Christian Wulff musste bereits nach 20 Monaten zurücktreten. An seine Stelle wählte die Bundesversammlung mit den Stimmen von CDU, CSU, SPD, FDP und Grünen nun einen Präsidenten, der aus seiner Distanz zu den politischen Eliten in Berlin nie einen Hehl gemacht hat. Wobei die Fünfparteienkoalition bei der Wahl von Joachim Gauck ein wenig wie das letzte Aufgebot des alten Parteienstaates wirkte.

Für die FDP geht es in NRW um ihr politisches Überleben

Nun folgen bis zum Mai im Saarland (25. März), in Schleswig-Holstein (6. Mai) und Nordrhein-Westfalen (13. Mai) drei vorgezogenen Landtagswahlen, die alle nicht geplant waren und die die Republik verändern werden.

Die Gründe, die in den drei Ländern zu Neuwahlen geführt haben, waren unterschiedlich und sind zugleich Vorboten der Veränderung. In Schleswig-Holstein ordnete das Landesverfassungsgericht Neuwahlen an, weil CDU und FDP nach der letzten Landtagswahl bei der Mandatsvergabe getrickst hatten und sich nur noch so eine Regierungsmehrheit im Landtag sichern konnten. Nun können sich SPD und Grüne berechtigte Hoffnungen machen, das Land zukünftig zu regieren.

Duell im Saarland: Heiko Maas und Annegret Kramp-Karrenbauer wollen beide die künftige Regierung anführen.
Duell im Saarland: Heiko Maas und Annegret Kramp-Karrenbauer wollen beide die künftige Regierung anführen.

© dpa

Im Saarland hat die CDU-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer die Liberalen aus der schwarz-gelb-grünen Landesregierung geschmissen, weil sich der völlig zerstrittene FDP-Landesverband als nicht regierungsfähig erwiesen hatte. Das Jamaika-Experiment ist damit gescheitert und in einer Woche entscheiden die Wähler des Landes vor allem darüber, ob die CDU oder die SPD in einer Großen Koalition künftig den Ministerpräsidenten stellen wird.

In Nordrhein-Westfalen wiederum nutzte die rot-grüne Minderheitsregierung die Gelegenheit, um die Flucht nach vorne anzutreten. Ein zweifelhaftes Gutachten der Landtagsverwaltung nahmen sie zum Anlass, um nach einer Niederlage über eine Einzelfrage des Landeshaushalts den Landtag aufzulösen. Angesichts der aktuellen Umfragen sind SPD und Grüne zuversichtlich, am 13. Mai vom Wähler mit einer eigenen Mehrheit ausgestattet zu werden.

Ob der rot-grüne Masterplan tatsächlich aufgeht, wird sich noch zeigen. Jetzt ist erstmal Wahlkampf. Jeder vierte Deutsche wird in den kommenden Wochen an die Wahlurnen gerufen. Vor allem die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen hat dabei den Charakter einer kleinen Bundestagswahl. Spannend werden die kommenden beiden Monate auf jeden Fall.

Allen voran die FDP kämpft um ihr politisches Überleben. Der liberale Spitzenkandidat Christian Lindner ist sozusagen das letzte Aufgebot seiner Partei. Scheitert er in Nordrhein-Westfalen, wird niemand mehr einen Cent darauf wetten, dass die Partei bei der nächsten Bundestagswahl wieder aufersteht. Ob diese dann tatsächlich erst 2013 stattfindet, darüber werden anschließend andere entscheiden.

Die Linken wiederum könnten in diesem Frühjahr wieder zu einer Ostpartei zurechtgestutzt werden. Gleichzeitig drängt eine neue Partei auf die politische Bühne: Die Piraten haben derzeit einen Lauf, können machen was sie wollen und werden als populistische Protestpartei der Generation Download auch ohne Programm und vorzeigbares Personal gewählt.

Warum Angela Merkel strategische Neuwahlen erwägen sollte

Siegt Hannelore Kraft in Nordrhein-Westfalen, hat die SPD erstmals eine starke Frau, die den Männern an der Parteispitze einheizen könnte. Zwar will die Ministerpräsidentin 2013 nicht Kanzlerkandidatin werden, das hat sie in diesen Tagen noch einmal unmissverständlich klargestellt. Trotzdem könnte Kraft der Troika der Wahlverlierer Gabriel, Steinmeier und Steinbrück anschließend ihre Bedingungen für den kommenden Bundestagswahlkampf und vermutlich auch den Kanzlerkandidaten diktieren.

CDU und CSU wiederum werden in den kommenden Wochen intensiv darüber nachdenken müssen, mit welcher Partei sie zukünftig im Bund regieren wollen. Mit der FDP wird es zum Machterhalt im Bund nicht mehr reichen, selbst wenn die Liberalen in diesem Frühjahr nicht untergehen.

Für Angela Merkel wäre es deshalb vermutlich strategisch günstig, wie einst Gerhard Schröder vorgezogenen Neuwahlen anzustreben und nicht bis zum Herbst 2013 zu warten. Die politische Stimmung für die CDU ist gerade gut, das persönliche Ansehen der Kanzlerin wesentlich besser als das der möglichen sozialdemokratischen Herausforderer. Weder die Wulff-Affäre noch das Siechtum der Liberalen schaden ihr. Im linken Lager hingegen machen sich vier Parteien gegenseitig Konkurrenz. Ob sich Merkel traut, wird man sehen.

Es braucht also keine hellseherischen Fähigkeiten, um vorauszusagen, dass bereits am Abend des 13. Mai in Berlin ein politischer Sturm losbrechen wird. Der vordergründig so harmonisch verlaufene Bundespräsidenten-Sonntag war sozusagen die Ouvertüre eines aufregenden Neuwahlfrühlings und drei spannender Wahlabende sowie zu den Umbrüchen im Parteiensystem, die unweigerlich folgen werden.

Christoph Seils ist Ressortleiter Online von Cicero. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch "Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien" erschienen.

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