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Taktgeber ist Klaus Wowereit schon lange nicht mehr, sagt Kolumnist Christoph Seils.

© dpa

Regierender Bürgermeister: Klaus Wowereit und die Berliner Gartenzwerge

Die Ära Klaus Wowereit in Berlin neigt sich dem Ende zu. Seine Demontage hat in den eigenen Reihen längst begonnen, analysiert Gast-Kolumnist Christoph Seils. Der Regierende Bürgermeister hat vor der Hauptstadt-SPD kapituliert.

In der Berliner SPD galt Ingrid Stahmer einmal als ziemlich großes politisches Talent. Regierende Bürgermeisterin wollte sie werden. In einer harten innerparteilichen Urabstimmung hatte sich die damalige Sozialsenatorin zunächst deutlich durchgesetzt. Doch bei der Abgeordnetenhauswahl 1995 scheiterte Stahmer grandios. Die Berliner SPD erzielte nur 23,6 Prozent, das bis dahin schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte.

Eine völlig zerstrittene, ideenlose und führungslose Partei hatte sich selbst zerlegt. Die Stahmer-SPD stand vor zwei Jahrzehnten für eine Mittelmäßigkeit und Mittelmaß. Für eine Sozialdemokratie, die sich mit der Rolle des Juniorpartners in der Großen Koalition eingerichtet hatte, die nichts wollte außer ein paar Posten und sich am liebsten mit sich selbst beschäftigte. Erst Klaus Wowereit gab der Berliner SPD neues Selbstbewusstsein und führte die SPD 2001 an der Spitze eines rot-roten Bündnisses zurück ins Rote Rathaus.

Kein Ende des Skandals in Sicht

Jetzt neigt sich die Ära Wowereit in der Hauptstadt ihrem Ende zu. Die Signale seines Macht- und Autoritätsverlustes sind nicht zu übersehen. Der Regierende Bürgermeister wirkt amtsmüde, die Wähler sind seiner überdrüssig geworden. Die peinliche Posse um den nicht eröffneten Flughafen Berlin-Brandenburg und die Verschwendung von Steuergeldern in Milliardenhöhe hängt wie ein Mühlstein um seinen Hals. Ein Ende des Skandals ist nicht abzusehen.

Am kommenden Sonntag könnten der politische Niedergang von Klaus Wowereit und der Absturz der Berliner SPD einen neuen Schub bekommen. Das liegt nicht nur daran, dass sich die Sozialdemokraten in der Hauptstadt bei Europawahlen traditionell sehr schwer tun, ihre Wähler zu mobilisieren. Vor allem droht dem Regierenden Bürgermeister und seiner Landesregierung bei einer Volksabstimmung über eine zentrale Frage der Stadtentwicklung in Berlin und eine zentrale Frage der Zukunftsfähigkeit der Hauptstadt eine ziemlich peinliche Niederlage.

Die Initiative gegen die Tempelhof-Bebauung könnte Erfolg haben

Vordergründig stimmen die Berliner am Sonntag über die zukünftige Nutzung des Flughafens Berlin-Tempelhof ab. Eine Bürgerinitiative will das rund 300 Hektar große Gelände zu 100 Prozent als Wiese und als Freizeitpark erhalten. Der Berliner Senat will zumindest Randbereiche des Tempelhofer Feldes bebauen. Die Regierungsparteien SPD und CDU wollen dort Gewerbe ansiedeln und einen Bibliotheksneubau errichten. Vor allem aber sollen auf dem ehemaligen Flughafengelände fast 5000 Wohnungen entstehen, die in der Stadt dringend gebraucht werden. Letzten Umfragen zufolge kann die Bürgerinitiative „100 Prozent Tempelhofer Feld“ mit einem Erfolg rechnen.

Tatsächlich jedoch entscheiden die Berliner erstens darüber, ob sie bereit sind, sich den wirtschaftlichen, sozialen und stadtplanerischen Herausforderungen ihrer Stadt zu stellen. Zweitens entscheiden sie über die politische Zukunft von Klaus Wowereit. Von einer Niederlage würde sich dieser vermutlich nicht mehr erholen.

Berlin ist Boomtown, in keinem anderen Bundesland ist die Wirtschaft im vergangenen Jahr mehr gewachsen. Nicht nur Touristen haben die einst geteilte Stadt erobert, im vergangenen Jahr sind auch rund 150.000 Menschen nach Berlin zugezogen. Netto hat sich die Zahl der Einwohner um etwa 50.000 Einwohner erhöht. Berlin wächst, entgegen allen Vorhersagen der Vergangenheit. In den kommenden 15 Jahren könnte die Zahl der Einwohner aktuellen Prognosen zufolge von jetzt 3,5 Millionen auf über vier Millionen steigen. Es entstehen viele neue Arbeitsplätze, selbst Industriebetriebe kehren nach Berlin zurück. Aber gleichzeitig explodieren die Mieten, die soziale Balance der Stadt ist bedroht, ein Verkehrsinfarkt scheint kaum noch zu vermeiden.

Berlin und die Berliner Politik stehen vor völlig neuen Herausforderungen. Es geht nicht mehr um das Zusammenwachsen von Ost und West, nicht mehr um die Befindlichkeiten in zwei ehemaligen Front-Halbstädten. Die Nachwendezeit ist in Berlin vorbei. Die deutsche Hauptstadt hätte in den kommenden Jahren die Chance, politisch und wirtschaftlich endlich in die Liga der europäischen Metropolen vorzustoßen. Doch in der Stadt regiert der Kleingeist. Hauptsache der Berliner hat seine Ruhe, Hauptsache alles bleibt, wie es ist. Hauptsache, dem Berliner Gartenzwerg geht es gut.

Allgemeinplätze statt Zukunftsideen

Klaus Wowereit hat vor dem Berliner Gartenzwergen-Denken kapituliert. Das zeigt nicht nur der Streit um das Tempelhofer Feld. Zukunftsdebatten finden in der Stadt weitgehend ohne ihn statt. Auch die Genossen, die mittlerweile eifrig an seinem Stuhl sägen, lässt er gewähren. Seine schleichende innerparteiliche Demontage hat längst begonnen.

Seit Jan Stöß vor zwei Jahren den Wowereit-Vertrauten Michael Müller vom Landesvorsitz verdrängt hat, beschäftigt sich die Berliner SPD statt mit der Zukunft der Stadt wieder intensiv mit sich selber. Darüber können auch Landesparteitag am vergangenen Wochenende und der dort zelebrierte Burgfrieden nicht hinwegtäuschen. Mit Stöß, dem Fraktionsvorsitzenden Raed Saleh und der Sozialsenatorin Dilek Kolat haben sich gleich drei Möchtegern-Bürgermeister in Stellung gebracht. Zwar hat bislang keiner der drei potenziellen Wowereit-Nachfolger seine Bürgermeister-Tauglichkeit auch nur ansatzweise unter Beweis gestellt. Ihre Zukunftsideen für die Stadt erschöpfen sich in Allgemeinplätzen. Um so eifriger jedoch ringen die Drei hinter den Kulissen mit allerlei schmutzigen Tricks um die Vormachtstellung in der SPD.

Mit Folgen: Nach einer aktuellen Infratest-Dimap Umfrage könnte die SPD derzeit bei einer Abgeordnetenhauswahl nur noch mit 24 Prozent der Stimmen rechnen. Die CDU ist in der Wählergunst deutlich an der SPD vorbeigezogen. Fast könnte man den Eindruck haben, die Stahmer-SPD ist zurück.

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