zum Hauptinhalt
Seehofer ist ein Grenzgänger, die Ein-Mann-Opposition in der schwarz-gelben Bundesregierung.

© dpa

Seehofer, Gabriel und Co.: Das Comeback der Populisten

Die Politik beherrscht das Spiel mit dem Populismus. Der Bedeutungsverlust der Parteien und die schwindende Bindekraft in die Gesellschaft tragen ihren Anteil dazu bei. Gefährlich wird es aber dann, wenn populistische Äußerungen Demokratie und Rechtsstaat aushöhlen.

Der Populismus-Vorwurf ließ nicht lange auf sich warten. Kaum hatte Sigmar Gabriel vergangene Woche seine Thesen über die Schuld der Banken an der Eurokrise veröffentlicht, kaum hatte der SPD-Chef Erpressungen und kriminellen Machenschaften der Finanzindustrie angeprangert, schallte das böse Wort entgegen, das immer noch als Schmähkritik gilt. Doch gleichzeitig wurde einmal mehr deutlich, der Populismus ist nicht mehr nur ein Protestphänomen, der an den Rändern des Parteiensystems kultiviert wird. Er ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen, als Populismus der Mitte oder auch als Regierungspopulismus. 

Sigmar Gabriel steht nicht alleine. Auch Angela Merkel, Jürgen Trittin oder Philipp Rösler setzen gerne auf Ängste und Emotionen, auf einfache Antworten und Scheinlösungen, auf die Gunst der Massen. Angesichts des Bedeutungsverlustes der Parteien in der Gesellschaft und angesichts des Verlusts ihrer Integrationskraft bleibt den Politikern häufig gar nichts anderes übrig, vor allem im Wahlkampf.

In diesen Tagen geht es wieder los. In den kommenden Monaten werden den Wählern wieder Steuersenkungen oder Rentenerhöhungen versprochen, das Klima um die Wette gerettet und Sozialschmarotzer, kriminelle Ausländer, geldgierige Banker oder korrupte Politiker als Sündenböcke vorgeführt, der Euro wahlweise mit Wunderfonds oder dem Rausschmiss von Krisenländern gerettet. Der Atomausstieg wird innerhalb kürzester Zeit ohne gesellschaftliche Kosten umgesetzt, saubere Energie inklusive. Komplexe Probleme werden so auf einfache Lösungen reduziert, Versprechen gemacht, von denen die Politiker von Anfang an wissen, dass sie völlig unrealistisch oder unbezahlbar sind. 

Natürlich ist Populismus auch für die etablierten Parteien nichts Neues. Deutliche Worte gehörten schon bei Konrad Adenauer oder Helmut Kohl, bei Willy Brandt oder Helmut Schmidt zu einem ordentlichen Wahlkampf. Andererseits wird populistische Wähleransprache für die Parteien immer wahlentscheidender. Der richtige populistische Ton, die passende volksnahe Kampagne, der charismatische Kandidat entscheiden über politische Karrieren, über Sieg und Niederlage. 

Der FDP-Politiker Guido Westerwelle etwa versprach im Bundestagswahlkampf 2009 Steuersenkungen für alle, verkündete das Motto „mehr Netto vom Brutto“, obwohl ihm klar gewesen sein musste, dass sich die Regierung solche Geschenke angesichts der Wirtschaftskrise und der Überschuldung des Staates nicht würde leisten können. Das Rekordergebnis gab ihm einerseits Recht, andererseits erschwerten die falschen Versprechen der FDP das Regieren. Auch der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer ist ein Meister des Populismus. Mal lädt er zur Facebook-Party, immer wieder zieht er bei der Euro-Retttung neue rote Linien. Und dann wischt er im Handstreich ein Meldegesetz vom Tisch, das nur die gängige Praxis fortschreibt, weil sich im Internet eine Empörungswelle aufgebaut hat.

"Populismus als Regierungsstil"

Horst Seehofer hat einen Wahlkampf zu gewinnen - deshalb setzt er sich möglichst deutlich von der Bundesregierung ab.
Horst Seehofer hat einen Wahlkampf zu gewinnen - deshalb setzt er sich möglichst deutlich von der Bundesregierung ab.

© dpa

Seehofer ist ein Grenzgänger, die Ein-Mann-Opposition in der schwarz-gelben Bundesregierung. Er muss im kommenden Jahr die bayerische Landtagswahl gewinnen und setzt sich deshalb demonstrativ von Berlin ab. Doch Populismus ist mittlerweile mehr als eine Oppositionsstrategie. Die immer größer werdende Komplexität von politischen Entscheidungen zwingt Parteien dazu, auch dann auf populistische Kampagnen zurückzugreifen, wenn sie die Macht erobert haben. Der Politikwissenschaftler Uwe Jun spricht deshalb vom „Populismus als Regierungsstil“. 

Natürlich kommt der Populismus anders daher, wenn er in den Regierungszentralen geplant wird, dosierter, verträglicher und vermeintlich überparteilich. Vier Aspekte des modernen Regierens weisen nach Ansicht von Uwe Jun dennoch eine „mehr oder weniger starke Affinität zum Populismus auf“. So orientieren sich Regierungen immer häufiger an der Stimmung in der Bevölkerung, Meinungsumfragen werden dabei zu einem unverzichtbaren Helfer. Sie wenden sich regelmäßig direkt an die Wähler, sie versuchen ihre Verbundenheit mit der Mehrheit der Bevölkerung zu demonstrieren, favorisieren einen präsidialen Regierungsstil. Gleichzeitig treten die Parteiprogramme und die Parteimitglieder in den Hintergrund. Regierungen agieren personenzentriert, nicht das Regierungshandeln steht im Mittelpunkt, sondern das Regierungspersonal. Hinzu kommt, Regierungen müssen ihre Politik permanent über die Medien kommunizieren, müssen permanent zuspitzen und vereinfachen,  weil der direkte Kontakt zu den Wählern abgerissen ist. Die Inszenierung von Politik als Dauerkampagne wird für sie zur Überlebensfrage. Die Grenzen zum Populismus werden oftmals fließend.

Gerhard Schröder war ein Meister des Regierungspopulismus. Der SPD-Kanzler hatte ein untrügliches Gespür für Stimmungen in der Bevölkerung und für Timing, etwa bei seinem „Nein“ zum Irak-Krieg. Unvergessen ist auch sein Einsatz für die Holzmann-Arbeiter. Immer wieder wählte Schröder dabei die direkte Ansprache seiner Wähler über die Medien. Vor allem dann berief er sich auf Volkes Stimme, wenn er sich gegen Widerstände in der eigenen Partei behaupten musste. Etwa bei der Umsetzung der Agenda 2010. 

Doch auch Angela Merkel beherrscht das Spiel mit den Instrumenten der populistischen Mobilisierung. Zwar ist die Kanzlerin dabei nicht so marktschreierisch wie ihr Vorgänger Gerhard Schröder, nicht kumpelhaft, sondern distanziert, nicht aufbrausend, sondern kühl kalkulierend. Auch die ansonsten so beherrschte Angela Merkel schimpft schon mal über „unverantwortliche Geschäfte“ der Banken, Mitten in der Eurokrise klagte sie wider besseres Wissen darüber, dass die Menschen in Ländern wie Griechenland, Spanien und Portugal „früher in Rente gehen“ als in Deutschland. Nach der Reaktor-Katastrophe in Fukushima war sie sogar bereit, über Nacht ihre bisherige Politik auf den Kopf zu stellen, weil nun die Mehrheit der Deutschen die Atomkraft ablehnten.

Populismus kann da für die Demokratie sogar von Vorteil sein

Je umstrittener ihre Politik ist und je schwerer sie zu vermitteln scheint, desto leichter geraten Regierungen in diese populistische Versuchung. In der Eurokrise diktiert längst Kanzlerin Angela Merkel ganz alleine die Politik. Ihr Credo lautet „Scheiter der Euro, scheitert Europa“, dazu werden immer neue Horrorszenarien kommuniziert. Die Öffentlichkeit überblickt die zahllosen Rettungspakete längst nicht mehr, den Bundestagsabgeordneten bleibt nichts anders übrig, als die ihnen vorgelegten Gesetze abzunicken. Für ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren ist angeblich keine Zeit.

Einerseits spricht also nichts dagegen, dass sich Politiker an der Stimmung in der Bevölkerung orientieren, auf Meinungsumfragen Rücksicht nehmen und möglichst umfassend die Interessen der Wähler berücksichtigen wollen. Auf die Unterstützung der Wähler kommt es in der Demokratie schließlich an. Ein deutlicher Ton, eine ideologische Einordnung oder eine gezielte Übertreibung können auch helfen, die Fronten in einem politischen Konflikt zu verdeutlichen und den Wählern Orientierung zu geben. Populismus kann für die Demokratie somit eine Chance sein.

Doch zwischen notwendiger Ansprache der Wähler und Anbiederung an Stimmungen, zwischen professioneller Kommunikation und inszenierter Symbolpolitik sowie zwischen Appellen an die Mehrheit und dem Schüren von Ressentiments ist es nur ein schmaler Grat. Wenn ein Ministerpräsident „Kriminelle Ausländer raus, aber schnell“ fordert, ein Oppositionspolitiker eine Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft initiiert oder ein Bundeskanzler Sexualstraftäter einfach wegschließen will „und zwar für immer", dann ist die Grenze überschritten. Spätestens dann, wenn Regierungen in der Bevölkerung irrationale Ängste schüren, den Rechtsstaat in Frage stellen, oder wenn sie die Diskussion über politische Alternativen behindern und das Parlament faktisch zum Erfüllungsgehilfen der Exekutive machen, gerät die demokratische Willensbildung jedoch insgesamt in Gefahr.

Christoph Seils leitet die Online-Redaktion des Magazins Cicero. Er ist Autor des Buches „Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien?“, erschienen im WJS-Verlag. Er schreibt an dieser Stelle wöchentlich über die deutsche Parteienlandschaft.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false