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Seit Mai 2012 fährt die Putin-Administration einen nationalpatriotischen und anti-westlichen Kurs, meint Hans-Henning Schröder.

© dpa

Serie "Kurz gesagt": Putin auf nationalpatriotischem Kurs

Das Vorgehen gehen russische Nichtregierungsorganisationen und andere Oppositionelle ist Folge einer nationalpatriotischen Wende der russischen Politik. Doch dieser Kurs wird immer mehr zum Problem für die Führung selbst, meint unser Gastautor Hans-Henning Schröder.

Seit Anfang Februar erhalten russische Nichtregierungsorganisationen Besuch von Mitarbeitern der Staatsanwaltschaft, des Justizministeriums und der Steuerbehörde, die umfassende Einsicht in Finanzunterlagen, Personalakten und Programmdokumente einfordern. In ganz Russland haben dem Vernehmen nach bisher an die hundert solcher Revisionen stattgefunden. In der zweiten Märzhälfte standen die Prüfer auch bei "Amnesty International" in Moskau und bei der hochrenommierten russischen Menschenrechtsorganisation "Memorial" vor der Tür. "Memorial" hat sich mit seinem humanitären Engagement, der karitativen Tätigkeit und den großen Anstrengungen zur Aufarbeitung der stalinistischen Vergangenheit international großen Respekt verschafft und viel für das russische Ansehen in der Welt getan. Auch zwei große deutsche Stiftungen - die "Friedrich-Ebert-Stiftung" in Moskau und die Filiale der "Konrad-Adenauer-Stiftung" in Petersburg - erhielten Besuch von Staatsanwaltschaft, Steuerinspektion und Justizministerium. Man muss davon ausgehen, dass dies auf Anregung der politischen Führung geschehen ist.

Die Kampagne gegen Nichtregierungsorganisationen ist Teil einer nationalpatriotischen Politik

Die Kampagne zur Einschüchterung von Nichtregierungsorganisationen - anders kann man diese Aktionen schwer deuten - ist Teil einer nationalpatriotischen und gegen westliche Einflüsse gerichteten Politik, die die Putin-Administration seit Mai 2012 betreibt.

Noch vor der Sommerpause 2012 brachte die Fraktion "Einiges Russland" in der Duma eine Reihe von Gesetzen auf den Weg, die sich gegen die nichtsystemische Opposition richteten, also gegen die Protagonisten der Massendemonstrationen im Winter 2011/2012, die sich anders als die Oppositionsparteien in der Duma nicht als Teil des politischen Systems verstehen. Das Demonstrationsrecht wurde verschärft und mögliche Verstöße mit hohen Geldstrafen bewehrt. Im Rahmen des Kinderschutzgesetzes wurden Regelungen geschaffen, die es erlauben, gefährliche Webseiten auf einen Index zu setzen und zu löschen. Beleidigung wurde wieder zu einem Straftatbestand gemacht: "Einiges Russland" als "Partei der Gauner und Diebe" zu bezeichnen, wie es noch im Herbst 2011 gang und gäbe war, ist nun teuer geworden. Ein weiteres Gesetz verpflichtet Nichtregierungsorganisationen, die politisch tätig sind und Geld aus dem Ausland erhalten, sich als "Ausländische Agenten" registrieren zu lassen. Diese Gesetze, hastig und schlecht gemacht, werden zurzeit nur in Einzelfällen angewendet, doch sie schaffen insgesamt einen Rechtsrahmen, um Regimekritik zu kriminalisieren und sie zugleich als "westlich" initiiert und daher als feindlich gesteuert zu diffamieren.

Die Vlast‘ (die "Macht" - die gängige Bezeichnung für die Obrigkeit) ging auch gegen Oppositionsführer vor und suchte sie mundtot zu machen. Gegen Nawalnyj, einen Blogger mit nationalen Tendenzen, der als Führungsfigur der nichtsystemischen Opposition gilt, wurden Verfahren wegen Betrugs und Unterschlagung angestrengt. Gennadij Gudkow, Abgeordneter von "Gerechtes Russland" und Aktivist der Opposition, wurde das Abgeordnetenmandat entzogen, und er wurde auch von der eigenen Partei ausgeschlossen. Seinem Sohn Dmitrij, auch er Abgeordneter von "Gerechtes Russland", dreht man derzeit einen Strick aus einer Amerika-Reise, bei der er nach nicht gemeldetem Immobilienbesitz russischer Abgeordneter in den USA fahndete. Gegen eine ganze Reihe von Personen, die an der großen Demonstration auf dem Bolotnaja-Platz am 6. Mai 2012 beteiligt waren, laufen Verfahren wegen Teilnahme an "Massenunruhen" und Gewalt gegen Staatsbeamte. Auch diese Demonstranten sitzen - wie seinerzeit die Pussy-Riot-Aktivistinnen - seit Monaten in Untersuchungshaft, allerdings ohne die internationale Medienaufmerksamkeit.

Putins Bürokraten haben rechte Geister beschworen, die sie nur schwer wieder bannen können

Das Vorgehen des Justiz- und Polizeiapparats ist Teil einer nationalpatriotischen Politik, die inzwischen breit propagiert wird. Putin selbst schlug in seiner Botschaft zur Lage der Nation patriotische Töne an, als er das "Große Russland" als Vorbild proklamierte, anstatt auf die konkreten sozialen und ökonomischen Probleme einzugehen. In Russland haben "Patrioten" die Diskurshoheit errungen. Sie beschwören die nationale Größe der Sowjetunion und des Zarenreiches und verurteilen "den Westen" mit seinen politischen und kulturellen Einflüssen als verderbt und gefährlich. Dass unter diesen Umständen in Russland von einer Fortsetzung der Politik der "Modernisierung", wie sie Medwedew proklamiert hat, nicht mehr die Rede ist, liegt auf der Hand.

Schockiert von den Massendemonstrationen und irritiert vom Absinken der Beliebtheitswerte des Präsidenten, versucht die Umgebung Putins, über nationale und fremdenfeindliche Parolen gesellschaftliche Unterstützung zu mobilisieren. Das birgt Gefahren für das Regime selbst. Denn die Mobilisierung des "rechten Sumpfes" wendet sich gegen die eigenen Eliten. Ein Ideologe wie Kurginjan, der derzeit von der Präsidialadministration hofiert wird, und der Unternehmer und Bürokraten mit Besitz im Ausland ebenso als Feinde ansieht wie "den Westen", propagiert eine nationale Revolution, um "das Volk" vor der Vernichtung und "das Land" vor dem Zerfall zu retten.

Nun fordert "das Volk" - als das sich die Wortführer rechter Ideologien stilisieren -, dass Beamte keine Auslandskonten und ausländischen Immobilien besitzen dürfen und dass die Oligarchen ihr Kapital ins Vaterland zurückholen. Der Präsident hat beide Ideen aufgenommen: ein Gesetz, das er in die Duma eingebracht hat, verbietet Beamten Auslandskonten. Ferner hat er eine Politik der Deoffshorisazija proklamiert, d.h. die Beendigung der off-shore-Geschäfte der Oligarchen in Steueroasen. Viel Freude löst er damit bei den Elitengruppen in seiner Umgebung - den Finanzmagnaten, Wirtschaftsmanagern und dem politischen Apparat - nicht aus. Die Maßnahmen laufen diametral dem entgegen, was die Eliten in den letzten zwanzig Jahren praktiziert haben. Ein Russland, das sich auf sich selbst und die eigene Vergangenheit zurückzieht, das nationalpatriotischen und xenophoben Ideen huldigt, stellt daher nicht nur für seine Nachbarn, sondern auch für die eigene Führungsschicht ein Problem dar.

Hans-Henning Schröder forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) u.a. zu Eliten und Gesellschaftsentwicklung in Russland. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Artikel erscheint auf der SWP-Homepage in der Rubrik "Kurz gesagt".

Hans-Henning Schröder

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