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Sigmar Gabriel: Mit Anti-Banken-Populismus in die Offensive

Die Kanzlerin gilt als verlässliche Krisenmanagerin, da kann die SPD nur verlieren. Parteichef Gabriel greift deshalb zu einer riskanten Strategie: Mit drastischen Worten und populistischen Untertönen ruft er zum Kampf gegen Banken und Finanzindustrie auf.

Politik ist ein großes Strategiespiel, vor allem dann, wenn ein Wahlkampf bevorsteht. Was eine politische Rochade ist, das hat der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel in den vergangenen Tagen eindrucksvoll und nicht ohne Erfolg demonstriert. 

Am Donnerstag stimmte die SPD im Bundestag den Milliardenhilfen für die spanischen Banken zu. Einmal mehr standen die Sozialdemokraten in Sachen Eurokrise an der Seite der Kanzlerin und der schwarz-gelben Bundesregierung. Doch schon am Freitag setzte Parteichef Sigmar Gabriel ganz andere Akzente. Am Donnerstag lobte Gabriel die Verlässlichkeit der Opposition in wichtigen politischen Fragen. Gleichzeitig strich er die Gemeinsamkeiten von Regierung und Opposition beim europäischen Krisenmanagement heraus. Am Freitag hingegen veröffentlichte der SPD-Chef ein Thesenpapier über die europäischen Banken und die Finanzindustrie, das einen ganz anderen Ton einschlägt und die Bundesregierung frontal angreift.

Von Erpressung ist darin im Zusammenhang mir dem Bankensystem die Rede und von Abzocke, von Manipulation und Beihilfe zur Steuerkriminalität. Die Bundestagswahl 2013 stilisiert Gabriel in seinen acht Thesen zur „Entscheidung über die Bändigung der Banken“. Der SPD-Vorsitzende fordert ein „europäisches Bankeninsolvenzrecht“, er will den Hochfrequenzhandel verbieten und die „unanständigen Gehälter“ von Finanzmanagern und Spekulanten begrenzen. Banker, die mit „krimineller Energie“ Leitzinsen manipulieren oder Beihilfe zur organisierten Steuerkriminalität leisten, sollen die ganze Härte des Strafrechts spüren. „Es kann nicht sein, dass kein einziger Banker hinter Gittern sitzt, weiter Kurse manipuliert und hoch riskante Geschäfte getätigt werden und kleine Leute selbst für’s Schwarzfahren ins Gefängnis kommen“, sagte Gabriel dazu im Interview mit dem Tagesspiegel. Der Bundesregierung wirft Gabriel in demselben Interview vor, sie verschone „die Verursacher der Krise, nämlich die Banken“, bei deren Bändigung habe Merkel „sträflich versagt“. 

Es sind drastische Worte und eine populistische Zuspitzung, die Sigmar Gabriel bei seiner Attacke gegen die Banken und gegen die Bundesregierung wählt. Ein wenig klingt der SPD-Chef dabei wie die Linkspartei, wie Oskar Lafontaine und nicht mehr wie eine Regierung im Wartestand. Doch der Angriff und auch der Zeitpunkt kurz nach der Spanien-Abstimmung im Bundestag sind kühl kalkuliert, sowie das Thema.

Für die Kanzlerin ist das Thema Europa nicht zu übersehen

Die Kanzlerin setzt in den kommenden Monaten auf einen Wahlkampf rund um das Thema Europa. Das ist nicht zu übersehen und Angela Merkel hat eigentlich auch keine andere Wahl. Schließlich ist ihre Kanzlerschaft seit Jahren auf engste mit der Bekämpfung der Eurokrise verbunden. Für die große Mehrzahl der Wähler sie zudem eine vertrauensvolle Krisenmanagerin. Bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr könnte dies für die Union zum entscheidenden Vorteil werden.

Die SPD kann dagegen wenig ausrichten, mag sie auch noch so häufig darauf verweisen, dass Merkel gegen die Eurokrise erstens viel zu spät und nicht entschlossen genug eingegriffen hat. Dass die Bundesregierung in Sachen Eurorettung zweitens immer wieder Forderungen der SPD aufgegriffen hat, zum Beispiel bei der Finanztransaktionssteuer oder dem Wachstumspakt.

Und weil die SPD beim Thema Eurokrise gegen Merkel wenig ausrichten kann, greift Sigmar Gabriel die Kanzlerin nun auf einem anderen Politikfeld frontal an. Das Manöver ist zwar ziemlich durchschaubar, aber die Bankenkritik trifft eine weitverbreitete Stimmung unter den Wählern. Die SPD könnt damit erstmals seit vielen Monaten wieder politisch in die Offensive kommen. Ganz nebenbei sammelt Gabriel gegen seine innerparteilichen Widersacher Steinbrück und Steinmeier weitere Punkte im Kampf um die Kanzlerkandidatur. Denn auch bei den eigenen Genossen kommt der Anti-Banken-Populismus an.

Dass Gabriel bei den Regierungsparteien einen wunden Punkt getroffen hat und die Angst vor einem Banken-Wahlkampf groß ist, zeigen die ziemlich gereizten Reaktionen bei CDU, CSU und FDP. Von „pauschalen Vorwürfen“ ist da zum Beispiel die Rede, von Forderungen „aus der Mottenkiste der alt-68er" oder von Thesen, die der „Komplexität des Themas“ nicht gerecht würden. Dabei ist auch bei Regierungspolitiker das Entsetzen über das schamlose Gebaren der Banken und Exzesse der Spekulanten sowie die unkontrollierte Macht der Finanzindustrie groß. Nur können sie nicht so offen darüber reden.

Doch ist Gabriels Strategie nicht ohne Risiko:

Trotzdem ist Gabriels Strategie für die Sozialdemokraten nicht ohne Risiko. Erstens wird die politische Konkurrenz es sich nicht nehmen lassen, auf die Verantwortung der rot-grünen Bundesregierung bei der Deregulierung des Finanzmarktes in den Jahren nach 1998 zu verweisen. Zweitens kommt das nächste Eurorettungspaket bestimmt und dann muss die SPD sich wieder der Frage stellen, ob sie in Sachen europäisches Krisenmanagement ein verlässlicher Partner bleibt. Selbst vielen Wählern könnte dann die große Diskrepanz zwischen Gabriels populistischen Reden und dem Handeln der SPD im Bundestag auffallen.

Drittens werden sich die Sozialdemokraten irgendwann im Wahlkampf die Frage stellen müssen, ob sie mit ihrer fundamentalen Kritik an den Banken nicht mögliche Koalitionspartner in Deutschland und mögliche Mitstreiter in Europa verprellen. Denn will die SPD tatsächlich die Macht der Banken begrenzen und die Finanzmärkte „demokratiekonform“ umgestalten, dann braucht sie dafür auf beiden Bühnen Mitstreiter. Die Linkspartei, die Gabriel und seine Thesen jetzt so demonstrativ beklatscht, wird dies sicherlich nicht sein.  

Trotzdem ist dieser Strategiewechsel richtig. Die SPD braucht im Wahlkampf Themen, bei denen sie die Regierung vorführen kann und nur mit populistischer Zuspitzung kann sie sich Gehör verschaffen. Die SPD hat also gar keine andere Wahl als dieses Risiko einzugehen, sonst gerät sie schon zu Beginn des Wahlkampfes gegen Merkel und die Union strategisch und vorentscheidend ins Hintertreffen.

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