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Fabian Heilemann hat gemeinsam mit seinem Bruder Ferry 2009 in Berlin die Gutschein-Plattform DailyDeal gegründet.

© DailyDeal

Start-up-Boom in Berlin: Von der Copycat-Kapitale zur europäischen Innovationsmaschine

Deutschen Start-ups wird häufig vorgeworfen, sie seien nur Kopien von erfolgreichen Gründungen aus den USA. Es wird Zeit, endlich umzudenken, sagt der Gründer von DailyDeal.

Berlin boomt, keine Frage. Nicht nur Tourismus und Gastronomie zählen zu den Wachstumsmärkten in der Hauptstadt. Auch die Internetbranche macht zunehmend von sich reden – vor allem international: Die Bewunderung für Berlin ist groß, ganz egal, ob in London oder Kalifornien. Berlin gilt als Internet-Hauptstadt Europas.

Grund zur Freude? Eigentlich schon. Wer hinter die Kulissen der Berliner Gründerszene blickt, entdeckt aber vor allem eins: Zweifel an der Innovationskraft der deutschen Gründerszene. Kritiker bemängeln, dass an der Spree wenig Neues, wirklich Innovatives geschaffen werde. Junge Gründer seien risikoscheu und würden deshalb, so lautet der Vorwurf, lieber erfolgreiche Geschäftsmodelle aus den USA abkupfern, um ihr Unternehmen möglichst schnell und möglichst teuer an das Original zu verkaufen.

In der Tat stehen die Chancen hierfür nicht schlecht: Nahezu jedes erfolgreiche amerikanische Internetunternehmen kommt eher früher als später nach Europa – und Deutschland ist der wichtigste Markt, Berlin mit seinen niedrigen Löhnen und Mieten aus Unternehmer- und Investorensicht der  attraktivste  Standort.

Genau deshalb investierten Kapitalgeber in der Vergangenheit lieber in Unternehmen, deren Geschäftsmodell bereits andernorts erfolgreich war. Lag ein so genannter „proof of concept“ vor, wurden die Renditeaussichten deutlich besser beurteilt. Neue Ideen wurden hingegen viel zu oft als Risiko begriffen. Die Internetwirtschaft krankte als Kollektiv an Innovationsmangel und Risikoaversion.

Doch das ist nicht (mehr) die ganze Wahrheit: Abseits der vielen Kopien gibt es immer öfter auch Lichtblicke. An der Spree sind in letzter Zeit einige erfolgreiche Unternehmen mit weltweit wirklich neuartigem Konzept entstanden: der Spiele-Entwickler Wooga und das Musik-Netzwerk Soundcloud beispielsweise oder Cloudnumbers.com, das Softwarelösungen für Unternehmen und Hochschulen anbietet.

Chemiker, Künstler und Informatiker bringen frischen Wind.

Ihr Erfolgsgeheimnis liegt im Gründerteam: Die Gründerszene wird zunehmend heterogen. Sie wird nicht mehr nur von Betriebswirtschaftlern geprägt. Neben sie treten in letzter Zeit immer öfter Kreative, Informatiker und Naturwissenschaftler verschiedener Disziplinen. Genau so ist es im Silicon Valley, der Wiege des Internets, schon seit jeher üblich. Und es wirkt fast schon paradox: Je mehr sich die deutsche Internetszene der amerikanischen strukturell annähert, desto mehr emanzipiert sie sich inhaltlich von ihr. Chemiker, Künstler und Informatiker bringen frischen Wind in die Berliner Gründerszene. Meist kommen wirklich innovative Geschäftsideen und auch die entscheidenden Innovations-Impulse von diesen „jungen Wilden“ und nicht selten sind sie in der Lage, gute Ideen auch technologisch umzusetzen.

Das aktuell prominenteste Beispiel für diesen Trend ist die Meinungsplattform Amen. Amen funktioniert ähnlich wie Twitter: Nutzer treffen Aussagen über teilweise recht banale Dinge wie Personen, Orte oder eben das Wetter, die andere Nutzer mit einem „Amen“ gutheißen können. So sollen Netzwerke mit Gleichgesinnten geknüpft werden. Die Idee klingt simpel, aber sie hat Potenzial und ist der heimliche „Darling“ von nationalen und internationalen Kapitalgebern: Zu den Gesellschaftern zählen Hollywood-Star Ashton Kutcher und mit Index Ventures auch einer der größten institutionellen Risikokapitalfonds Europas. In einer ersten Finanzierungsrunde flossen im Sommer 2011 mehrere Millionen Euro in das Start-up, bevor dieses überhaupt richtig startete. Mit Felix Petersen, Florian Weber und Ricki Vester haben gleich drei der vier Gründer Informatik studiert.

Abseits von Amen gibt es zahlreiche weitere Beispiele: Sebastian Fallert hat Physik in Cambridge studiert und trägt nun als Technologieexperte wesentlich zum Erfolg der Hotelbuchungs-App JustBook.com bei. Die SoundCloud-Gründer Alexander Ljung und Eric Wahlforss haben in Stockholm das Royal Institute of Technology absolviert. Und Jens Begemann, Gründer und Geschäftsführer von Wooga, ist Absolvent der Beuth Hochschule für Technik in Berlin. Wooga erreicht mit Social-Games wie „Brain Buddies“ oder „Happy Hospital“ monatlich mehr als 38 Millionen Gamer und ist damit weltweit der zweiterfolgreichste Anbieter von Social-Games.

Diese Erfolgsstorys öffnen Türen für Gründer, die nicht kopieren, sondern ein weltweit einzigartiges Geschäftsmodell verwirklichen möchten. Begemann, Fallert, Ljung und Co dienen hierbei als personifiziertes „proof of concept“. Sie sind Pioniere und Wegbereiter einer neuen, innovativen Berliner Gründerszene. Der oft beschworene deutsche Erfindergeist erlebt dank ihnen seine Renaissance im digitalen Gewand.

Vor diesem Hintergrund wirkt die Debatte um die fehlende Innovationskraft der deutschen Internetbranche staubig und von Tag zu Tag mehr wie ein Anachronismus aus einer Zeit, in der Portale wie der deutsche Facebook-Klon StudiVZ noch das Aushängeschild einer sich – nach dem Crash der 2000er-Blase – langsam wieder aufrappelnden Gründerszene waren. Es wird Zeit, endlich umzudenken und die Augen zu öffnen für jenen neuen Innovationsgeist, den Kritiker gerne einmal verleugnen.

Der Autor Fabian Heilemann hat gemeinsam mit seinem Bruder Ferry Heilemann 2009 die Gutschein-Plattform DailyDeal gegründet und im Herbst 2011 an Google veräußert. Fabian Heilemann ist Jurist, sein Bruder Ferry hat BWL studiert. Beide sind heute weiterhin in leitender Position bei DailyDeal tätig und investieren privat in junge Gründer und Start-ups mit Fokus auf innovative Geschäftsmodelle, unter anderem in JustBook.

Fabian Heilemann

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