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Kann es Bayern auch allein?

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Strategie von Regionalparteien: Der Lederhosen-Separatismus liegt im Trend

Der CSU-Stratege Wilfried Scharnagl fordert einen eigenen bayrischen Staat und erntet dafür Hohn und Spott. Doch im europäischen Kontext ist sein Plädoyer alles andere als weltfremd: Es könnte sein, dass die EU nicht nur immer zentralistischer wird - sondern auch immer regionalistischer.

In einem kleinen Berliner Verlag erschien in der vergangenen Woche ein dünnes Büchlein mit Titel „Bayern kann es auch alleine“. Darin plädiert Wilfried Scharnagl für eine Abspaltung Bayerns von Deutschland und ruft zu einem bayerischen Unabhängigkeitskampf auf. Irgendwie fällt das Buch angesichts der Euro-Krise und der Globalisierung aus der Zeit. Man könnte es als Folklore abtun und den mittlerweile 73-jährigen ehemaligen Chefredakteur des Bayernkuriers und langjährige CSU-Stratege einen unverbesserlichen Nostalgiker schelten. Im 21. Jahrhundert will er scheinbar zurück zur deutschen Kleinstaaterei, die eigentlich seit 141 Jahren als überwunden gilt. Oder man macht sich über die Bayern lustig, über jenes Völkchen südlich des Mains mit ihrem merkwürdigen Gejodel, ihren unbequemen Lederhosen und dem dünnen Bier. Angesichts der Scharnagl‘schen Unabhängigkeitsfantasien könnte man ihnen also Gute Reise und blauweiße Schlagbäume wünschen.

Dabei empfiehlt es sich, das Buch sehr ernst zu nehmen, auch wenn die CSU nicht gleich morgen die Unabhängigkeit Bayerns ausruft. Die Idee könnte dennoch ein wichtiger Baustein sein bei der Neupositionierung der CSU als Regionalpartei mit regionalnationalem und wohlstandschauvinistischem Einschlag. Gleichzeitig könnte die Idee spätestens dann eine politische Dynamik entfalten, wenn im Zuge der Euro-Krise einerseits die Rufe nach mehr europäischer Integration laut werden und dies andererseits eine Gegenbewegung provoziert, in der die sezessionistischen und separatistischen Kräfte in Europa gestärkt werden.

Wilfried Scharnagel (73), ehemaliger Chefredakteur des Bayernkuriers und langjähriger CSU-Stratege, plädiert für eine Abspaltung Bayerns von Deutschland.
Wilfried Scharnagel (73), ehemaliger Chefredakteur des Bayernkuriers und langjähriger CSU-Stratege, plädiert für eine Abspaltung Bayerns von Deutschland.

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Die Idee einer Loslösung Bayerns von Deutschland folgt also, auch wenn sie noch ziemlich vage klingt, einem europäischen Trend. In vielen europäischen Ländern versuchen sich Regionalparteien mit dem Ruf nach Abspaltung vom Zentralstaat zu profilieren. Regionalismus heißt unter anderem in Spanien, Italien, Belgien oder Großbritannien die Antwort auf Macht der Zentralstaaten und das Unbehagen über den wachsenden Einfluss der Europäischen Union.

Katalanen und Basken wollen sich von Spanien loslösen, Südtirol besitzt in Italien schon eine weitgehende Autonomie. In Schottland findet möglicherweise im Herbst 2014 ein Unabhängigkeitsreferendum statt. In Belgien wiederum ist das Tischtuch zwischen Flamen und Wallonen schon weitgehend zerschnitten. Nur noch mit letzter Kraft wird das Land vom belgischen Königshaus, der Angst vor einem Finanzchaos und der fehlenden Lösung für die Hauptstadt Brüssel zusammengehalten.

Die Pläne für eine Spaltung des Landes liegen jedoch schon seit Langem in der Schublade der wohlhabenden Flamen. Selbst im zentralistischen Frankreich melden sich die Regionen, zum Beispiel Korsen und Bretonen, immer häufiger selbstbewusst zu Wort. Wobei es kein Wunder ist, dass vor allem in den reichen europäischen Regionen die Unabhängigkeitsrhetorik auf Widerhall stößt. Auch Bayern spielt diese Melodie. Das Land will nicht mehr der doppelte Zahlmeister Deutschland und Europas sein. Deshalb polemisiert die CSU gleichermaßen gegen den Länderfinanzausgleich und gegen die Griechenlandhilfen. Die politischen Vorbilder aller bayerischen Sezessionisten sind vor allem die Lega Nord in Italien und die Scottish National Party (SNP).

Seit den 1990er Jahren profiliert sich die „Liga Nord für die Unabhängigkeit Padaniens“ als politische Interessenvertretung des reichen und industrialisierten Nordens der italienischen Republik. Die Lega Nord konstruiert die kulturelle, ökonomische und ethnische Eigenständigkeit Oberitaliens, kreierte dazu die Kunstregion Padanien und beruft sich dabei auf die Jahrhunderte alte Tradition der die Kelten und Lombarden.

Die Lega schwankt zwischen der Forderung nach mehr Föderalismus und Unabhängigkeit. Gleichzeitig schürt sie Ressentiments gegen die römischen Parteien und gegen die EU, gegen den agrarischen, armen und verschwenderischen Süden sowie gegen Immigranten.

Europa ist für viele Regionalparteien Fluch und Segen

Im italienischen Parlament ist die Lega die drittstärkste politische Kraft, viele Jahre war sie ein treuer Koalitionspartner der Berlusconi-Partei Volk der Freiheit. Die SNP wiederum hat es geschafft, sich in Schottland mit einem eher weichgespülten Nationalismus und einem linksliberalen Programm als dominierende politische Kraft zu etablieren. Die britischen Parteien, die Labor-Party und die Konservativen spielen in Schottland hingegen nur noch eine nachgeordnete Rolle. Die SNP profiliert sich selbstbewusst pro europäisch, setzt auf den Ausbau regenerativer Energien und lehnt die Atomenergie ab. Ökonomische Basis der schottischen Unabhängigkeitsbestrebungen ist das Nordseeöl. Bei den Parlamentswahlen 2011 erzielte die SNP die absolute Mehrheit. Schon jetzt besitzt Schottland zum Beispiel in der Wirtschafts-, Industrie- oder Sozialpolitik eine politische Autonomie, die weit über jene der deutschen Bundesländer hinausgeht.

Auf sehr unterschiedlichen Wegen ist es Lega Nord und SNP gelungen, sich innerhalb weniger Jahrzehnte erfolgreich als Regionalparteien zu etablieren. Das macht beide für die CSU so interessant.
Die einstige bayrische Staatspartei muss sich strategisch neu positionieren. Sie steckt in einer strukturellen Krise, ihr altes Machtsystem ist erodiert. Die absolute Mehrheit in Bayern hat sie nach fünf Jahrzehnten Alleinherrschaft vor vier Jahren bereits verloren. Ihr konservativer Markenkern hat sich abgeschliffen, das Siegerimage ist angekratzt.

Es ist nicht einmal mehr ausgeschlossen, dass die Partei bei der Landtagswahl im kommenden Jahr die Macht in Bayern ganz verliert. Die Oppositionsparteien SPD, Grüne und Freie Wähler setzten der CSU mächtig zu, gleichzeitig schwächelt der Koalitionspartner FDP. Das Gewicht der CSU im Berlin ist seit der Wiedervereinigung erheblich gesunken und auch ihre Sonderrolle im Bündnis mit der Schwesterpartei CDU wird die Partei nicht mehr auf Dauer rechtfertigen können. Vor allem dann nicht, wenn die CSU in Bayern keine herausragenden Wahlergebnisse mehr liefern kann.

Ein Regionalismus, der mehr föderale Eigenständigkeit fordert oder gar mit der Unabhängigkeit vom Nationalstaat kokettiert, böte der CSU eine neue strategische Perspektive. Schon scheint es so, als sei der CSU der Wahlsieg in Bayern wichtiger als ein Erfolg von Schwarz-Gelb in Berlin.
Die Gegensätze zwischen CSU und CDU werden also weiter zunehmen, wenn sich die CSU vor allem als Regionalpartei profiliert. Wobei erst die europäische Integration für viele Regionalparteien erst die Voraussetzungen für die Forderung nach mehr Eigenständigkeit oder Unabhängigkeit geschaffen hat. Europa ist, so paradox es klingen mag, für viele europäische Sezessionsbewegungen nicht nur ein Fluch, sondern vor allem auch ein Segen. Für die CSU ist es eine Versuchung.

Nur weil Europa mittlerweile einen festen politischen, ökonomischen und rechtlichen Rahmen setzt, können sich europäische Regionen wie Südtirol, Katalonien, Schottland und Flamen in einer globalisierten Welt die Forderung nach Unabhängigkeit überhaupt leisten. Wenn Europa einerseits zentralistischer wird, könnte es andererseits zugleich regionalistischer werden.

Egal wie die Eurokrise ausgeht, Europa wird sich in den kommenden Jahren fundamental verändern. Das Europa der Vaterländer, das einst Charles de Gaule und Konrad Adenauer geprägt haben, könnte sich in ein Europa der Regionen verwandeln. Völlig aus der Welt gefallen ist Wilfried Scharnagls Plädoyer für einen eigenen bayrischen Staat also nicht.

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