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Umzingelt von Feinden? Russlands Präsident Wladimir Putin.

© dpa

Ukraine, Russland - und der Westen: Die Diplomatie darf nicht versagen

Kriege sind nie zwangsläufig, aber der Friede ist keineswegs sicher, meint Michael Paul von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Eine Betrachtung der aktuellen Lage anlässlich des 100.Jahrestags des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs. Ein Kommentar.

Der Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 erinnert dieser Tage daran, wie Kriege entstehen können, trotz der engen Beziehungen der gekrönten Häupter damals und der heute sicher geglaubten institutionellen Mechanismen (wie Vereinte Nationen, OSZE, Euro-Atlantischer Partnerschaftsrat) zur Krisenprävention. Der Vergleich zwischen 1914 und heute, zwischen Europa am Vorabend des Ersten Weltkriegs und aktuellen Krisenherden in der Welt, ist natürlich problematisch. Analogien zwischen dem Großen Krieg 1914 und dem Ukraine-Konflikt, der sich inzwischen mit russischer Unterstützung zum Krieg entwickelt hat, oder der brisanten Situation in Ostasien, sind ebenso mit Vorsicht zu beurteilen.  

Aber was geschichtliche Erfahrungen lehren oder zu lehren vorgeben, beeinflusst häufig das Verhalten politischer Entscheidungsträger. Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie bietet Analogien, die – ob zutreffend oder nicht – häufig als Orientierung dienen können. So können Faktoren identifiziert werden, die eine konfrontative Situation und deren Eskalation zum Krieg ermöglicht haben. Daran anknüpfend stellt sich die Frage, wie sich diese unter ähnlichen oder anderen Bedingungen entwickeln könnten und wie eine Verkettung unglücklicher Umstände zu verhindern ist.

So lautete in den Zwischenkriegsjahren die Devise „no more summers of 1914“. Britische und französische Politiker meinten, dass der Erste Weltkrieg aus Überreaktion und rigider Diplomatie entstanden war. Eine Folge dieser Auffassung war die Appeasement-Politik der 1930er Jahre, die verhinderte, dass Adolf Hitlers revisionistisch-expansionistische Politik frühzeitig in die Schranken gewiesen wurde.

Die deutsche Führung war 1914 nicht von klaren Aufstiegs- oder erfolgversprechenden Kriegsplänen getrieben, sondern von der Angst vor der Einkreisung. Sie verfolgte das als defensiv aufgefasste Ziel, erneut jene begrenzte Hegemonie auf dem europäischen Kontinent zu errichten, die das Deutsche Reich unter Reichskanzler Otto von Bismarck (1871–90) ausgeübt hatte. So gesehen war der Krieg keine willkommene Gelegenheit, wie es auch sonst als eine Eigenart der Krise von 1914 gilt, dass alle Handelnden dem Gegner aggressive Absichten unterstellten und sich selbst defensive Intentionen bescheinigten.

Die zukünftige Friedensordnung

Auch Russland sieht sich heute mehr von Feinden umgeben, als dass man von einem neuen russischen Weltreich träumt. Präsident Wladimir Putin mag seinen Ruf als ehrlicher Gesprächspartner ruiniert haben, unabhängig vom Vertrauensverlust bleibt er aber der einzige Akteur, der eine Eskalation verhindern kann. Ein Versagen der Diplomatie wäre es heute, wenn jenseits notwendiger Sanktionen nicht weiter versucht werden würde, auf Putin einzuwirken, bevor die sich in Russland ausbreitende nationalistische Rhetorik in eine neue Realität der militärischen Eskalation mündet.

Politisch darf Europa der Preis der Sanktionen nicht zu hoch sein. Sanktionen gegen Russland ändern aber nichts an der einfachen, auf der Geographie und der Geschichte begründeten  Erkenntnis, dass Sicherheit in Europa am besten mit und nicht gegen Russland erzielt wird. Das bedeutet, dass nicht nur die Auswirkungen weiterer Sanktionen bedacht werden müssen, sondern schon heute zu überlegen ist, wie Vertrauen wieder aufgebaut, die Ukraine als Staat stabilisiert und die europäische Friedensordnung für die Zukunft gesichert werden kann.

Michael Paul forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik unter anderem zu den Themengebieten Russland, Ukraine, Rüstungskontrolle, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Artikel erscheint auf der SWP-Homepage in der Rubrik Kurz gesagt.

Michael Paul

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